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Ahmad Mansour
"Klartext zur Integration"

Der Psychologe und Integrationsexperte Ahmad Mansour legt sich mit vielen an: mit Islamverbänden, mit Predigern einer "falschen Toleranz" und mit Panikmachern, mit Linken wie mit Rechten. Aber vielmehr als um Rechts und Links geht es ihm um Demokratisch contra Undemokratisch.

Von Andreas Main | 20.08.2018
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    Es ist ein Buch, das geschrieben wurde, um etwas zu verbessern. Nicht umsonst ist das Buch "...gewidmet allen Kindern im Land für eine bessere Zukunft". (Deutschlandradio)
    Klartext - das bedeutet bei Ahmad Mansour: Er schreibt klar, er schreibt einfach, er will viele erreichen, er redet nicht drum herum. Und so können seine Sätze auch sehr kurz ausfallen. Es sind Merksätze, die sich ins Hirn einbrennen:
    "Freiheit beginnt im Kopf."
    Oder:
    "Integration ist nicht das Zelebrieren von Unterschieden, sondern die Festlegung von Regeln."
    Es sind Sätze, die es bei aller Kürze in sich haben. Hier weiß einer, wovon er spricht. Denn Ahmad Mansour geht als Psychologe dorthin, wo es wehtut, zu hilflosen Polizisten, zu verstörten Lehrern, in Flüchtlingsunterkünfte und in Gefängnisse. Dort versucht er Integration voranzubringen. Von seinen Erfahrungen erzählt er - und benennt die Probleme. Aber das macht er nicht, um Öl ins Feuer zu gießen. Er sucht nach Gemeinsamkeiten - und er findet, was uns zusammenhalten könnte oder sollte:
    "Das ist es, was uns vereint und was uns trennt: nicht die Hautfarbe, nicht die Herkunft, nicht die Religion, sondern die Haltung zum Grundgesetz. Das Grundgesetz steht über der Bibel, dem Koran oder anderen heiligen Büchern."
    Der Autor will der Spaltung unserer Gesellschaft ein Wir entgegensetzen und mögliche Gemeinsamkeiten aufzeigen:
    "Schauen Sie mal, wie wir über Flüchtlinge reden – also entweder bin ich dafür oder dagegen. Dazwischen gibt es nichts. Und da hoffe ich durch mein Schreiben, dass da eine andere Debatte entsteht, die etwas differenzierter ist, die etwas handlungsorientierter ist."
    Mansours Mittel gegen Polarisierung ist mehr Lebensnähe
    Vor drei Jahren ist Mansours erstes Buch erschienen. Es heißt: "Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen." Im Vergleich zur "Generation Allah" hat sich sein Ton verschärft. Während es Mansour vor drei Jahren noch ums "Umdenken" ging, wendet er sich heute "gegen" etwas: nämlich gegen Panikmacher und gegen Prediger einer falschen Toleranz. Dass er heute noch leidenschaftlicher wirkt, erklärt er so:
    "Das, was ich in den vergangenen drei Jahren erlebt habe, aufgrund auch dessen, dass die 'Generation Allah' so erfolgreich war, wo ich gemerkt habe: Es gibt eine Riesenüberforderung in dieser Gesellschaft; man merkt, dass in den letzten drei Jahren viel dazugekommen ist von Flüchtlingskrise bis zu unserem Umgang damit, dass da ein dringender Handlungsbedarf entstanden ist. Und in diesem Buch habe ich versucht, das so deutlich wie möglich darzustellen, vor allem jenseits dieser Moralisch-Unmoralisch-Debatte, dieser oberflächlichen politischen Diskussion, die wir in den letzten Jahren und Monaten gehabt haben. Sondern tiefer zu schauen: Was beschäftigt die Menschen - Flüchtlinge wie Mehrheitsgesellschaft - und wie können wir daraus Gewinn machen und nicht dazu führen, dass diese Gesellschaft sich mehr polarisiert, sich mehr spaltet, was ich nicht hoffe und nicht will."
    Das bedeutet aber nicht, dass er in eine windelweiche Haltung verfällt, die es allen recht machen will. Ahmad Mansour eckt an, so sehr, dass er bedroht wird. Von Menschen, die ihn für einen Ungläubigen halten, was in bestimmten Kreisen einem Todesurteil gleichkommt, zumindest den sozialen Tod bedeutet. Mansour zitiert in seinem Buch aus Emails, aus Kommentaren von Glaubensgeschwistern. Da kann einem schwindlig werden. Doch Mansour macht nicht die einzelnen Angreifer verantwortlich, sondern all jene - auch in islamischen Verbänden -, die nur "gut und böse, halal und haram, schwarz und weiß" kennen, die unreflektiert Opferrollen zelebrieren, die Angstpädagogik propagieren, die Lebens- und Sexualfeindlichkeit sowie patriarchale Strukturen weitergeben. Wie er zu diesen Islamströmungen steht, damit hält Mansour nicht hinter dem Berg. Und doch differenziert er, will niemandem seine Religion nehmen, solange sie grundgesetzkonform ist:
    "Es gibt bei vielen Menschen eine Religiosität, die eine Inspiration ist, die eine spirituelle Dimension hat und ihnen Stärke gibt. Diese hat eine absolute Berechtigung. Das möchte ich ausdrücklich betonen. Man darf sie nicht abwerten oder versuchen, sie auszulöschen. Zum Problem wird Religion aber immer dann, wenn sie Menschen unterdrückt, instrumentalisiert, unmündig macht oder wenn sie eine politische Dimension hat. Sie wird auch dann zum Problem, wenn sie den Menschen Angst vor dieser Gesellschaft macht und die Art und Weise, wie die Menschen hier leben, abwertet oder dieses religiöse Verständnis zu einer Integrationsverweigerung oder -unfähigkeit führt."
    Das Opfer-Etikett ist auch eine Herabwürdigung
    Dass Integrationsverweigerung verteidigt wird mit dem Verweis auf die kulturelle Identität von Muslimen - das ärgert Mansour. Wer an vorderster Front Integrationsarbeit leiste, sei permanent konfrontiert mit dem Vorwurf, Kulturkolonialist zu sein. Aber niemand wolle in einen solchen Verdacht geraten. Mit der Folge, dass die Akteure der Integration - etwa im Polizeidienst oder in der Schule - einknicken. Wenn aber Muslime einen Bonus bekommen - dann ist das aus Mansours Sicht Rassismus: positiver Rassismus, der letztlich ebenso degradiere wie negativer Rassismus. Denn in beiden Fällen würden Muslime von oben herab behandelt. Von den einen wie eine Gruppe, die nicht anders kann, von den anderen wie Opfer, wie Objekte, wie Schutzbefohlene in einem patriarchalen Verhältnis.
    Mansour nimmt es mit Rechten und mit Linken auf. Wobei es ihm letztlich nicht um Rechts contra Links geht. Auch nicht primär um den Islam. Es geht ihm um Anti-autoritär contra Autoritär. Um Demokratisch contra Un-Demokratisch.
    Ein engagiertes Buch
    Wer sich seit Jahrzehnten intensiv mit Islam- und Integrations-Fragen beschäftigt hat, wird in diesem Buch auch Bekanntes lesen. Es ist kein Buch, das für Soziologie-Seminare geschrieben ist. Es ist auch kein Buch, das modischen Politikwissenschaftler-Medien-Sprech und neue Buzz-Wörter erfindet, mit denen der Leser glänzen könnte. Es ist ein Buch, in dem jemand mit offenem Visier für seine Sache einsteht. Das ist authentisch. Das ist engagiert. Das ist vorbildlich. Und so hört es sich an:
    "Anis Amri hat im Namen des Islams getötet, und ich schäme mich, mit Tätern wie ihm eine Sprache, eine Religion, ein Buch zu teilen. Ich schäme mich, dass das, was mich teilweise ausmacht, ein Ungeheuer schaffen konnte. Ich will mich entschuldigen - und trotzdem denke ich, es kann doch nicht sein, dass ich nur das tun kann. Deshalb sehe ich es persönlich als eine Pflicht an, mehr zu tun: aktiv aufzuklären, aktiv die Menschen zum Nachdenken zu bringen, mich für ein liberales, freiheitliches, friedliches Miteinander einzusetzen."
    Es ist ein Buch, das geschrieben wurde, um etwas zu verbessern. Nicht umsonst ist das Buch ...
    "... gewidmet allen Kindern im Land für eine bessere Zukunft".
    Und auch wenn Zwangsbeglückung schon oft gescheitert ist. Es ist ein Buch, das die Bundesregierung jedem, der in Medien, Politik, Schule, Sozialarbeit und wo auch immer mit Integrationsfragen befasst ist, schenken könnte - mit einer Signatur der Kanzlerin - und der Empfehlung, es sich intensiv zu Gemüte zu führen. Am besten mehrfach. Dann hätten wir womöglich eine gemeinsame Basis in diesem Land.
    Ahmad Mansour: "Klartext zur Integration. Gegen falsche Toleranz und Panikmache",
    S.Fischer Verlag, 303 Seiten, 20 Euro.