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AfD-Kulturkämpfe
Erinnerungskultur als Wohlfühloase

Keine Gedenktafeln, keine Mahnmale und erst recht keine Diskussionen – in Hannover tobt seit langem ein Kampf um das Gedenken an die NS-Zeit. Die AfD sperrt sich in vielen Bereichen, fürchtet eine Gesinnungsindustrie, kritisiert Diversität im Kulturbereich und fühlt sich ausgegrenzt.

Von Alexander Budde | 06.07.2019
Niedersachsen, Walkenried: Jens-Christian Wagner (r), Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, und Henning Haßmann, Landesarchäologe vom niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, stehen mit einer hochauflösende Abbildung der Geländeoberfläche neben einem Gedenkstein vor dem Fundort des Sammelgrabes. Das ehemalige Konzentrationslager an der Grenze zwischen Niedersachsen und Thüringen war das größte Außenlager des KZ Mittelbau-Dora.
Jens-Christian Wagner (r), Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten neben einem Gedenkstein vor dem Fundort des Sammelgrabes Ellrich-Juliushütte, dem größten Außenlager des KZ Mittelbau-Dora. (picture alliance / Swen Pförtner / dpa)
"Wir erleben in Deutschland in den letzten 20 Jahren eine Art Wohlfühl-Erinnerungskultur: Wir trauern und identifizieren uns mit den Opfern, bekennen, dass das 20. Jahrhundert ein ganz schreckliches Jahrhundert der Massenmorde gewesen ist - und fühlen uns dann wohl, dass es heute nicht mehr so ist."
Für Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, bedeutet das, den Blick nicht nur auf die Leichenberge in den KZs, sondern schon auf die Frühphase des Nationalsozialismus zu richten: auf Ausgrenzung, Verfolgung und schließlich Ermordung von ganzen Bevölkerungsgruppen, die nicht in die propagierte Volksgemeinschaft zu passen schienen.
"In dieser Wohlfühl-Erinnerungskultur, die von Entlastungs-Diskursen getragen ist, werden keine Fragen gestellt. Und genau die Fragen nach der Funktionsweise der NS-Gesellschaft, die müssen wir stellen! Dann können wir, sauber hergeleitet historisch und wissenschaftlich fundiert, Aktualitätsbezüge herstellen. Und genau das passt Neuen Rechten natürlich nicht!"
Schaden für das Gremium
Sauber hergeleitet werde in der Gedenkstättenpädagogik wenig, meint Christopher Emden. Er ist Abgeordneter der AfD-Fraktion im niedersächsischen Landtag:
"Ich sage jetzt mal ein bisschen provokant: Wir sind ja diejenigen, die ausgegrenzt werden!"
Ein Stiftungsrat überwacht Haushalts- und Stellenplan. Ursprünglich war es die Regel, dass jede Fraktion im Landtag automatisch einen Vertreter in das Gremium entsendet. Nach den letzten Landtagswahlen im Herbst 2017 pochte auch die AfD darauf– aus gutem Grund, meint Emden:
"Wir haben zunehmend den Eindruck, dass das eine kleine Industrie geworden ist. Es nicht mehr nur um die Gedenkstätte an sich geht, sondern dass man hier auch darum bemüht ist, Posten zu schaffen – und das ist eigentlich etwas, was der ganzen Sache maßgeblich schadet!"
Eine Erinnerungs- und Gedenkstättenindustrie? Aufgrund solcher Aussagen befürchtet Stiftungs-Geschäftsführer Wagner, dass der Schadensfall mit dem Einzug der AfD in das Gremium eingetreten wäre.
"Und dann erreichten mich zahlreiche Schreiben von Überlebenden-Verbänden, die ihre große Sorge ausdrückten - bis dahin, dass einige Verbände sagten, wenn Vertreter der AfD als einer Partei, in der rassistische, antisemitische Positionen mindestens geduldet werden, im Stiftungsrat sitzen, dann können wir in den Gremien der Stiftung nicht mehr mitarbeiten."
Kulturkampf mit Rechtspopulisten
Die Parteien – mit Ausnahme der AfD – einigten sich, das Stiftungsgesetz so zu ändern, dass fortan das Landtagsplenum aus seiner Mitte heraus vier Abgeordnete gleich welcher Fraktionsangehörigkeit in den Stiftungsbeirat wählt – doch längst wird der Kulturkampf mit den Rechtspopulisten auch an anderen Schauplätzen geführt - am Schauspiel Hannover zum Beispiel:
In "My body belongs to me" beschäftigte sich eine in Niedersachsen ansässige Gruppe sudanesischer Frauen beim Theaterfestival "Theaterformen" mit dem Thema weibliche Genitalverstümmelung. Das Publikum diskutierte im Anschluss ergriffen – doch AfD-Politiker Emden sieht bei den Theatermachern ideologischen Mainstream am Werk:
"Auf den ersten Blick soll das alles wahnsinnig bunt und vielfältig sein. Aber wenn man da mal hinter die Fassade guckt, dann sieht man, dass das vielfach in eine ganz bestimmte Richtung geht, nämlich eine Übertoleranz, die es in der Form gar nicht geben kann in der Praxis. Wenn wir sagen, jeder darf hierhin kommen und darf sich verhalten, wie er meint, wie seine Religion, wie sein Kulturkreis es gebietet, dann führt das überspitzt formuliert in Richtung Anarchie!"
"Ich würde sagen, dass das Denken in identitärer Hinsicht meistens deshalb so problematisch ist, weil es überhaupt nicht unserer Realität entspricht."
Theater als Streitraum
Hält Sonja Anders dagegen – die künftige Intendantin des Schauspiels Hannover sieht die Diversität der Stadtgesellschaft mit ihren vielen marginalisierten Stimmen noch lange nicht abgebildet im Theater.
"Das Theater ist für mich eine Institution innerhalb einer Stadt, die ein Streitraum sein darf und soll, der nicht nur durch uns, also durch die Theatermacher, geprägt ist, sondern auch durch die Polis im besten Fall. Das heißt, die Menschen, die zu uns kommen, haben auch einen Anteil daran, was diskutiert wird und was dabei herauskommt."