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AfD-Wahlkampf in Berlin
Gefühlte Realität

Nach dem Erfolg bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern hofft die AfD nun auch bei den Berliner Wahlen auf hohe Ergebnisse. In den Straßen-Wahlkampf zu ziehen, trauen sich viele der Aspiranten für das Abgeordnetenhaus nicht - dafür trauen sie ihrem Gefühl.

Von Claudia van Laak | 14.09.2016
    Georg Pazderski, Spitzenkandidat der AfD in Berlin, ist auf einem Wahlplakate zu sehen, das an einem Pfahl vor einer S-Bahn-Strecke hängt.
    Georg Pazderski ist Spitzenkandidat der AfD in Berlin. (imago stock&people)
    afd.berlin.de – hier findet sich die Webseite der Alternative für Deutschland, Landesverband Berlin. Auf der Suche nach Terminen, um den Wahlkampf der Rechtspopulisten zu begleiten. Vergeblich: Die AfD veröffentlicht keine Wahlkampftermine. Mehr noch: Öffentliche Veranstaltungen und Kundgebungen finden überhaupt nicht statt. Weder Auftritte der Bundesvorsitzenden Frauke Petry noch der Berliner Landesvorsitzenden Beatrix von Storch. Spitzenkandidat Georg Pazderski sagt warum:
    "Erstens Mal haben Sie in Berlin große Ablenkung. Des Weiteren haben wir das Problem, dass unsere Veranstaltungen auch bedroht werden durch Linksradikale."
    In Berlin traut sich die AfD also nicht mit Kundgebungen auf die Straße - anders als in Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen. Aber: Was ist mit Infoständen? Anruf beim Pressesprecher. Hm. Er wisse auch nicht so genau, wann und wo die Mitglieder ihre Infostände aufbauten. Sein Angebot: Wir organisieren Ihnen einen Wahlkampfstand. Gesagt, getan.
    Hoffnung auf Stimmen der Nicht-Wähler
    Die Schlossstraße in Steglitz, im Süd-Westen der Stadt - keine Gefahr von Linksradikalen, das hier ist CDU-Gebiet. Drei, vier AfD-Wahlkämpfer im Rentenalter bauen den Stand auf, hissen die blaue AfD-Fahne, verteilen Prospekte.
    Die Stimmung ist super. Kein Wunder. Das gute Abschneiden der Rechtspopulisten in Mecklenburg-Vorpommern hat für den letzten Schwung gesorgt. Wahlziel in Berlin: 15 Prozent.
    "Darüber hinaus hoffen wir natürlich, dass die Nicht-Wähler sich entscheiden und sagen, diesmal will ich wählen, weil ich politisch etwas verändern will."
    Politisch verändern in den Bezirken, denn am Sonntag ist auch Kommunalwahl. Und da die hauptamtlichen Stadtratsposten in den zwölf Berliner Bezirken - jeder für sich eine kleine Großstadt - nach Proporz verteilt werden, wird AfD vermutlich dort zum ersten Mal bundesweit politische Verantwortung übernehmen.
    "Es sind nicht alle Moslems scheiße"
    Spitzenkandidat Georg Pazderski - ein früherer Bundeswehroffizier - gehört nicht zu den Radikalen à la Björn Höcke, könnte mit seinen Positionen auch Mitglied der CSU sein. Das Geschäft der rassistischen Islam- und Flüchtlingshasser überlässt er anderen im Berliner Landesverband, Andreas Wild zum Beispiel. Er sagte zum Thema Asylbewerber:
    "Bereits in Deutschland lebende Menschen können wir in spärlich besiedelte Landstriche Deutschlands bringen und sie dort geschützt unterbringen und natürlich darf da nicht jeder raus oder rein wie es ihm gefällt."
    So der private Arbeitsvermittler - Platz 16 auf der Liste zum Berliner Abgeordnetenhaus - bei einer Kundgebung in Thüringens Landeshauptstadt Erfurt. Spitzenkandidat Pazderski schwächt ab.
    "Also er hat ja nicht Lager gefordert."
    "Nein, ich bin nicht falsch verstanden worden. In allen Ländern der Welt werden Flüchtlinge in Flüchtlingslagern untergebracht," sagt Andreas Wild. Ihm zur Seite - auch ideologisch - der Deutsch-Pole Joachim Bartz. Der frühere Boxer pflegt einen - na ja, rustikalen Sprachstil:
    "Es sind nicht alle Moslems scheiße. Es sind sehr viele, aber nicht alle."
    Gefühl versus Verstand
    Osteuropäische Migranten wie Joachim Bartz sind die Zielgruppe der Rechtspopulisten. Die AfD verteilt Wahlwerbung auf Polnisch und Russisch. Sie will bei der Wahl auch von den Spätaussiedlern profitieren, die Putin lieben und Merkel hassen. Spitzenkandidat Pazderski weiß, "dass gerade diese Gruppen in Berlin doch ein traditionelles Verständnis von Familie haben, wie ein Staat funktionieren soll, die haben ein klares Verständnis, was Innere Sicherheit bedeutet. Die fühlen sich in Berlin nicht so wohl, wie sie sich gerne wohlfühlen würden."
    Gefühl versus Verstand. Im AfD-Wahlkampf wird viel gefühlt. Erstaunlich für einen Offizier a. D., der stolz ist auf seine militärischen Analyse- und Strategiefähigkeiten:
    "Es geht nicht nur um die reine Statistik, sondern es geht darum, wie das der Bürger empfindet. Perception is reality. Das heißt: Das, was man fühlt, ist auch Realität."
    Gefühlt wird die AfD im Schlafwagen ins Abgeordnetenhaus fahren. Große Wahlkampfanstrengungen sind dafür nicht nötig.