Samstag, 20. April 2024

Archiv


Afrika auf der Bühne am Bodensee

Das Theater Konstanz reist in dieser Spielzeit nach Afrika. Gespielt wird ein Stück nach der Novelle von Joseph Conrad, Herz der Finsternis. Außerdem "Die rote Antilope" nach Henning Mankell, dem schwedischen Schriftsteller und Afrikakenner.

Von Cornelie Ueding | 09.10.2011
    Exoten. Ausgestellt im Kuriositätenkabinett. Schwarzes Elfenbein. Sklaven - ein Großteil der europäisch-afrikanischen Begegnung ist eher eine Missbrauchsgeschichte als ein Dialog. Henning Mankells Roman "Die rote Antilope", zum Auftakt der Konstanzer Afrika-Spielzeit von Mario Portmann dramatisiert und in Szene gesetzt, schildert am Beispiel eines Einzelfalls die Mechanismen des verhängnisvollen Wechselspiels von Neugier, Faszinosum, Dominanz auf der einen Seite und Abwehr, Unterwerfung, Flucht und Tod auf der anderen. Kein Schwarz-Weiß-Bild – und dennoch der Nachweis des Scheiterns von Grautönen. Wenn Sanna, die Verrückte, und der aus Afrika mitgeschleppte, verschleppte Junge, der in Schweden Daniel heißen muss, Kinder hätten – sie wären "grau". Doch bevor es dazu kommen kann, zerschmettert der clash of civilisation alle beide: Daniel, der mit nur einem einzigen Satz auf Europa losgelassen wird: "Ich glaube an Gott"; sie als Opfer eines Amoklaufs dieser gestrandeten Puppenexistenz. In Mario Portmanns Inszenierung ist das schwarze Kind - eine Gliederpuppe, der kein Eigenleben zugestanden wird und die in anrührenden Szenen immer nur von anderen, den Weißen, bewegt und dann zerlegt wird. Erst werden Kopf und Körper getrennt, dann irgendwo liegen gelassen. Schließlich endet der Puppenkadaver in einem jener Laboratorien, aus deren Sterilität die Forscher einst aufbrachen, um unbekannte Insekten zu finden und die Herzen des dunklen Kontinents weniger zu ergründen – als zu missionieren.

    Im Schatten kolonialer und rassistischer Traditionen und Vorurteilsreste machen wir Europäer uns derzeit als Migranten der Imagination verstärkt auf eine Reise "out of Europe" und beginnen zu begreifen, dass diese Reise zugleich ins Herz unserer eigenen Befindlichkeit führt. In einer sehr persönlichen Spielzeit-Eröffnungsrede warnte Frank-Walter Steinmeier vor der Gefahr der Einseitigkeit. Die Rolle Europas in dieser vielleicht entscheidenden globalen Umbruchsituation sei ebenso reizvoll wie ungewohnt: Nach Jahrhunderten der Dominanz, in der Europa in einer Hauptrolle das Leben von Millionen auf dem größten Kontinent rücksichtslos bestimmte – befinde es sich nun in der Nebenrolle einer fragilen Nicht-Supermacht: eher unterstützend, behutsam ermutigend, zuhörend und vor allem ohne Patentrezepte – während wir selber gleichzeitig Migration und Transkulturalität als ernst zu nehmende Instrumente der globalen Politik entdecken. Und dazu gehört eben nicht, andere zu belehren, sondern vor allem, hier wie dort, sich über sich selbst aufzuklären – auch und gerade mit den Mitteln des Theaters. Kulturarbeit und politische Aktion sind so regelrecht aufeinander angewiesen. Seine Beispiele für Afrika: Fußballschulen für hoffnungslose Kinder und Schlingensiefs nur auf den ersten Blick absurd anmutendes Projekt eines Opernhauses ausgerechnet im bettelarmen Burkina Faso.

    "Es war eine sehr, sehr kluge Vorstellung davon, wie ich versuche, in einem afrikanischen Land, das von Hungersnot geprägt ist, stolze Menschen hat - diesem Land bei dem Stolz auf die eigene Kultur zu helfen, diese Kultur zu entfalten, sie als selbstverständlichen Teil des öffentlichen Lebens auch wahrzunehmen; über dieses Operndorf auch eine Form des kulturellen Austausches mit europäischer Kultur hinzubekommen; und das Ganze zu begleiten mit einem Alphabetisierungsprogramm."

    Wie und dass diese Selbstverständigung bei uns funktioniert, zeigte der zweite Konstanzer Theaterabend, in dem der Gründungstext aller schwarzafrikanischen Kolonialismusmythen einer theatralischen Revision unterzogen wurde: Joseph Conrads Novelle "Herz der Finsternis", neu übersetzt und dramatisiert von Thomas Spieckermann. Während auf der Spielfläche das Wasser steigt, verfolgt Andrej Worons ebenso präzise wie fantasievolle, anderthalbstündige Inszenierung mit Ironie und schrillem Sarkasmus die Fahrt des Floßes Medusa ins Herz Afrikas. Mit einem Hauch Fitzcarraldo, opernarienumspült und von Schlagwerk und Afrikatrommeln fantastisch durchrhythmisiert, steuert Europa ins Zentrum elfenbeinweißer Flecken auf der Landkarte und ins Unglück - und reißt dabei ein ganzes Land, den Kongo, mit ins Verderben.

    Ganz nebenbei umschifft Regisseur Woron auch noch gekonnt eine gefährliche Klippe der Dramatisierung epischer Texte: Was es zu erzählen und zu kommentieren gibt, erörtert die in den jungen Abenteurer und den desillusionierten Alten aufgespaltene Hauptfigur des Reisenden – dialogisch. Stürmischer Applaus für ein Theater mit neuer Blickrichtung.