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Afrika-Konferenz
"Nicht alles nach Vorstellungen der Investoren ausrichten"

Die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam sieht das Vorhaben der G20-Staaten kritisch, private Investoren für Afrika zu begeistern. Nach Ansicht ihrer Geschäftsführerin Marion Lieser müsse man alles daran setzen, in den afrikanischen Ländern selbst die Wirtschaftssysteme und die Steuerpolitik zu verändern.

Marion Lieser im Gespräch mit Silvia Engels | 12.06.2017
    Arbeiterinnen in der Textilproduktion in Äthiopien
    Arbeiterinnen in der Textilproduktion in Äthiopien (imago )
    Silvia Engels: Die Beziehungen zum afrikanischen Kontinent sollen heute und morgen im politischen Berlin im Mittelpunkt stehen. Die Gruppe der 20 stärksten Industrie- und Schwellenländer hat sich auf die Fahnen geschrieben, mit afrikanischen Staaten künftig partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Konkret wollen die G20 private Investoren für ein stärkeres Engagement in Afrika begeistern. Im ersten Schritt soll deshalb die Kooperation mit ausgewählten Staaten verstärkt werden. Dazu gehören unter anderem Marokko, Senegal, die Elfenbeinküste oder Tunesien. Wobei dabei Probleme entstehen oder wo die Voraussetzungen einfach nicht stimmen, schildert Jens Borchers am Beispiel Tunesien:
    Jens Borchers berichtete über die Schwierigkeiten mit Korruption und Instabilität in Tunesien. Mitgehört hat Marion Lieser. Sie ist Geschäftsführerin des deutschen Teils der Hilfsorganisation Oxfam. Oxfam ist ein internationaler Verbund von Nothilfe- und Entwicklungsorganisationen, die sich weltweit auch für Gesundheits- und Bildungsaufbau einsetzen. Guten Morgen, Frau Lieser!
    Menschen in den Mittelpunkt stellen
    Marion Lieser: Ja, guten Morgen, Frau Engels!
    Engels: Private Investoren in Afrika, die im besten Fall eng mit der Bevölkerung kooperieren und Projekte dann dort mittelfristig zu Eigenständigkeit verhelfen. Das ist das Projekt, das die G20 heute auf ihrer Konferenz in Berlin mit einigen afrikanischen Staaten voranbringen wollen. Wird das denn nach Ihrer Erfahrung und den Beispielen, die wir gerade aus Tunesien gehört haben, funktionieren?
    Lieser: Wir gehen davon aus, dass wir ganz massiv die Ungleichheit in Afrika bekämpfen müssen und das dafür politische und wirtschaftliche Akteure ein grundlegend anderes Wirtschaftssystem gestalten müssen und nicht auf das aufsetzen, was ja schon fehlerhaft in der Vergangenheit teilweise praktiziert worden ist. Das sollte, und das ist ja auch teilweise in Ihrem Beitrag eben angeklungen, insbesondere den Bedürfnissen afrikanischer Frauen und Jugendlicher gerecht werden, die nämlich in der Tat dringend Arbeitsplätze benötigen, aber genauso einen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung und zu Gesundheitsversorgung.
    Engels: Dann ist es also eine gute Idee, dass die privaten Investoren stärker nach vorne kommen, auch an Regierungsstrukturen vorbei?
    Lieser: Das ist keine gute Idee. Das wollte ich gerade noch mal ausführen, denn die Regierenden müssen zunächst Möglichkeiten ausschöpfen, die ihnen Wirtschafts- und Steuerpolitik bieten, genauso wie Investitionen in den Sozialhaushalt, um ein menschliches Wirtschaftssystem für Afrika aufzubauen. Diese Initiative "Compact with Africa" basiert auf der Annahme, dass private Investitionen ganz automatisch für Menschen von Vorteil sind und somit auch die nachhaltigen Entwicklungsziele erreicht werden können. Das ist aber eine falsche Annahme, und die Initiative schlägt maßgeblich Investitionsanreize vor, anstatt sich um die Menschen zu kümmern, um die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Darum sollte es eigentlich gehen.
    Investitionen nicht in Scheinsicherheit einbetten
    Engels: Aber auf der anderen Seite sind doch staatliche Stellen auch häufig die, die gerade mit Korruption in ihren eigenen Reihen zu kämpfen haben. Wäre es da nicht die Überlegung, das zu vermeiden?
    Lieser: Selbstverständlich sollte das vermieden werden, aber es kann ja nicht im Fokus stehen, dass man zunächst Investitionsanreize schafft dadurch, dass man diese Investitionen in eine Scheinsicherheit einbettet, die dadurch geschaffen werden soll, dass man enorm viel Geld in die Länder, in die Strukturen hineinpumpt, ohne überhaupt mit der Zivilgesellschaft in Konsultation gegangen zu sein, ob das die infrastrukturellen Maßnahmen sind, die auch auf dieser Ebene gebraucht werden, um die Menschen in der Tat aus der Armut zu befreien.
    Engels: Sie haben sehr dafür geworben, dass eben die Zivilgesellschaft einbezogen ist. Haben Sie auf der anderen Seite auch Verständnis dafür, dass private Investoren auch eine gewisse Form von Investitionssicherheit in den Ländern brauchen, also doch wieder Unterstützung vielleicht auch der G20, um sicher zu sein, dass das Geld nicht verschwindet?
    Lieser: Selbstverständlich ist es so, dass Investitionen immer Sicherheit wünschen, aber es kann ja nicht alles nach den Vorstellungen der Investoren ausgerichtet sein und sich maßgeblich nur darum kümmern, was die Investoren haben wollen und was sie brauchen. Es geht ja darum, ein ganzheitliches System zu schaffen, und wir sehen es ja auch in den Entwicklungszielen, in den nachhaltigen Entwicklungszielen, dass die Bekämpfung von Ungleichheit, dass die Abschaffung von Armut eines der Ziele ist, die so auf keinen Fall erreicht werden können.
    Weg der G20 "bedarf Nachbesserung"
    Engels: Das heißt, Sie halten den Weg, den die G20 ab heute einschlagen wollen, für einen Irrweg?
    Lieser: Ich halte ihn für einen Weg, der auf jeden Fall einer Nachbesserung bedarf und der in der vorliegenden Form nicht umgesetzt werden kann, wenn wir damit rechnen wollen, dass er zum Erfolg führt.
    Engels: Nun ist auch ein anderes Thema in Berlin unvermeidbar: Die Konferenz findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem sich die Hungerkrise in Zentral- und Ostafrika massiv verschärft hat. Über 23 Millionen Menschen sind dort vom Hungertod bedroht. Bundesentwicklungshilfeminister Müller von der CSU verlangt nun einen immer gefüllten Krisenfonds von zehn Milliarden Euro bei den Vereinten Nationen. Das werden Sie unterstützen, aber ist es auch realistisch nach Ihren Erfahrungen der vergangenen Jahre?
    Lieser: Ich finde es grundsätzlich fraglich, ob ein neuer Fonds mehr Erfolg hat als all die UN-Töpfe, die wir bereits haben. Wenn diese den internationalen Absprachen gemäß bedient würden, wäre ein zusätzlicher Mechanismus vielleicht gar nicht unbedingt notwendig. Grundsätzlich ist es aber natürlich positiv, sich Gedanken zu einem schnellen Eingreifen bei humanitären Krisen zu machen, und gleichzeitig sollte man aber auch nicht vergessen das Thema Preparedness, also die Vorbereitung auf solche Krisen, dass das auch einen hohen Stellenwert hat, denn viele dieser eben von Ihnen auch angesprochenen Krisen kommen ja nicht von ungefähr.
    Engels: Nun ist es auch so, dass ja viele dieser Gelder eigentlich zum Teil schon lange zugesagt sind. Was wäre denn Ihre Idee dazu, um jetzt eben in der aktuellen Hungerkrise schnell zu helfen?
    Lieser: Ja, dass die Zusagen einfach eingehalten werden und dass man dann auch sofort in die Abwicklung gehen kann. Also es ist ja, wie ich eben schon gesagt habe, nicht unbedingt erst seit gestern bekannt, dass diese Krise im Anrollen ist, und seit vielen, vielen Monaten wird davon gesprochen. Auch wir haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht, aber es führt erst zur Bewegung bei den Gebern, wenn tatsächlich eine Hungersnot ausgerufen wird, und dann ist es meistens schon zu spät.
    Kein Einsatz von Hilfsgeldern für das Schließen von Fluchtrouten
    Engels: Viele Experten unterstellen ja auch den Staats- und Regierungschefs, dass jetzt mit besonders den Staaten kooperiert werden soll in Berlin, von denen man sich Unterstützung bei dem Aufhalten von Migrationsströmen verspricht, also gerade Staaten Nordafrikas. Teilen Sie diesen Verdacht?
    Lieser: Wir teilen den Verdacht, und genau da muss drauf geachtet werden, dass man sich nicht vor allem gegen die Einwanderung aus Afrika abschotten möchte und Entwicklungshilfegelder für das Schließen von Fluchtrouten benutzt werden. Da werden wir auch ein ganz besonderes Augenmerk drauf legen, denn das unterminiert ja auch alle anderen Entwicklungsbemühungen.
    Engels: Auf der anderen Seite ist es ja auch so, dass natürlich Hilfe in den Ländern selbst stattfinden sollte, damit sich Menschen nicht auf den gefährlichen Weg machen.
    Lieser: Es ist wichtig, dass Menschen die Möglichkeit haben, eine Entscheidung zu treffen. Menschen müssen in der Lage sein, sich zu entscheiden, ich kann bleiben, ich möchte bleiben oder ich möchte dieses Land verlassen. Das heißt, es müssen Voraussetzungen geschaffen werden, dass sie eine Zukunft im Land haben, aber dass sie gleichzeitig, wenn sie das Land verlassen möchten, auch Möglichkeiten haben, in ein anderes Land zu gehen.
    Engels: Aber in Europa werden sie nicht alle ankommen können.
    Lieser: Deshalb brauchen wir politische Maßnahmen wie Einwanderungsgesetze, die das auch in einer regulierten Form möglich machen.
    Engels: Marion Lieser war das. Sie ist Geschäftsführerin der deutschen Sektion der Hilfsorganisation Oxfam. Vielen Dank für das Gespräch!
    Lieser: Ja, ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.