Donnerstag, 28. März 2024

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Afghanistan
Aufsätze mit wahrem Themenschatz

Am 31. Dezember 2014 endet der ISAF-Einsatz in Afghanistan. Bis dahin müssen sämtliche Kampftruppen das Land verlassen. Der Abzug ist eine Zäsur für das Land am Hindukusch - ebenso wie für die Nationen, die sich dort engagieren. In dem Buch "Deutschland in Afghanistan" geht um die Bedeutung des deutschen Einsatzes - doch richtig fesseln kann es nicht.

Von Sabina Matthay | 30.06.2014
    Bundeswehrsoldaten in Kundus
    Bundeswehrsoldaten in Kundus (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Drei Bundeswehrsoldaten vor staubiger, karger Berglandschaft. Steckt das Bild auf dem Umschlag die thematischen Grenzen des Buches ab? Nein, sagt Michael Daxner, Herausgeber der Aufsatzsammlung.
    "Sie haben immer wieder persönliche Stellungnahmen, aber Sie haben nicht so eine Eindeutigkeit wie 'Ja zum Krieg', 'Nein zum Krieg', 'Ja zu Deutschland in Afghanistan'.
    Der Konfliktforscher und Interventionssoziologe Daxner beschäftigt sich seit Jahren mit Afghanistan und hat 13 Autoren, überwiegend Wissenschaftler, versammelt für dieses Buch. Die Absicht:
    "Eine Art Länderkunde der Intervention mit dem Ziel, die Menschen des Dort an die Menschen des Hier, an uns, zu vermitteln."
    Die "Menschen des Dort", also die Afghanen, tauchen in den Beiträgen allerdings nur am Rande auf. Stattdessen behandeln die Aufsätze den deutschen Anteil an der Afghanistan-Intervention für das Publikum in Deutschland. Auch das hat seinen Wert.
    Den Auftakt macht Hermann Kreutzmann mit einer Schilderung der Zuckerfabrik Baghlan, es ist der einzige Beitrag über zivile deutsch-afghanische Entwicklungszusammenarbeit.
    "Eine einzigartige, museumsreife Fabrik wurde wieder zum Laufen gebracht. Das Symbol afghanisch-deutscher Zusammenarbeit ist auferstanden und in seiner Hülle vollkommen intakt. Die Maschinen sind geschmiert und funktionsfähig. Nur fehlte es am nötigen Grundstoff, den Rüben, für den Betrieb sowie an adäquaten Einstandskosten, mit denen die Fabrik marktgerecht produzieren konnte."
    Schädlingsbefall, widerwillige Bauern, renitente lokale Machthaber und Fehleinschätzungen seitens der deutschen Investoren und Aufbauhelfer sorgten dafür, dass die Zuckerfabrik sich aus der Abhängigkeit von deutschen Subventionen nie befreien konnte und de facto gescheitert ist.
    Ein Stoff, der reich ist an Konflikten und Dramatik. Richtig erzählt, könnte er fesseln – was den Autoren dieses Sammelbandes allerdings kaum gelingt.
    Politiker sollten sich ein eigenes Bild machen
    Eine glückliche Ausnahme ist der Beitrag von Tom Koenigs. Der Grünen-Politiker war als UNO-Sonderbeauftragter für Afghanistan von 2006 bis 2007 Anlaufstelle für ausländische Besucher in Kabul. Hier Koenigs Begegnung mit dem Journalisten Peter Scholl-Latour:
    "Er wolle alles ganz genau wissen, sagte, er, sei gekommen, um zuzuhören, sagte er, denn ich müsste doch die Lage vor Ort am besten kennen, sagte er, er sei häufig in diese Region gereist, sagte er, vor allem früher, als Afghanistan noch .... und Kabul ... und er sei ... und er habe ... sagte er und redete und redete."
    Die Besuche von Ministern, Gesandten, Abgeordneten aus aller Welt verliefen offenbar selten anregender, dennoch plädiert Koenigs für den Versuch insbesondere von Politikern, sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen.
    Die Politikwissenschaftlerin Berit Bliesemann de Guevaras erläutert den Performance-Charakter solcher Politiker-Reisen. Ihr Hauptbefund ist:
    "Dass nicht die Reisebeobachtungen über die Lage vor Ort die Sicht deutscher Politiker auf Afghanistan und ihre Politikempfehlungen formen, sondern dass vielmehr die heimische Politik die Linse bildet, durch die Afghanistan betrachtet und verschiedene Afghanistanbilder erzeugt werden."
    Das bestätigt der Beitrag der Grünen-Bundestags-Abgeordneten Agniezka Brugger, die mit ihren Erkenntnissen von solchen Reisen ihre Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes begründet. Gern hätte man auch den Bericht eines Einsatzbefürworters gelesen.
    Ein weiterer Themenblock widmet sich explizit dem Einsatz der Bundeswehr und dessen Konsequenzen: Michael Daxner betrachtet die Rückkehr der Afghanistan-Veteranen, Eric Sangar behandelt das Ansehen der Bundeswehr in der deutschen Bevölkerung und deren Verhältnis zum Krieg.
    Robert Clifford Manns Aufsatz über den Wandel des Leitbildes vom "Staatsbürger in Uniform" zum "archaischen Kämpfer" untersucht ein Kernproblem des Afghanistan-Einsatzes, nämlich das Selbstbild von Bundeswehrsoldaten, deren Auftrag lange unklar war.
    Immer wieder betrachten Autoren auch die Rolle der Medien bei der Vermittlung des Afghanistanbildes, etwa Hanna Neumann in ihrer Darstellung des sogenannten Heimatdiskurses. Michael Fuchs urteilt allerdings aufgrund eines offensichtlich sehr eingeschränkten Medienkonsums, wenn er behauptet:
    "Der tiefere Sinn der einsatzfokussierten medialen Berichterstattung liegt nicht darin, ein ungeschminktes und umfassendes Bild des Landes zu liefern. Der tiefere Sinn liegt in der Legitimation des Einsatzes für die deutsche Öffentlichkeit."
    Dennoch - diese Aufsätze bergen einen wahren Themenschatz. Umso bedauerlicher ist es, dass es den Autoren – bis auf Koenigs – nicht gelingt, diesen wichtigen und spannenden Stoff so aufzubereiten, dass der interessierte Laie bei der Lektüre bleibt.
    So wartet dieser Schatz darauf, von Nichtwissenschaftlern gehoben zu werden. Denn es trifft zu, was Michael Daxner abschließend feststellt:
    "Wir haften teilweise für die Zukunft, die die Afghanen sich selbst schaffen. Das ist keine Frage des Ja oder Nein, es ist nur eine Frage des Wie."
    Michael Daxner (Hrsg): "Deutschland in Afghanistan"
    BIS-Verlag Universität Oldenburg, 264 Seiten, 15 Euro.