Dienstag, 23. April 2024

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Afghanistan
"Friedensverhandlungsprozess wird schwierig"

Das Abkommen zwischen den USA und den radikal-islamischen Taliban soll Frieden für Afghanistan bringen. Doch bei den innerafghanischen Verhandlungen gibt es Rückschläge. Man dürfe sich keine Illusionen machen, dass der Prozess in wenigen Wochen abgeschlossen sei, sagte Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network im Dlf.

Thomas Ruttig im Gespräch mit Sarah Zerback | 12.03.2020
Der US-Sonderbeauftragte Zalmay Khalilzad und der Taliban-Mitbegründer Mullah Abdul Ghani Baradar unterzeichnen in der katarischen Hauptstadt Doha ein Abkommen für Afghanistan.
Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban Ende Februar 2020 (AFP/Karim Jaafar)
Der Friedensprozess in Afghanistan, gestützt von einer Vereinbarung zwischen den Taliban und den USA ist schwer umstritten. Die Waffenruhe wird gebrochen, die afghanische Regierung befindet sich zudem in einer Krise. Der Kern des Abkommens steht deshalb in Frage. Die Friedensgarantien der Taliban gegen den schrittweisen Abzug der US-Truppen - damit irgendwann auch innerafghanisch verhandelt werden kann.Um den Weg dafür frei zu machen, ist für die Taliban ein weiterer Punkt zentral. Sie fordern, dass 5000 Gefangene aus ihren Reihen freigelassen werden.
Thomas Ruttig ist seit vielen Jahren Kenner des Landes und Vizedirektor des Afghanistan Analysts Network, einer Nichtregierungsorganisation. Er beobachtet den schwierigen Friedensverhandlungsprozess und glaubt nicht, dass dieser innerhalb weniger Wochen abgeschlossen sein wird.
Frauenrechte in Afghanistan "Seit dem Sturz der Taliban 2001 hätten sich Frauen in Afghanistan viel erkämpft, sagte die Journalistin Shikiba Babori im Dlf. Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban könnte das wieder ändern.

Das Interview in voller Länge
Sarah Zerback: Ein Friedensprozess in Afghanistan, gestützt von einer Vereinbarung zwischen den Taliban, radikalen Islamisten, und den USA, einer ausländischen Regierung, das ist schwer umstritten und es gibt auch immer wieder Rückschläge. Die teilweise Waffenruhe wird gebrochen, die afghanische Regierung ist in der Krise, und so steht der Kern des Abkommens immer wieder in Frage. Die Friedensgarantien der Taliban gegen den schrittweisen Abzug der US-Truppen, damit dann irgendwann auch innerafghanisch verhandelt werden kann. Um den Weg dafür frei zu machen, ist für die Taliban ein weiterer Punkt zentral. Sie fordern, dass 5000 Gefangene aus ihren Reihen freigelassen werden. Ob dieser Preis zu hoch ist für Frieden im Land und ob das überhaupt der richtige Weg ist, dazu können wir uns nun Einschätzungen holen von Thomas Ruttig, seit vielen Jahren Kenner des Landes und Vizedirektor des Afghanistan Analysts Network, einer Nichtregierungsorganisation. Guten Morgen, Herr Ruttig!
Verhandlungen mit Taliban sind notwenig
Thomas Ruttig: Guten Morgen, Frau Zerback.
Zerback: Gestern nun hat die Regierung in Kabul ja den Forderungen nach langem Zögern zugestimmt, den Forderungen der Taliban, zunächst nicht alle, doch aber 1500 inhaftierte Taliban-Kämpfer freizulassen aus Gefängnissen. Die Taliban haben das dann aber Stunden später auch schon wieder zurückgewiesen. Wie herb ist denn dieser Rückschlag nun für die Verhandlungen?
Ruttig: Zum einen sollten die Verhandlungen ja schon vorgestern beginnen. Dazu ist es nicht gekommen. Für mich zeigt das, wie schwierig insgesamt dieser Friedensverhandlungsprozess zwischen der afghanischen Regierung, anderen Kräften in Kabul und den Taliban werden wird. Wir sehen, wenn die Taliban jetzt schon auch bei technischen Dingen, auf die es ja hinausläuft, solche Schwierigkeiten machen, wie schwierig es werden wird. Sie können ja nicht erwarten, dass 5000 Leute an einem Tag freigelassen werden, und sie verlangen unter anderem auch, dass nicht wie von Kabul verlangt Garantien abgegeben werden sollen, dass diese Freigelassenen nicht wieder in den Kampf zurückkehren können.
Zerback: Ist es von Grund auf naiv, überhaupt mit Kämpfern einer Extremistengruppe Verhandlungen führen zu wollen?
Ruttig: Das ist nicht naiv. Im Gegenteil! Es ist notwendig. Wenn man einen Krieg beenden will, und der Krieg in Afghanistan läuft schon seit 40 Jahren, dann muss man sich mit diesen Leuten zusammensetzen. Friedensverhandlungen in solchen Bürgerkriegen werden ja nie zwischen Freunden gehalten. Aber man darf sich auch keine Illusionen machen, dass das alles in ein paar Wochen gehen kann, und das scheint auch eines der Probleme zu sein vor allen Dingen von Seiten der USA, die da sehr viel Druck und sehr viel Tempo machen wollen, weil, wie bekannt ist, Präsident Trump häufig zu schnellen Entscheidungen neigt und befürchtet wird, dass er die Truppen aus Afghanistan abziehen wird, ohne dass es ein Abkommen gibt, und dann alles zusammenbrechen kann, was dort seit 2001 erreicht worden ist.
Taliban erkennen Regierung in Kabul nicht an
Zerback: Zumal ja bisher die afghanische Regierung bei den Verhandlungen nicht mit am Tisch saß, die sich ja bisher weigert, sich mit Taliban an einen Tisch zu setzen, die aber eigentlich in Zukunft Teil dieses Friedensprozesses werden sollen. Für wie realistisch halten Sie das denn unter diesen Bedingungen?
Ruttig: Es ist anders herum. Die Taliban wollten sich nicht mit der afghanischen Regierung zusammensetzen und auch bisher senden sie Signale aus, dass sie das gar nicht vorhaben. Das könnte sich auch hinter diesen Querelen um die Gefangenenfreilassung verbergen. Die Taliban sagen ja, dass sie die Regierung in Afghanistan nicht anerkennen. Sie erkennen auch die letzte Präsidentenwahl nicht an, die tatsächlich umstritten war, und deswegen hat die amerikanische Seite bei den bilateralen Verhandlungen mit den Taliban, die jetzt zu diesem Abkommen Ende Februar geführt haben, eine Klausel festgeschrieben, dass Verhandlungen mit einem sogenannten integrativen Team aus der afghanischen Hauptstadt stattfinden sollen. Das heißt, dass nicht nur die Regierung Afghanistans das Land vertreten soll, sondern dass da auch andere Fraktionen, die in Afghanistan eine Rolle spielen, sich daran beteiligen werden.
Zerback: Sie haben es gerade angeschnitten, wie schwierig das ist, auch gerade in Kabul überhaupt eine Regierungsspitze auszumachen. Es haben sich ja zwei Rivalen zum Präsidenten ernannt nach monatelanger Wahlauszählung. Da haben wir einmal den Präsidenten Ghani sowie seinen Rivalen Abdullah. Jetzt haben wir gestern erlebt, dass Ghani seinen Wahlrivalen einfach abgesetzt hat. Da ist die Frage, kann er das überhaupt so einfach. Wie ist da die Lage?
Ruttig: Auch das ist sehr verzwickt. Die beiden waren schon bei der vorhergehenden Präsidentenwahl 2014 gegeneinander angetreten und hatten sich hinterher nicht auf ein Endergebnis einigen können. Dann mussten auch die Amerikaner intervenieren. Es kam eine Art schwierige Koalitionsregierung dabei heraus, die nicht sehr gut funktioniert hat. Um diesen Deal überhaupt erreichen zu können, ist an der afghanischen Verfassung vorbei ein quasi Ministerpräsidentenamt für Abdullah geschaffen worden. Das hat Ghani jetzt wieder beseitigt. Gleichzeitig hat er angeboten, eine neue Regierung zu bilden, die alle politischen Kräfte in Afghanistan umschließen soll. Wir müssen jetzt erst mal sehen, wie das in der Praxis aussehen wird, wie da die Formel aussehen wird. Wir wissen das bisher noch nicht. Aber Abdullah will natürlich auch zumindest den Preis nach oben treiben, falls er sich überhaupt darauf einlässt, solch einen Kompromiss zu schließen.
Was dann auch wiederum wichtig ist für die Friedensverhandlungen, denn auch die Abdullah-Leute müssen in diesem Verhandlungsteam mit den Taliban vertreten sein, wenn die afghanische Seite sich auf eine relativ breite politische Grundlage im eigenen Land stützen will. Es geht auch nicht nur um Ghani und Abdullah, sondern natürlich weitere Sektoren der afghanischen Gesellschaft bis hin zur Zivilgesellschaft und zu Frauen, deren Interessen zumindest natürlich auch vertreten sein müssen, damit die Rechte und Freiheiten, die jetzt die afghanische Verfassung bietet, nicht über Bord geworfen werden in diesen Verhandlungen.
"Die Amerikaner sind in diesen Gesprächen nie sehr offen gewesen"
Zerback: Unterdessen haben die USA ja – Sie haben es angesprochen – damit begonnen, Truppen abzuziehen, Soldaten abzuziehen. Über das Bundestagsmandat, was das alles für die Bundeswehr bedeutet, da soll Ende März entschieden werden. Gestern hat der Verteidigungsausschuss sich aber schon für eine Verlängerung um ein Jahr des Mandats ausgesprochen. Gemeinsam rein, gemeinsam raus – ist das alternativlos bei dieser Sicherheitslage?
Ruttig: Die NATO-Truppen und darunter auch die Bundeswehr hängen sehr stark logistisch von den Amerikanern ab. Wenn die Amerikaner wichtige Komponenten ihrer Truppen abziehen, dann sind auch die Handlungsmöglichkeiten der anderen Truppen davon betroffen. Die NATO ist zumindest teilweise einbezogen worden in die Gespräche mit den Taliban und darüber informiert worden und die Formel ist wohl, dass reziprok zu dem Abzug, der stufenweise erfolgen soll auf amerikanischer Seite, dann auch die anderen Truppen abgezogen werden. Wir wissen bisher nicht und wahrscheinlich weiß auch die Bundesregierung und die Bundeswehr bis jetzt noch nicht, wie das technisch und zeitlich alles laufen soll. Da wird es noch Gespräche geben. Die Amerikaner sind in diesen Gesprächen nie sehr offen gewesen, auch nicht zu den eigenen Verbündeten.
Zerback: Eine Exit-Strategie gibt es noch nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.