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Agrarsubventionen umschichten

Der Abgeordnete der Grünen im europäischen Parlament Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf fordert Umschichtungen der Agrarsubventionen. Diese sollten der ländlichen Entwicklung zu Gute kommen und nicht bloß der Unterstützung der Landwirtschaft dienen. Die Wirtschaftentwicklung der ländlichen Räume Europas müsse vorangetrieben werden. Daneben sprach sich zu Baringdorf für die Abschaffung der EU-Exportsubventionen für Agrarprodukte aus.

Moderation: Burkhard Birke | 24.06.2005
    Birke: Der Vizepräsident des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung im Europaparlament Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf vom Bündnis 90/Die Grünen ist uns jetzt in den Informationen am Morgen zugeschaltet. Schönen guten Morgen.

    Baringdorf: Guten Morgen, Herr Birke.

    Birke: Herr zu Baringdorf, der nach eigenen Worten leidenschaftliche Europäer Tony Blair will die EU erneuern. Dem britischen Premierminister sind ja vor allem die EU-Agrarsubventionen ein Dorn im Auge. Er will sie kürzen, bevor er den Beitragsrabatt seines Landes antasten lassen will. Hat er nicht Recht, wenn man hört, dass die Butter für die Eis- oder Croissantherstellung immer noch subventioniert wird?

    Baringdorf: Wir können erstmal dankbar sein, dass er diese Diskussion angestoßen hat. Gestern im Parlament hat er sich etwas zurückhaltender gezeigt, hat gesagt, wir müssen qualifizieren. Das ist ja richtig. Wir haben dann vorgehalten, dass er bei der letzten Reform nun nicht zu den Reformern gehört, sondern zu den Bremsern gehört hat. Es war zum Beispiel die Frage, die Direktzahlungen je Betrieb auf 300.000 Euro zu begrenzen und sie außerdem an die Arbeitskraft in den Betrieben zu binden, an die Lohnkosten. Das hat er verhindert, übrigens auch im Zusammenhang mit der deutschen Regierung, im Zusammenspiel.

    Birke: Hat er da britische Interessen verteidigt?

    Baringdorf: Er hat die Interessen der britischen Königin und von Prinz Charles und von einigen Zuckerfabriken, die jetzt Millionen aus Brüssel abziehen, vertreten. Er hätte da sehr viel Geld umschichten können in die zweite Säule - also in die ländliche Entwicklung. Das hat er verhindert.

    Birke: Wie viel Spielraum sehen Sie denn? Und glauben Sie wirklich, dass Tony Blair hier auch der Queen dann ein bisschen an die Subventionen ran will?

    Baringdorf: Wie gesagt, die Queen ist ein Beispiel, das eben sehr bekannt ist. Es geht darum, dass wir in dem Prozess, den wir eingeleitet haben, nämlich zu einer Umschichtung der Mittel für die ländliche Entwicklung zu kommen, also über die Landwirtschaft hinaus die Wirtschaftentwicklung der ländlichen Räume Europas voranzutreiben, hier auf Innovationen, auf Arbeit und Umwelt zu setzen, dafür die Mittel bereit zu stellen, auch für die Forschung im landwirtschaftlichen Bereich, Forschung jetzt nicht nur High-Tech-Forschung, sondern Erforschung der Wirtschaftsentwicklung in der Breite. Das alles ist richtig und er hätte - anstatt hier nur eine Retourkutsche zu fahren, weil sie ihm an den Rabatt wollen - sagen können: O.k., ich stelle erstmal diese fünf Milliarden, die ich als Rabatt habe, für den Forschungshaushalt zur Verfügung. Er hätte Möglichkeiten gehabt. Darum geht es ihm aber nicht. Er will ein anderes Europa. Er will Freihandel und er will keine Solidargemeinschaft, wo es darum geht, dass reichere Regionen, reichere Länder die notwendige Entwicklung in ländlichen Räumen von ärmeren Ländern investieren.

    Birke: Das hat er gestern etwas relativiert. Aber wir wollen ja nicht über die Meinung von Tony Blair streiten, sondern wir wollen darüber sprechen, wie man die Agrarsubventionen runterfahren kann. Um wie viel könnte man die nun anvisierten Milliarden für die nächsten Jahre kürzen und wo?

    Baringdorf: Nach meiner Ansicht gehen nicht zu viele Gelder in die europäische Landwirtschaft und die europäischen ländlichen Räume. Sie gehen in die verkehrten Kanäle. Von daher habe ich von einer Umschichtung gesprochen, die damals von Kommissar Fischler eingeleitet wurde, indem wir jetzt sagen, wir wollen transferieren, wir wollen in der klassischen Säule, wo 100 Prozent der Mittel aus Brüssel kommen und das sind 40 Milliarden ungefähr, dass wir hier umschichten über sogenannte Modulationen in die zweite Säule, damit diese Gelder, die zur Zeit eher zur Bereicherung von einigen Betrieben und einigen Personen genutzt werden - also vier Prozent der Betrieben ziehen 50 Prozent der Gelder ab - das muss geändert werden und sie müssen wirksamer gemacht werden für die Wirtschaftsentwicklung der ländlichen Räume. Und da geht es nicht so sehr um die Höhe. Wir haben den Agraretat ja schon zurückgefahren in den vergangenen Jahren.

    Birke: Herr Graefe zu Baringdorf, dann haben wir aber ein Problem, denn wenn ich Tony Blair und die anderen Europäer, auch Angela Merkel richtig verstanden habe, muss man über die Agrarsubventionen auch in der Höhe noch mal nachdenken. Sollte man nicht die Exportsubventionen kürzen?

    Baringdorf: Ja, diese Exportsubventionen müssen weg. Das ist immer unsere Forderung gewesen. Sie sind aber in den vergangenen Jahren abgebaut worden. Wir haben bei dem Zucker und bei der Milch noch ärgerliche zwei, drei Milliarden. Natürlich können die weg. Aber wir sind hier auch wieder in der Überlegung, muss denn gekürzt werden oder muss umgeschichtet werden. Und dieser Klub der Geizkragen, die da gesagt haben, ein Prozent, zu dem sich jetzt auch die Frau Merkel gesellt, die wollen Europa insgesamt finanziell an die Kette legen. Wenn man sagt, 100 Milliarden für diesen Bereich von 450 Millionen und für die notwendigen Umschichtungsentwicklung sind ausreichend, dann ist das eine Haltung, die ich nicht teile. Es geht bei dieser Frage um 25 Milliarden jährlich in ganz Europa und der Spielraum von 25 Milliarden ist aber notwendig, um die Anforderungen, die Europa von der europäischen Ebene aus zu leisten hat, auch zu gewährleisten.

    Birke: Sie haben eben den Zucker erwähnt. Nun hat ja die EU-Kommission vorgeschlagen, die Preise um fast zwei Fünftel zu senken. Ist das der richtige Weg, auch um Entwicklungsländern eine neue Chance zu geben?

    Baringdorf: Nein, das ist genau nicht der richtige Weg, sondern man muss die Pervertierung der Zuckermarktordnung, die dazu geführt hat, dass wir die 1,6 Millionen Tonnen der AKP-Länder, also der ehemaligen Kolonien, die zu uns liefern können, zu unseren Preisen, damit sie ihre Volkswirtschaften entwickeln könnten, die haben wir noch wieder reexportiert mit Steuergeldern. Das sind 1,5 Milliarden, die da jedes Jahr reingeballert werden. Das ist natürlich Quatsch. Dann sind noch drei, vier Millionen Tonnen Teezucker angebaut worden, also mit Bauerngeldern Dumping auf dem Weltmarkt betrieben worden. Dass sich das die anderen Länder nicht gefallen lassen, ist klar. Da müssen wir runter. Wir müssen die Mengen zurückführen auf das, was hier an Verbrauch ist. Wir müssen Spielraum geben, also noch mal minus 25 Prozent für die LDC-Länder, die ärmsten Länder und die AKP-Länder. Dann bleiben wir vom Weltmarkt runter und geben Ländern wie Brasilien diese vier, fünf Millionen Tonnen, die wir jetzt auf den Weltmarkt dumpen, zu einer Verfügung, die sie liefern können. Man kann sich da einigen, ohne dass man das, was die Kommission will, Milliarden da reinballern, um die Mengen zurückzufahren. Das muss man administrativ machen, fertig aus. Das muss keinen Pfennig kosten.

    Birke: Sie haben ja eben vehement auch für den Erhalt der Agrarsubventionen plädiert, aber mal ein bisschen losgelöst von der Existenzsicherung auch der kleinen Bauern, wie sie sich ja jetzt auch ausgesprochen haben, hat die EU nicht auch deshalb Angst, die Agrarsubventionen radikal zu kürzen, weil damit ja eine der ganz, ganz wenigen wirklich gemeinschaftlich betriebenen Politikbereiche aus den Angeln gehoben würde?

    Baringdorf: Ja, darüber wird immer wieder diskutiert. Zum Beispiel machen wir den Vorschlag, und das ist ja vom Parlament aufgenommen worden, die erste Säule, die zu 100 Prozent aus Brüssel bezahlt wird, nur noch zu 75 Prozent zu bezahlen.

    Birke: Erste Säule wäre?

    Baringdorf: Das wären die Direktzahlungen, also die klassischen, der Hauptbatzen Geld. Den zur Co-Finanzierung freizugeben, 25 Prozent also die Länder selbst zahlen zu lassen, dass wären schon zehn Milliarden jedes Jahr, die hier freigesetzt würden. Da könnte man eine Entlastung der Netto-Zahler vornehmen, könnte aber auch eine Umschichtung, von der ich ja spreche, in die zweite Säule, also in die ländliche Wirtschaftsentwicklung bringen. Da geht man nicht ran. Da ist natürlich Frankreich der größte Bremser. Wenn Sie den Chirac und den Blair in einen Sack tun und schlagen drauf, treffen Sie immer den richtigen. Der bremst natürlich auch die notwendige Modernisierung der Agrarpolitik, weil Frankreich Milliarden aus der ersten Säule zieht und keinen Pfennig dazu tun muss. Diese Diskussion kommt jetzt in den Gang. Wir begrüßen sie, wir wollen sie. Und in dem Sinne hat Blair etwas Richtiges angestoßen, auch wenn er etwas anderes wollte.

    Birke: Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, vom Bündnis 90/Die Grünen, der Vizepräsident des Agrarausschusses des Europaparlaments hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für dieses Gespräch.