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Afghanistaneinsatz
"Auch andere Nationen der NATO sind gefordert"

Die NATO schickt wieder mehr Soldaten nach Afghanistan. Das Vorhaben findet die Unterstüzung des verteidigungspolitischen Sprechers der Union, Henning Otte. Es gehe darum, die Beratungs- und Ausbildungsmission in Afghanistan voranzubringen, sagte Otte im Dlf. Deutschland habe bereits seinen Beitrag geleistet.

Henning Otte im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.11.2017
    Porträt von Henning Otte
    Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU (dpa / Michael Kappeler)
    Jasper Barenberg: Die radikal-islamischen Taliban sind in Afghanistan stärker denn je, und immer öfter reklamieren auch IS-Kämpfer Anschläge für sich, mit vielen Opfern. Deshalb wollen die USA, wollen auch die Verbündeten in der NATO jetzt Tausende zusätzliche Soldaten schicken, nach Jahren des Abzugs. Von rund 13.000 sollen die Verbände der Unterstützungs- und Ausbildungsmission auf rund 16.000 aufgestockt werden. Die USA werden davon etwa die Hälfte stellen, so die bisherige Ankündigung.
    Mitgehört hat der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte. Schönen guten Morgen!
    Henning Otte: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Herr Otte, befürworten Sie die Aufstockung der Truppen in Afghanistan?
    Otte: Es gibt ein Ziel, nämlich dass von afghanischem Boden keine terroristische Bedrohung mehr ausgehen darf, und es geht darum, die Beratungs- und Ausbildungsmission voranzubringen. Es ist viel erreicht worden, es sind staatliche Institutionen aufgestellt worden, es gibt zivilgesellschaftliche Strukturen und es gibt eine Übernahme der alleinigen Sicherheitsverantwortung durch afghanische Einheiten. Dieser Weg muss fortgesetzt werden, stabilisiert werden und festgesetzt werden.
    "In Gesamt-Afghanistan eine stabile Lage erzeugen"
    Barenberg: Jetzt habe ich noch nicht verstanden, ob Sie deswegen sagen, ja, wir wollen mehr Truppen nach Afghanistan schicken.
    Otte: Wenn die Sicherheitslage dies erforderlich macht, dann ist es gut, dass wir die afghanischen Kräfte weiter unterstützen. Es gibt eine Parlamentswahl jetzt im Sommer 2018 und es geht darum, dass der gute Weg Afghanistans weitergeführt wird und dass ein Rückfall verhindert wird, dass Taliban-Kräfte wieder stärker Verantwortung dort übernehmen.
    Barenberg: Lernen wir daraus, Herr Otte, die Entscheidung zum Abzug der Kampftruppen 2014, der Wechsel zu der Ausbildungsmission war übereilt und falsch oder beides?
    Otte: Nein, es war nicht übereilt. Es wurde Zeit, dass die afghanischen Sicherheitskräfte selbst die Verantwortung übernehmen, dass es diesen Kräften auch bewusst ist, dass der Präsident Afghanistans diese Verantwortung auch wahrnimmt. Das ist gelungen und trotzdem geht es darum, nicht zu früh abzuziehen, diese Hilfe nicht zu früh abzuziehen, sondern weiter beständig dort zu bleiben und diesen Prozess weiterzuführen, dass sich Afghanistan stabilisiert, dass auch der Versöhnungsprozess vorankommen kann.
    Barenberg: Die Sicherheitslage hat sich seit Ende des Kampfeinsatzes ja nur in eine Richtung bewegt, nämlich die Sicherheitslage hat sich deutlich verschlechtert. Im letzten Jahr sind mehr als 30.000 Zivilisten und Sicherheitskräfte verletzt und getötet worden, so viel wie noch nie zuvor. Müssen wir festhalten, dass die afghanische Regierung die Sicherheitsverantwortung übernommen hat, wie Sie das gerade beschrieben haben, das war ein Fehler, oder sie leistet jedenfalls nicht, was sie leisten sollte?
    Otte: Das war kein Fehler; das war notwendig. Aber es geht darum, diese Kräfte weiter noch zu unterstützen, nämlich im Führungspersonal, aber auch in der Luftkoordinierung als auch in den einzelnen Einheiten. Staffing Command unterstützen wir in Kabul. Das heißt, die Sicherheitslage ist durchaus in einzelnen Teilen schwieriger geworden; in anderen hat sie sich verbessert. Und unser Ziel muss sein, dass in Gesamt-Afghanistan wir eine stabile Lage erzeugen können, damit nochmals von dort aus nie wieder eine terroristische Bedrohung ausgehen kann.
    Barenberg: Wo sehen Sie denn Fortschritte?
    Otte: Ich sehe auf jeden Fall Fortschritte im Aufbau staatlicher Institutionen, zivilgesellschaftliche Strukturen in der Aufbauphase, auch der Sicherheits- und Verteidigungskräfte. Das ist, glaube ich, sehr deutlich geworden. Aber es geht auch darum, nicht zu früh rauszugehen, um das Erreichte nicht zu gefährden.
    "Wir leisten unseren Beitrag"
    Barenberg: Was kann denn die Aufstockung bringen? Wird es da einen Anschlag weniger von Seiten der Taliban geben oder der IS-Kämpfer?
    Otte: Es geht darum, dass die afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte insgesamt gestärkt werden, dass eine Präsenz auch der internationalen Gemeinschaft mit, wie im Vorbericht von Ihnen gesagt, 39 Nationen dort gewährleistet werden kann. Ich sage aber auch, Deutschland hat dort viel bisher geleistet. Deutschland hat noch einmal im Januar 2017 die Obergrenze um 15 Prozent erhöht. Wir leisten unseren Beitrag und haben ihn auch bisher immer geleistet.
    Barenberg: Sie haben jetzt sehr ausführlich darüber gesprochen, wie wichtig das ist, die afghanische Regierung da nicht allein zu lassen in der Verantwortung für die Sicherheit im Land. Warum will die Bundesregierung denn nicht einen Teil zu dieser Aufstockung selbst beitragen?
    Otte: Es geht darum, welche Fähigkeiten werden gebraucht in Afghanistan, und hier hat die NATO einen wesentlichen Anteil, und jetzt muss innerhalb der NATO gesehen werden, welche Nationen stellen diese Fähigkeiten. Deutschland ist jetzt seit 2001 dort mit im Einsatz, hat dort Wesentliches geleistet, und ich sage noch einmal, wir haben in diesem Jahr unser Kontingent bereits erhöht. Wir leisten unseren Beitrag, auch andere Nationen der NATO sind gefordert.
    Barenberg: Aber jetzt sollen erst mal die Amerikaner wieder alleine vorangehen und mehr Soldaten schicken?
    Otte: Die Amerikaner sind wie andere Länder auch Teil der NATO und übernehmen ihre Verantwortung. Das ist ja zu begrüßen.
    Barenberg: Welche Verantwortung sehen Sie eigentlich bei der Regierung in Kabul? Da ist ja viel von Klientel-Politik die Rede, von Korruption, die die Zerrissenheit und die Spaltung des Landes eher noch befördern.
    Otte: Das sind Aspekte, die Sie ansprechen, die durchaus da sind, die zu beachten sind. Korruptionsbekämpfung muss an allererster Stelle stehen, gute Regierungsführung muss an erster Stelle stehen. Dort gibt es Defizite. Hier ist die afghanische Regierung gefordert, die Teile zu verbessern und auch die einzelnen regionsspezifischen Dinge besser zu berücksichtigen, nicht nur zentral aus Kabul heraus zu regieren.
    "Was wäre wohl aus diesem Land geworden?"
    Barenberg: Was macht Sie eigentlich hoffnungsvoll, dass wir jetzt nicht gerade den ersten Schritt eines Rückzugs vom Rückzug erleben, dem dann zwangsläufig weitere folgen müssen, weil die Lage so prekär und das Land so zerrissen ist?
    Otte: Bei allen sicherheitspolitischen Herausforderungen muss man auch immer sehen, was alles erreicht worden ist. Ich habe eingangs des Interviews darauf hingewiesen. Staatliche Institutionen sind aufgebaut worden, menschliche Entwicklungen im Gesundheitsbereich, im Bildungsbereich sind vorangeschritten, Schutz der Menschenrechte ist gestiegen, zivilgesellschaftliche Strukturen sind gebildet worden und ein Versöhnungsprozess ist in Gang gekommen. Der muss wesentlich stärker forciert werden, denn es bedarf eines politischen Konzeptes, eines Versöhnungskonzeptes. Keine militärische Lösung ist das Ziel.
    Barenberg: Das heißt aber, ein solches Konzept liegt nicht auf dem Tisch, beispielsweise mit Anzeichen dafür, dass die Taliban sich tatsächlich an einen Verhandlungstisch setzen würden?
    Otte: Es gibt sehr kritische Bewegungen der Taliban, die Strukturen wieder einnehmen wollen. Das muss verhindert werden durch die afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Gebot. Aber man muss mit den moderaten Kräften dort auch sprechen auf allen Seiten, um für das Land eine Versöhnung zu erreichen. Dazu soll dieser Beitrag auch helfen.
    Barenberg: Wäre es nicht am Ende, Herr Otte, ehrlicher zu sagen, zu einem umfassenden, zu einem massiven Engagement ist der Westen nicht mehr bereit, nicht militärisch, nicht zivil, also wäre es doch besser, die bittere Niederlage einzugestehen und die Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan abzuziehen?
    Otte: Herr Barenberg, was wäre wohl aus diesem Land geworden, wenn nicht 2001 nach der Organisation der Anschläge von afghanischem Boden aus die internationale Gemeinschaft eingegriffen hätte. Das Land wäre dem Terror verfallen und von dort aus wäre der Stützpunkt, um die ganze Welt zu beunruhigen. Deswegen kann man auch sagen, es ist sehr, sehr viel erreicht worden, wenn auch noch nicht alles gut ist. Deswegen geht es jetzt darum, die Strukturen zu verstetigen, weiter zu verbessern, einen Beitrag zu leisten, dass Afghanistan selbst in der Lage ist, für Stabilität und Frieden im eigenen Land zu sorgen.
    Barenberg: Der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte hier live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
    Otte: Danke, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.