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"Hier wird nur getötet, nur gefoltert"

Soeben ist eine Bildergeschichte des französischen Comiczeichners Pascal Croci mit dem Titel "'Auschwitz" erschienen. Andreas Platthaus von der FAZ findet es legitim, sich des Mediums Comic zu bedienen, um Leute zu erreichen. Allerdings sei die Geschichte so dicht, dass der Leser auf jeder Seite neuem Horror begegne. Damit sei der Comic zu spekulativ in der Anlage und zu spektakulär seiner Geschichte.

Moderator: Holger Noltze | 20.06.2005
    Noltze: "Liegt Auschwitz gleich hinter Entenhausen, darf man den Schrecken des Holocaust als Comic zeigen?" bringt heute die Bild-Zeitung den Fall auf den Punkt. Es geht um eine Bildergeschichte des französischen Comiczeichners Pascal Croci, Titel 'Auschwitz', erschienen im Mickey Maus-Verlag ehapa, die den KZ-Horror von innen zeigt. Und das anders als in den 90erjahren Art Spiegelman in dem berühmten MAUS-Comic, der die Juden als Mäuse und die Nazis als Katzen zeigte. Hier sind Menschen abgebildet, Leichenberge, dazwischen Sprechblasen. Spiegelman bekam damals den Pulitzer-Preis, Croci schafft eine Kontroverse und wieder mal eine dieser 'darf-man-Fragen'. "Darf man?" frage ich jetzt Andreas Platthaus von der FAZ.

    Platthaus: Ja, man darf, ganz sicher. Man muss vielleicht sogar, weil es Möglichkeiten gibt, Leute vielleicht an den Holocaust zu erinnern oder ihn überhaupt erstmal zur Kenntnis zu bringen, die andere Quellen nicht nutzen. Es gibt Leute, die nicht ins Kino gehen, die nicht Sachbücher über diese ganze Materie lesen, es gibt vielleicht sogar Leute, die sagen, ein Roman über diese Frage ist mir zu anstrengend und das sind Leute, überwiegend vielleicht Jugendliche, die man mit einem Comic vielleicht eher an die Materie heranführen kann.

    Noltze: Sie haben das Werk gesehen, gelesen. Was steht denn drin und wie sieht es aus?

    Platthaus: Das ist die etwas heiklere Frage. Ob ich mit diesem Werk glücklich bin, muss ich zugeben, habe ich für mich noch nicht richtig entscheiden, was natürlich schon in gewisser Weise impliziert, dass da einiges schiefgegangen ist. Es sieht eine Idee zu schön aus für meinen Geschmack. Natürlich gibt es schreckliche Bilder darin, das ist gar keine Frage und Croci, der französische Autor des Ganzen, ist auch ein relativ virtuoser Erzähler. Das Problem ist, er hat mehrere Überlebendengeschichten, die er alle recherchiert hat, zu einer geradezu prototypischen zusammengefasst. Das führt zu einer dermaßen dichten Abfolge von Entsetzen und Schrecken, wo ich keinen Zweifel habe, dass es das alles in den KZs gegeben hat, aber wo man dann doch sozusagen auf jeder Seite einem neuen Horror begegnet, wo - man sagt es ungern - der Alltag eines KZ, der schrecklich genug war, überhaupt keine Rolle mehr spielt. Hier wird tatsächlich nur getötet, nur gefoltert, hier sterben die Leute wie die Fliegen. Alles das ist passiert, aber wie man aus Art Spiegelmans Comic weiß, aus anderen Romanhandlungen und Sachbüchern, hat es diesen durchgehenden Schrecken, wo man von jeder Sekunde auf die nächste immer wieder Tote sieht, so selbstverständlich nicht gegeben. Darum ist der Comic zu spekulativ in der Anlage und zu spektakulär in dem, was er erzählt.

    Noltze: Das wäre ein Einwand auf der Ebene des Narrativen, der Dramaturgie, des Erzählerischen. Vielleicht kann man den auch weiterführen ins Ästhetische, denn es sieht tatsächlich ein bisschen aus wie ein Manga-Comic, also ist auf eine spezifische Weise überzeichnet.

    Platthaus: Das stimmt, das ist natürlich auch gewollt. Man muss sich vor allem nur die Augen der Personen ansehen, die alle aus den Höhlen heraustreten, völlig egal ob es sich um Opfer oder Täter handelt. Das sind in gewisser Weise Gespenstergestalten, die hier inszeniert werden und das soll natürlich diese Horroratmosphäre besonders unterstreichen. Es gibt eine Traumsequenz in diesem Comic, wo Nosferatu, der Film von Friedrich Wilhelm Murnau, als Bild zitiert wird, einfach um die Fortsetzung dessen, was schon Siegfried Cracauer behauptet hat, dass von Nosferatu eine gerade Linie bis zu Hitlers Vernichtungsphantasien führt, um das noch einmal zu belegen. Das Problem ist: das alles hat man schon gesehen. Das ist letztlich nichts mehr Neues, eine Art Versatzstück, was hier ästhetisch zusammengestellt worden ist aus allen möglichen Bildmotiven, man hält es natürlich wieder in schwarz-weiß-grau, das Ganze ist in ganz engen eckigen Bildern eingelegt, es gibt dann zwischendurch große ganzseitige Zeichnungen, die besonders schreckliche Szenen zeigen. Das ist überästhetisiert in einem Maße, das es dann eben wieder unerfreulich macht. Es fehlt einfach die Sachlichkeit in diesem Comic.

    Noltze: Bei der Kritik, die geäußert wurde, übrigens nicht von zum Beispiel Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, der ähnlich wie Sie sagt, man muss eigentlich jedes Medium nutzen, um aufzuklären, auch Rafael Seligman wird zitiert in einer ähnlichen Weise, aber dahinter ist ja immer die Frage das alte Realismusproblem: kann ein Comic realistisch sein, eignet sich das Genre zum Dokumentarischen? Andere sagen Nein.

    Platthaus: Ich glaube, dass sich überhaupt nichts dazu eignet, etwas wie Massenvernichtungslager darzustellen. Das kann nicht realistisch sein und wenn es realistisch wäre hätten wir den ultimativen Horror. Das wäre unerträglich. Alles ist natürlich gebrochen, selbst Dokumentarfilme wie der von Claude Lanzmann, auf den sich Croci auch ganz ausdrücklich beruft, sind selbstverständlich bereits über die Vermittlung mehrfach gebrochen. Das kann man nicht gegen den Comic ausspielen, wenn man es anderen Medien zugesteht. Aber es gibt selbstverständlich Comics, die genau das leisten und witzigerweise ist genau gleichzeitig mit 'Auschwitz' ein anderer Comic auch bei ehapa erschienen, nämlich 'Yossel' ein Comic von Joe Kubert, einem Amerikaner, der für meinen Geschmack ganz exzellent die Judenvernichtung thematisiert ohne sie direkt in die Vernichtungslager zu tragen, weil da der Widerstand im Warschauer Ghetto geschildert wird. Wenn man sich das dagegen ansieht, ein ganz skizzenartig gehaltener Comic, der mit ganz vielen Erzähltexten arbeitet, mit Einzelbildern, die viel mehr auf die Personen eingehen, die darin mitspielen und sie eben auch nicht als Zerrbilder zeigt, sondern wirklich als Skizzen menschlicher Existenzen, dann sieht man, wie man damit umgehen kann. Es ist ein Glücksfall, dass diese beiden Comics zur gleichen Zeit herauskommen, weil man daran exemplarisch zeigen kann, wie es geht und wie es weniger gut geht.