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AfD-Programm
"Die Wölfe haben den Schafspelz ausgezogen"

Der Publizist Michel Friedman hält das Parteiprogramm der AfD für gefährlich. Die Grundsätze der AfD zum Islam griffen in die Religionsfreiheit ein und seien damit ein "demokratiebedenkliches Momentum", sagte er im DLF. Außerdem seien sie rückwärtsgewandt: "Wir reden darüber, ob wir ins letzte Jahrhundert zurückkehren".

Michel Friedman im Gespräch mit Thielko Grieß | 02.05.2016
    Michel Friedman: Rechtsanwalt, Kolumnist, Fernsehmoderator, Politiker (CDU) und ehemaliger stellvertrender Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland - hier in der Sendung Menschen bei Maischberger
    Michel Friedman, Fernsehmoderator und Politiker (CDU) (Imago / Revierfoto)
    Thielko Grieß: Am Wochenende hat sich die Partei "Alternative für Deutschland" ein Parteiprogramm gegeben. Hier einige Kernaussagen: Der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Deutschland müsse außerdem raus aus dem Euro. Die Wehrpflicht solle wieder eingeführt werden. Die AfD wendet sich gegen eine ausdrückliche Gleichstellungspolitik und Geschlechterquoten und möchte den Atomausstieg rückabwickeln und in die Atomkraft wieder neu einsteigen. - Das nur einige Beispiele aus dem Parteiprogramm der AfD.
    Am Telefon begrüße ich Michel Friedman, Publizist und ehemaliger stellvertretender Vorsitzender im Zentralrat der Juden in Deutschland. Guten Tag, Herr Friedman.
    Michel Friedman: Ich grüße Sie. Guten Tag.
    Grieß: Wären Sie Verfassungsschützer, würden Sie die AfD beobachten lassen?
    Friedman: Festzustellen ist erstens: Die Wölfe im Schafspelz haben den Schafspelz ausgezogen. Zweitens ist festzustellen, dass der Begriff der geistigen Brandstiftung nie zu unterschätzen ist. Wenn Menschen permanent aufgewühlt werden, wenn Verallgemeinerungen gegen eine Gruppe wie den Islam zum Alltag gemacht wird, wenn also geistige Hetze stattfindet, dann ist allerhöchste Vorsicht geboten. Man darf nicht vergessen, dass der Islam anders als die AfD es meint eine der drei Weltreligionen ist und jedenfalls die Menschen, die bei uns leben - und es ist eigentlich schon mühselig und das ist eine Reaktion auf die AfD, das betonen zu müssen -, zum allergrößten Teil so freundlich und demokratiefreundlich leben wie sehr viele deutsche Nichtmuslime, und es bildet sich gerade eine Parallelgesellschaft. Die ist verbal gewalttätig, teilweise richtig gewalttätig, die ist antidemokratisch, die verletzt das Grundrecht der Religionsfreiheit, und das sind die Mitglieder, die Anhänger, aber auch ein Teil der Funktionäre der AfD, die diese Parolen täglich in diese Gesellschaft hineinposaunen.
    "Die Verallgemeinerung ist das ganz große Problem"
    Grieß: Herr Friedman, die AfD gesteht jedem Moslem die Ausübung seiner Religion zu. Sie hat nur etwas gegen Minarette. Warum ist das geistige Hetze?
    Friedman: Es ist keine geistige Hetze, sondern es ist ein demokratiebedenkliches Momentum. Sehen Sie, in dieser Religionsfreiheit steckt ja gerade drin, dass die Religionen selbst bestimmen können, wie sie die Religionsausübung durchführen. Das muss innerhalb der Gesetze möglich sein. Und so gesehen ist es natürlich denkbar, dass ein Minarett eine Moschee schmückt, genauso wie ein Kirchenturm Kirchen schmückt. Das sind Eingriffe, die jedenfalls bisher in dieser Radikalität und gekoppelt mit einer Assoziation, dass in all diesen Moscheen, die Minarette hätten, Terrorismus, Gewalt, jedenfalls eine für Deutschland gefährliche Haltung ist. Diese Verallgemeinerung ist das ganz große Problem. Natürlich können wir und müssen wir über alle gesellschaftlichen Gruppen, die in Deutschland sind, streitig mit- und untereinander diskutieren, aber differenziert. In dem Moment, wo die Differenzierung verloren geht, ist die Gefahr der Hetze groß.
    "Gefährliche Enthemmung von Wählerschichten"
    Grieß: Nun gibt es aber ja offensichtlich in Deutschland, Herr Friedman, eine Wählerschaft für die AfD. Können Sie dem Gedanken etwas abgewinnen, dass es sinnvoll ist, dass diese Wählerschaft im Parteiensystem einen Adressaten findet?
    Friedman: Aber diese Wählerschaft hatte ja bisher schon Adressaten. Die sind ja nicht völlig neu entstanden und Wähler aus dem Mars mit deutscher Staatsbürgerschaft plötzlich in Deutschland wieder gelandet. Die waren teilweise versteckt in allen demokratischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland, die waren immer schon ein Teil der Nichtwählergruppe. Und sie haben durch die Enthemmung und Salonfähigkeit dessen, was wir früher bei der NPD deutlich mit großer Sorge verfolgt haben, nach einer Enthemmungswelle, die mit Sarrazin begann, mit dem eurofeindlichen, auch national-europäischen Konflikt über die Lucke-AfD und nun endgültig das hässliche Gesicht des Nationalismus, der rassistischen Melodien jedenfalls uns in die Öffentlichkeit getragen, Pegida gar nicht erwähnt. Was wir in Deutschland momentan erleben ist die Enthemmung, und zwar die gefährliche Enthemmung dieser Wählerschichten, die, wie ich sagte, es schon immer nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa gegeben hat. Es gibt eine Untersuchung, und zwar eine wissenschaftliche der Europäischen Union, die uns schon vor Jahren deutlich gemacht hat, in ganz Europa gibt es ungefähr 20 Prozent Menschen, die demokratiefeindlichen und rassistischen Stereotypen hinterherlaufen. Nun sehen wir sie mit offenen Augen. Wir können nicht mehr so tun, als ob es sie nicht gibt und als ob wir nichts davon wüssten.
    "Wir reden darüber, ob wir ins letzte Jahrhundert zurückkehren"
    Grieß: Herr Friedman, Sie haben einst eine Funktion auch im CDU-Bundesvorstand gehabt. Das ist schon lange her.
    Friedman: Nein, ich habe überhaupt keine Funktion. Seit 30 Jahren schon nicht mehr.
    Grieß: Gehabt! - Gehabt! - Das ist schon eine Weile her. Aber dennoch die Frage an Sie: Der CDU oder den konservativen Parteien, der Union insbesondere wird vorgeworfen, sie habe ein Vakuum hinterlassen, weil sie sich zu schnell und überhaupt modernisiert habe. Ist das jetzt die Quittung für einen strategischen Fehler?
    Friedman: Ich glaube, dass wir uns das damit viel zu einfach machen. Wir sehen, dass die Wählerwanderungen gerade in den Landtagswahlen von der Linken übrigens bis hin zur SPD und natürlich sehr primär bei der CDU feststellbar sind. Ich glaube, dass wir hier ein gesellschaftspolitisches Problem haben, nämlich dass etwas ganz deutlich zu sehen ist, was früher bei Kneipen in den Hinterzimmern zu hören war, oder bei der bürgerlichen Elite hinter verhaltener Hand. Die Enthemmung, dass man jetzt Dinge sagen kann, die man früher zurecht nicht laut sagen konnte, ist ein Phänomen, das gesellschaftspolitisch und parteipolitisch grundsätzlich ist. Ich mache mir übrigens auch sehr große Sorge, weil hinter all dem, was wir diskutieren, ist letztendlich eine Demokratiegefährdung vorhanden. Wir reden doch nicht darüber alleine, wie man mit Menschen muslimischen Glaubens umgeht, sondern wir reden darüber, wie man mit Menschen umgeht. Wir reden doch nicht darüber, ob es eine Parteipolitik der CDU oder der SPD trifft, wenn wir über die Frage reden, zurück zum Nationalismus, zurück zu einer Dominanz einer Religion, sondern wir reden darüber, ob wir ins letzte Jahrhundert zurückkehren, wo Krieg eigentlich das Momentum war, Rassenhass und Krieg, oder ob wir das moderne 21. Jahrhundert fortsetzen wollen. Diese gesellschaftspolitische Auseinandersetzung gilt es jetzt ganz offensiv und streitig zu führen.
    "Als Jude kann man nicht ohne Angst in diesem Land leben"
    Grieß: Müssen sich Juden auch in Deutschland von der AfD bedrängt fühlen?
    Friedman: Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin jetzt 60 Jahre alt. Ich lebe seit über 50 Jahren in Deutschland. Damals waren es die echten deutschen Nazis, die immer noch mitten unter uns waren, meine Lehrer, die mich bedroht haben. Dann kam die nächste Generation, die übrigens parteipolitisch erfolgreich war: die Republikaner in Baden-Württemberg mit über zehn Prozent und auch teilweise die NPD. Wir haben auch heute noch die meisten Anschläge auf Synagogen oder auf Friedhöfe vom rechtsradikalen, deutschen, christlichen Hintergrund. Aber richtig ist auch, das muss man feststellen: In den letzten drei, vier, fünf Jahren sind vermehrt auch von islamischen Bürgern in unserem Lande Anschläge auf jüdische Einrichtungen festzustellen. Aber die Mehrheit der Anschläge kommt von Deutschen, und zwar von Deutschen, die nicht Muslime sind.
    Grieß: Also ja?
    Friedman: Natürlich! Ich meine, solange Synagogen, solange Gemeindezentren der jüdischen Gemeinschaft permanent unter Polizeischutz stehen, und das tun sie jetzt seit über zwei Jahrzehnten, solange kann niemand sagen, dass man als Jude in Deutschland ohne Gefahr, ohne Angst in diesem Land leben könne.
    Grieß: Der Publizist Michel Friedman bei uns im Deutschlandfunk. Herr Friedman, danke für das Gespräch!
    !°!Friedman:!! Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.