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Afghanen in Angst

Noch beschäftigen die ausländischen Truppen in Afghanistan Tausende Einheimische. Auch in den deutschen Feldlagern arbeiten Afghanen als Übersetzer, Elektriker, Handwerker. Sie fürchten um ihre Arbeit und ihre Sicherheit nach dem Abzug.

Von Kai Küstner | 19.05.2012
    Das, was Baryalai Hoshmand empfindet, wenn er an den Abzug der Deutschen aus Afghanistan denkt, lässt sich mit einem Wort treffend ausdrücken. Es lautet - Angst:

    "Wenn die Bundeswehr oder ISAF von hier weggehen, dann denke ich: Das wird wie in der Talibanzeit. Das merke ich jetzt."

    Hoshmand lebt im nordostafghanischen Feisabad. Seit mehr als drei Jahren ist er dort für die Bundeswehr als Übersetzer tätig. Denn in Feisabad befindet sich ein sogenanntes Wiederaufbauteam der Deutschen, ein Feldlager mit fast 200 Soldaten. Noch. Denn dieses Feldlager macht bis zum Herbst komplett dicht:

    "Ich sehe für Afghanistan keine Zukunft. Wenn man jeden fragt, wie geht's weiter mit der Sicherheit, wenn ISAF weggeht, dann sagen die Leute: schlecht wie früher."

    Eigentlich gibt es bislang noch wenig Anzeichen, dass seine düstere Prophezeiung eintreten könnte. Zumindest hier: Denn dieser Landstrich mit seinen an das Auenland im Film 'Herr der Ringe' erinnernden und grün schimmernden Hügeln ist nicht nur schön. Er gilt im afghanischen Vergleich auch als einigermaßen sicher. Lediglich in einem Distrikt der Provinz Badachschan machen die Taliban von sich reden. Doch die gefühlte Sicherheit ist bei den Afghanen nicht besonders ausgeprägt. Was auch daran liegt, dass die Provinz bettelarm ist:

    "Wenn man keine Arbeit hat und für seine Familie Lebensmittel und alles besorgen muss – und dann zum Beispiel die Taliban kommen und sagen: wir bezahlen 200 bis 300 Dollar im Monat und geben dir Arbeit – dann sagen die Leute: Das ist doch egal, wir müssen Geld verdienen. Und die machen das."

    Vielleicht rührt die Angst des jungen Übersetzers auch daher, dass er – wie so viele seiner Generation - im Grunde nie etwas anderes als Krieg und Gewalt erlebt hat. Weil ihm als Kind Granatsplitter in der Hüfte steckten, kam er Anfang der 1990er-Jahre nach Deutschland. Wurde dort operiert. Und lernte deutsch. Was ihm heute hilft. Noch. Denn irgendwann sind die Deutschen ja wieder weg. Dann würde er wieder zum Flüchtling werden, sagt Hoshmand, wie früher, als er sich schon einmal vor den Taliban nach Pakistan rettete:

    "Ich bin Schneider. Ich kann auch einen Laden aufmachen im Nachbarland. Wie früher, da war ich in Pakistan und hatte ein Geschäft."

    Über 90 Prozent der afghanischen Wirtschaft sind derzeit noch von den Geberländern getrieben. Hoshmand hat sich da – zunächst jedenfalls – abgesichert: Er wird, wenn das Feldlager in Feisabad schließt, zunächst nach Masar-e-Sharif versetzt. Bei Said Ali ist das anders:

    "Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn das Bundeswehrlager hier zumacht. Ich muss zu Hause zehn Personen ernähren. Ich weiß noch nicht wie."

    Said Ali ist derzeit im Camp Faisabad als eine Art Hausmeister tätig. Der ältere Mann blickt voll Sorge in eine ISAF-lose Zukunft. Nicht unbedingt, weil er glaubt, dass dann die Taliban mit aller Macht zurückschlagen. Es ist seine unmittelbare Umgebung, es sind seine Nachbarn, denen er misstraut. Die nämlich gingen sicher davon aus, dass er sich über die Jahre im Camp eine goldene Nase verdient habe und seien neidisch, sagt er:

    ""Ich habe große Angst. Wenn jemand daheim krank wurde, habe ich die hier ins Camp auf die Krankenstation gebracht. Jetzt denken die Menschen draußen, wenn ich das kann, bin ich ein ganz wichtiger Mann hier."

    Der Kommandeur der deutschen Truppen in Feisabad, Oberstleutnant Wienecke schätzt allerdings die Gefahr für die Afghanen als deutlich kleiner ein als sie selbst:

    "Ich verstehe aber solche Befürchtungen natürlich auch. Weil es eben etwas Neues ist. Ich selber habe diese Befürchtungen aber nicht."

    Mehr als 150 Afghanen sind in Feisabad für die Bundeswehr tätig. Schon bald werden sie nicht mehr von den Schutzwällen des Camps umgeben sein. Was aber nicht bedeute, dass man sie eine ungeschützte und ungewisse Zukunft entlasse:

    "Da wird für jeden geprüft: Wo gibt es andere Verwendungen? Und wir haben auch in der Vergangenheit schon Menschen in andere Verwendungen gebracht. Die nicht automatisch bei ISAF sind. Das ist - ich vergleich jetzt mal mit zu Hause - wie bei Schlecker. Das geht nicht von heute auf Morgen. Aber: Jemand, der hier über Jahre in der Werkstatt gearbeitet hat, ist, auch wenn er keinen Abschluss hat, ist, wenn er hier auf den Arbeitsmarkt kommt, ein hoch qualifizierter Schreiner."


    Rund fünf Autostunden entfernt von Feisabad – die Stadt Kundus. Und ganz in der Nähe, ein weiteres Camp der Deutschen, das Wiederaufbauteam Kundus. Deutlich größer ist es - der Ausblick dafür nicht ganz so Postkarten reif. Und auch der Blick in die Zukunft für diese Provinz fällt weniger heiter aus. Die Taliban hatten sich hier in Kundus über die letzten Jahre gebietsweise eingenistet. Stärker, viel stärker als in Badachschan. Was im Umkehrschluss nicht heißen muss, dass die nun im Handumdrehen das Kommando übernehmen könnten. Aber die Ängste gibt es:

    "Die Sprachmittler, mit denen wir unterwegs sind, tun sich nach außen hin total vermummen. Verhüllen ihr Gesicht, sodass sie nicht wiedererkannt werden können. Ein anderer Teil tut sehr viel Geld beiseitelegen und sparen, um in andere Länder auszuwandern."

    Erzählt Hauptfeldwebel Tobias G., der in Kundus viel mit Afghanen zusammenarbeitet. Die Angst, durch die Kooperation mit den Deutschen eine Art Kainsmal auf die Stirn eingebrannt bekommen zu haben, das die Taliban sofort erkennen würden, ist weit verbreitet, auch Hoshamnd hat diese Angst:

    "Wenn Taliban hierher kommen, habe ich keine Chance zum Leben. Für mich ist das ganz schlecht."

    Der Blick in die afghanische Zukunft ist wie der sprichwörtliche Blick in die Glaskugel. Wie, das ist nur eine Frage von vielen, verlässlich werden die afghanischen Polizisten, die afghanischen Soldaten sein? Wie sehr lassen sie sich vom Gegner einschüchtern oder wahlweise bezirzen. Wie verlässlich zahlt der Staat den Sold? Wie sehr haben die Sicherheitskräfte das Gefühl, für eine gemeinsame, eine gute Sache zu kämpfen. Fest steht eines: Schon jetzt fürchten gerade afghanische Würdenträger, Politiker um Leib und Leben:

    "Die sind sehr nervös und haben Angst. Das ist auch nachvollziehbar. Weil die, die ich hier kenne, sind häufig die Nachfolger von Menschen, die umgebracht worden sind."

    Berichtet der Kommandeur des Wiederaufbauteams in Kundus, Michael Mittelberg, der oft berufsbedingt mit diesen gefährdeten Personen zusammenkommt. Was aber aus dessen Sicht nicht bedeuten muss, dass die Provinz auf den Abgrund zutaumelt. Das würden schon die Zahlen der Aufständischen nicht hergeben:

    "Wenn wir von Insurgents sprechen, dann reden wir nicht von Tausenden. Wenn ich das für Kundus hochrechne, dann reden wir von 200 bis 300 Hardcoreinsurgents. Wenn ich mir anschaue, wie viele Familien durch Arbeit bei uns im Lager ernährt werden, das sind 900 Arbeitnehmer. Wenn die alle das Ziel verfolgen, dass sie den erreichten Wohlstand erhalten wollen, dann können das auch 200 bis 300 Insurgents nicht umdrehen."

    900 Beschäftigte alleine im deutschen Camp in Kundus – das bedeutet, dass davon Tausende Familienmitglieder wirtschaftlich abhängen. Viele wünschen sich, dass die Deutschen ihnen irgendwie helfen, sich verantwortlich fühlen. Am besten ihnen ein Visum beschaffen:

    "Wenn alle die das Land verlassen, die zusammengearbeitet haben mit ISAF, dann hielte ich das für ganz schlecht. Eigentlich müssten wir Voraussetzungen schaffen, dass die gerade hierbleiben. Ansonsten hätten wir hier so 'nen Brain Drain."

    Letztlich muss die deutsche Politik entscheiden, wie sie mit den afghanischen Helfern umgehen will. Hoshmand jedenfalls hält sehr viel von der Idee mit den Visa. Den Einsatz der ausländischen Truppen in seinem Land fand er richtig und wichtig. Die Zukunft könne, so fürchtet er, für das Erreichte wie ein einziger großer Radiergummi wirken:

    ""Wenn die weggehen, das war umsonst. Alles. Alles war umsonst."