Freitag, 19. April 2024


Afrika, Asien und Lateinamerika

Fangen sich die US-Märkte eine Erkältung, dann erwischt Brasiliens Wirtschaft eine Lungenentzündung. In den 90er Jahren galt dies als Selbstverständlichkeit, heute stimmt das nicht mehr. Ulrich Volz, Volkswirt beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn:

Von Jule Reimer | 18.10.2008
    "Brasiliens Wirtschaft ist heute recht robust und große Verwerfungen - wie wir sie in den USA und in Europa sehen - sind erstmal nicht zu erwarten."

    Dank gestiegener Rohstoff- und Agrarpreise sitzt Brasilien auf einem Devisenpolster von über 200 Milliarden US-Dollar. Ansehnliche Wachstumsraten, ein heimischer Kreditmarkt mit relativ geringer Auslandsabhängigkeit, zunehmender Wohlstand und Nachfrage im eigenen Land: Das gilt auch für andere wichtige Schwellenländer wie Indien, China oder Südafrika. Indien wurde lange dafür gescholten, seinen Kapitalmarkt viel zu langsam zu öffnen. Jetzt bilanziert Volz:
    "Im Großen und Ganzen, insbesondere was die Einführung von innovativen Finanzprodukten wie Derivaten angeht, sind die Inder heute auf der Siegerseite."

    Noch während der Subprimemarktkrise im Sommer kursierte die Decoupling-These: Die größten Schwellenländer hätten sich endlich von der Wirtschaftentwicklung der Industrienationen entkoppelt. Diese gilt heute als widerlegt. Auch ihre Börsen verzeichneten heftige Kursverluste. Ihre Zentralbanken senkten Zinsen und warfen US-Dollars auf den Markt, um die eigenen Währungen vor Tiefsteinbrüchen zu schützen. Denn klamme Finanzinvestoren aus den Industriestaaten ziehen Kapital aus den Schwellenländern ab.
    Außerdem wird eine Rezession in den westlichen Industriestaaten keine Nation der Welt verschonen. Zwar hat der Süd-Süd-Handel in den letzten Jahren stark zugenommen, und die Volkswirtschaften der meisten Schwellenländer werden weiter wachsen. Aber, so Entwicklungsexperte Ulrich Volz:

    "Die europäischen und amerikanischen Märkte machen immer noch 50 Prozent der Weltwirtschaft aus, und das sind wesentliche Exportmärkte für Entwicklungs- und Schwellenländer."

    Die ärmsten Entwicklungsländer kommen mangels Kapital mit der Finanzkrise erst gar nicht in Berührung. Eine weltweit nachlassende Nachfrage, die dämpfend auf die Preise wirkt, könnte für manche sogar eine kleine Erleichterung bedeuten. Denn die extremen Preisanstiege bei Erdöl und Nahrungsmittel haben gerade die ärmsten Nationen in größte Bedrängnis gebracht. Mit Sorge blicken diese allerdings jetzt auf die Hilfspakete der westlichen Regierung für den maroden Bankensektor. Ulrich Volz vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik:

    "Die Rettungsaktionen der westlichen Welt haben die Haushalte massiv überspannt, das Geld ist einfach knapp. Entwicklungspolitiker müssen sich jetzt von den Bürgern fragen lassen, wieso Geld, was zu Hause fehlt, in Entwicklungsländer gebracht wird. "

    Die Industriestaaten haben versprochen, O,7 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes bis 2015 zugunsten der ärmsten Staaten zu investieren. Die erste Bewährungsprobe für dieses Ziel steht Ende November in Doha bei der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung an. Die Schwellenländer dagegen - davon gehen die meisten Experten heute aus - werden in der internationalen Finanzmarktkrise mit einem blauen Auge davonkommen. Ihre Regierungen sind bereit, sich an internationalen Aktionen zur Stabilisierung der Weltwirtschaft zu beteiligen - die nächste Gelegenheit wird sich bei dem kommenden, von den G8 geplanten Weltfinanzgipfel ergeben. Aber die Schwellenländer fordern im Gegenzug, dass sich ihre Mitspracherechte in internationalen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds deutlich verbessern.