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Afghanistan-Expertin: Tornados werden Zieldaten für Angriffe liefern

Die Afghanistan-Expertin Citha Maaß erwartet auch nach einer Entsendung deutscher Aufklärungsflugzeuge steigenden internationalen Druck zum Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Süden des Landes. Im Endeffekt werde es dann auch um Bodentruppen gehen, sagte die Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 30.01.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Afghanistan steht in diesen Tagen im Blickpunkt. In der vergangenen Woche die Geberkonferenz in Paris und das Außenministertreffen der NATO. Gestern traf sich die so genannte EU-Troika mit dem afghanischen Außenminister. Ab heute, ebenfalls in Berlin: die internationale Konferenz der G8-Staaten. Und: Voraussichtlich in der kommenden Woche entscheidet die Bundesregierung, ob sie die Tornado-Aufklärungsflugzeuge freigibt, die von der NATO angefordert worden waren. Die internationalen Aktivitäten haben ihren Grund: Die Gewalt am Hindukusch ist im vergangenen Jahr geradezu explodiert.

    Am Telefon ist jetzt Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen!

    Citha Maaß: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Wie kommt es denn, Frau Maaß, dass fünf Jahre nach dem Sturz der Taliban es immer noch keine Stabilität gibt in dem Land?

    Maaß: Man hat einiges geschaffen in Afghanistan, aber in manchen Dingen hat sich die Strategie als falsch erwiesen. Der Bonner Prozess hat sich vor allem auf den Aufbau von staatlichen Institutionen konzentriert, was für sich genommen richtig ist, nur, wie sich im letzten Jahr ganz deutlich gezeigt hat, diese Institutionen sind nicht funktionsfähig. Das ist also erstmal eine Frage sowohl der internationalen Gebergemeinschaft, aber auch der Regierung von Präsident Karsai, weil eben kein governance, kein good governance geschaffen wurde, kein rechtsstaatlicher Rahmen geschaffen wurde. Das trifft genauso auch die internationalen Geber, denn die Reform des Justizsektorbereichs ist nicht ausreichend vorangetrieben worden, auch nicht die Reform des Sicherheitssektors. Und ein weiteres Problem, was jetzt auch für beide wiederum zutrifft, ist die Korruption. Die Geber haben nicht genügend darauf gedrängt, dass Korruptionsmaßnahmen verhindert wurden. Dieser Mechanismus ist überhaupt nicht in den Bonner Prozess eingebaut worden, und die Regierung Karzai muss eben mit einer sehr, sehr hohen Korruption leben.

    Heckmann: Jetzt hat die amerikanische Administration angekündigt, dass sie ihr Engagement in Afghanistan verstärken wird, den militärischen und den finanziellen Aufwand erhöhen wird um zehn Milliarden US-Dollar. Das soll vor allem in die Ausbildung von Militär und Polizei gesteckt werden. Ist das ein vernünftiger Weg?

    Maaß: Also erstmal ist ja seit dem NATO-Gipfel in Riga Ende November klar geworden, es wird auch von allen gesagt, dass militärisch allein nichts zu bewirken ist. Man braucht also eine weitere Komponente, ich spreche jetzt immer von zwei Armen, man braucht den militärischen Arm, aber man braucht einen zivil-politischen, und der ist unterentwickelt. Der Polizeiaufbau, den habe ich selbst zwei Jahre durch meine Arbeit in Afghanistan verfolgen können, ist in manchen Dingen vorangeschritten, aber er hat nicht ausreichend die ganz schwierigen Gegebenheiten im Land berücksichtigt. Der deutsche Ansatz ist qualitativ langfristig angelegt, für sich genommen gut, nur zu langfristig. Der amerikanische Ansatz ist quantitativ ausgerichtet, hat eine Menge aber leider unqualifizierte Polizisten geschaffen. Und wir haben jetzt seit Sommer letzten Jahres als Reaktion auf die Eskalation im Süden das zusätzliche Problem, dass die Amerikaner Hilfstruppen, also Hilfspolizei rekrutieren, die aus den durchaus korrupten, durchaus mit Taliban sympathisierenden Stämmen im Süden rekrutiert werden. Die bekommen eine zehntägige Ausbildung und werden dann also als Hilfspolizisten eingesetzt, und das kann nicht gut gehen.

    Heckmann: Sie haben den Ansatz der Deutschen in Afghanistan angesprochen, die Deutschen, die ja im Wesentlichen im Norden des Landes ihrer Arbeit nachgehen, aber die können dieses Konzept, dieses Wiederaufbaukonzept ja auch nur deshalb so verfolgen, weil es dort ruhig ist. Und das ist doch so nicht übertragbar auf den Rest des Landes, oder?

    Maaß: Noch einmal ganz kurz zum Polizeiaufbau: Das ist natürlich auch von deutscher Seite national ausgerichtet. Aber jetzt zu Ihrer Frage: Der Norden wird immer als relativ friedlich betrachtet. Ich war im letzten Mai noch mal zu einer größeren Workshop-Reise in verschiedenen Landesteilen, und da ist mir gerade in Masar-il-Sharif im Norden gesagt worden, dass es dort eine ganze Reihe an Drohungen gegeben hat. Dadurch, dass die aber noch nicht ausgeführt wurden, also es wurden Lehrer bedroht, es wurde angedroht, dass Schulen verbrannt werden, dadurch, dass das nicht ausgeführt wurde, ist das nicht in die Medien gekommen. Und dadurch ist der Eindruck entstanden, dass der Norden relativ ruhig sei. Ob sich das in den nächsten Monaten weiter so bewahrheiten wird, sei dahingestellt. Ich bin da ziemlich skeptisch. Wesentlich für den Wiederaufbau der Deutschen im Norden war, dass sie von den bisherigen Rahmenbedingungen profitieren konnten, das heißt, sie konnten relativ eng mit der dortigen Bevölkerung zusammenarbeiten. Und das ist eine Voraussetzung für das deutsche Wiederaufbaukonzept, in das eben nicht die Bundeswehr, sondern viele Regierungsstellen, also KfW, GTZ, DED, Ziviler Friedensdienst eingebunden sind, und natürlich dann auch die PITs, also die provinziellen Wiederaufbauteams. Dieses Konzept lässt sich so auf den Süden nicht übertragen, weil die Rahmenbedingungen dort nicht gegeben sind.

    Heckmann: Die NATO hat Tornadoaufklärungsflugzeuge der Bundeswehr für den Süden angefordert. Das deutsche Verteidigungsministerium hat jetzt gesagt, dass die gewonnenen Informationen auch an die Operation "Enduring Freedom" weitergegeben werden sollen, wenn es auch restriktiv gehandhabt werden soll. Wird die NATO, wird Deutschland stärker in den Krieg hineingezogen, wenn diese Aufklärungsflugzeuge geschickt werden?

    Maaß:! Also der Tornadoeinsatz ist für mich der politische Kompromiss, der sich eigentlich schon vor dem NATO-Gipfel in Riga abgezeichnet hat. Man will eben vermeiden, deutsche Bodentruppen in den Süden zu schicken. Dass man dies vermeiden will, unterstütze ich deswegen, weil ich die rein militärische Strategie im Süden, so wie sie derzeit gefahren wird, für falsch halte. Dafür braucht man also nicht noch zusätzliche Soldaten. Dass im Süden auch etwas Neues hinzukommen muss, das ist vollkommen klar. Der NATO-Einsatz ist für mich der Kompromiss, um ein weit reichendes Engagement der Deutschen im Süden zu vermeiden, um gleichzeitig aber auch die Verpflichtung der Bündnispartnerschaft zu gewährleisten.

    Heckmann: Ein sinnvoller Kompromiss?

    Maaß: Unter den jetzigen Gegebenheiten, ja. Die Zieldaten, da dürfen wir uns nichts vormachen, die Zieldaten werden natürlich weitergegeben an die Bündnispartner und dienen dann militärischen Luftangriffen, das muss man einfach sich klarmachen. Für mich ist das Problem nicht die Tornados, sondern was geschieht nach den Tornados, weil ich befürchte, dass vom Frühjahr an, von März an der Druck der NATO-Partner, vor allem der USA, auf Deutschland steigen wird, im Endeffekt dann doch noch Bodentruppen in den Süden zu schicken. Also Druck wird weiter steigen, und darum endet das für mich nicht mit Tornados, sondern ich befürchte, es beginnt dann überhaupt erst.

    Heckmann: Zur internationalen Afghanistan-Konferenz heute in Berlin war das Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik.