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Ahmadinedschad steht "mit dem Rücken zur Wand"

Die Vorsitzende der Iran-Delegation des Europäischen Parlaments, Angelika Beer, hat die EU aufgefordert, alle diplomatischen Wegen zu nutzen, mit dem Iran ins Gespräch zu kommen. Nach den mutmaßlichen Wahlmanipulationen habe Ahmadinedschads Regime "keine politische Legitimität" mehr, so Beer.

Angelika Beer im Gespräch mit Bettina Klein | 22.06.2009
    Bettina Klein: Unregelmäßigkeiten habe es gegeben bei der Wahl, räumt der Wächterrat im Iran also ein. Irgendetwas hat er sagen müssen, angesichts der massiven und schlecht aus der Welt zu schaffenden Vorwürfe, die Wahl sei manipuliert und nicht kontrolliert worden. Eine Beruhigungspille meinen die einen, es könnte aber gleichzeitig auch ein Indiz dafür sein, dass der Geist der Rebellion und des Aufbruchs sich im Iran eben nicht mehr komplett zurückdrängen lässt. Experten, Kommentatoren, Oppositionspolitiker, sie alle können ihre Kritik, ihre scharfe Verurteilung an der Vorgehensweise der iranischen Führung äußern, laut, öffentlich, zugespitzt. Können das auch handelnde Politiker? Kann das etwa der amerikanische Präsident, oder muss er vom Ende her denken und immer seine langfristige Strategie im Auge behalten? Barack Obama erscheint manchem in den USA im Augenblick sehr zurückhaltend in seinen Reaktionen. Besonders von Seiten der Republikaner wird ihm das vorgehalten. Aber auch linke Kräfte hätten eigentlich eine deutlichere Distanzierung erwartet. Jeglichen Kommentar des Westens verbittet man sich bereits in Teheran. Wir haben es gerade im Bericht des Korrespondenten Ulrich Pick gehört. Wie also sieht die angemessene Reaktion aus? Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Angelika Beer, Vorsitzende der Iran-Delegation des Europaparlamentes. Ich grüße Sie, Frau Beer.

    Angelika Beer: Guten Tag, Frau Klein.

    Klein: Klare Worte einerseits, Zurückhaltung, um nicht den Verdacht entstehen zu lassen, die Proteste seien durch den Westen befeuert. Wie ist diese Abwägung zu bewerkstelligen?

    Beer: Gerade was die vorhergegangene Kritik an Barack Obama betrifft - ich glaube, dass er sich richtig verhält, dass er versucht, die Tür jetzt nicht zuzuschlagen, aber eben auch sich klar hinter die Demonstranten gestellt hat. Wir machen uns natürlich allergrößte Sorge, weil es kaum noch möglich ist, mit unseren Kontakten im Iran Informationen auszutauschen, aber ich muss auch sagen, wer im Moment fordert, Iran zu verurteilen, was wir ja alle tun in dieser Situation, aber das von Barack Obama zu fordern würde bedeuten, dass man die diplomatischen Fehler der letzten Jahre weiterführt, nämlich versucht, ein Schwarz-Weiß-Bild zu malen, dass es im Grunde nur Leute wie Ahmadinedschad im Iran gibt, und gerade das haben die Menschen jetzt ja bewiesen: der Iran hat sich verändert. Ich bin auch hundertprozentig sicher: Iran steht am Scheideweg. Ahmadinedschad, aber auch Khamenei stehen mit dem Rücken zur Wand und Iran wird nie wieder so sein wie vor dieser Repression der letzten Tage, ganz egal wie jetzt das Ergebnis ist.

    Klein: Lassen Sie mich da mal kurz nachfragen, Frau Beer. Es ist aber offensichtlich schwierig, die Grenze zu ziehen, denn schon jetzt bei relativ moderatem Protest nach Ansicht einiger in Richtung Teheran sagt das Regime ja, der Westen mischt sich ein, die Proteste werden vom Ausland befeuert und gesteuert. Muss die Staatengemeinschaft also dagegenhalten?

    Beer: Die Grenze gezogen und überschritten hat das Regime im Iran und seitdem heute durch den Wächterrat bekannt geworden ist, dass tatsächlich Manipulationen stattgefunden haben, ist ganz klar, dass dieses Regime keine politische Legitimität mehr hat. Was wir überlegen müssen ist, auf welcher Ebene jetzt interveniert wird, denn natürlich kann es nicht sein, dass man sagt, diese Verbrechen gegenüber den Demonstranten sind eine innere Angelegenheit. Das kennen wir von China nach dem Massaker auf dem Himmlischen Platz. Ich erwarte, dass die Vereinten Nationen sich einschalten, und ich denke, dass es auch an der Zeit ist, dass Ban Ki-Moon selber, dass jemand sagt, wir kommen jetzt in das Land, und auch die Europäische Union ist aufgefordert, europäische Abgeordnete oder auch Kommissionsmitglieder und Solana, jetzt zu verlangen, dass man in das Land rein kommt. Ich habe das vor der Wahl beim Europaparlament beantragt, es ist abgelehnt worden, und deswegen sage ich, Diplomatie muss jetzt auf allen Ebenen stattfinden, aber das beste wäre, wenn der Generalsekretär der Vereinten Nationen den Anspruch stellt, Iran sofort zu besuchen, denn das würde bedeuten, dass auch das iranische Regime, aber vor allen Dingen die Opposition, wissen, dass das, was Iran selber unterzeichnet hat, die internationale Charta der Menschenrechte, massiv verletzt ist und dass, wenn sie dann die Tür zuschlagen, in der Tat eine Wiederaufnahme versucht werden muss, von uns zu den Menschen den Kontakt zu bekommen. Das ist die Hauptsache im Moment. Mussawi wird nicht zurückgehen, er kann auch nicht mehr zurückgehen, und deswegen erwarte ich mehr Solidarität mit der Bevölkerung, als das bisher der Fall ist.

    Klein: Frau Beer, wenn Sie schon direkt die UNO ins Spiel bringen, glauben Sie denn, dass die Europäische Union an der Stelle jetzt machtlos ist?

    Beer: Die Europäische Union hat viel zu lange gewartet. Meine Delegation in Einvernehmen mit dem Parlament im Iran hatten gefordert, dass die EU eine Vertretung in Teheran eröffnet, damit ein wirklicher Dialog stattfinden kann, dass wir auch einen direkten Kontakt zu den Menschen dort haben. Das alles ist abgeblockt worden und deswegen sage ich auch an einen Herrn Pöttering und einen Noch-Kommissionspräsidenten Herrn Barroso, dass sie sich aktiv bemühen müssen, nicht über Schlagzeilen-Interviews und Presseerklärungen, sondern über die Wege, die wir alle kennen - darauf will ich jetzt nicht näher eingehen, um Menschen nicht zu gefährden -, aktiv zu versuchen, die Menschen im Iran zu unterstützen und natürlich auch jene Exiliraner, die im Ausland solidarisch sind.

    Klein: Das heißt Sie sprechen oder deuten an, diplomatische Wege zu nutzen, die außerhalb der Öffentlichkeit den Parlamentariern und Politikern zur Verfügung stehen, oder wie?

    Beer: Ich halte das für wichtiger, als jetzt sich nur hinzustellen und zu verurteilen, denn das zeigt Hilflosigkeit. Es sind nicht alle Türen zu und diese Türen, die noch offen sind, müssen jetzt genutzt werden.

    Klein: Sie haben gerade gesagt, Sie erwarten, dass das Land nach den Protesten nicht mehr dasselbe sein wird wie vorher. Von welcher Entwicklung in den nächsten Tagen und Wochen gehen Sie denn aus?

    Beer: Ich will nicht spekulieren. Ich fürchte ehrlich gesagt eine Zuspitzung seitens des Regimes im Iran gegen Demonstrierende. Es finden nachts Verhaftungen statt, es finden massivste Einschüchterungen statt. Aber so wie ich die Menschen kennen gelernt habe und hoffe, auch in Kürze wieder zu treffen, sie leben und sie wissen, dass sie Recht haben auf Freiheit, und sie wissen, dass dieser illegal wiedergewählte ernannte Präsident Ahmadinedschad - denn wir wissen ja, dass wirklich die Wahlen gefälscht sind und Mussawi gewonnen hat - nie wieder Vertrauen gewinnen wird und es ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis ein Ahmadinedschad, aber auch ein Khamenei dieses Land verlieren. Die Frage ist, ob sie ein Interesse an ihrer eigenen Bevölkerung haben. Ich hoffe das. Dann müssen sie jetzt die Karten auf den Tisch legen und sagen, wir machen eine Neuwahl. Dann muss aber auch die Europäische Union und die OSZE und die Vereinten Nationen sagen - im Gegensatz zu früher -, wir schicken Wahlbeobachter, wir sind dabei zu helfen, demokratische Wahlen durchzuführen.

    Klein: Aber Beobachter werden ja offenbar nicht zugelassen!

    Beer: Die Europäische Union hat bisher abgelehnt, Wahlbeobachter zu schicken, weil die Vorauswahl der Kandidaten durch den Wächterrat für uns ein undemokratischer Faktor ist, den wir nicht akzeptieren können. Wir hätten sonst zur Legitimation dieses Wächterrates beigetragen, nur die Situation hat sich geändert. Wenn ein Mussawi sagt, er tritt wieder an, oder auch ein Karubi - ich will da jetzt keinen in den Vordergrund ziehen -, dann muss es beim nächsten Mal, sobald Wahlen stattfinden können - und ich denke, auch die Forderung jetzt, dass bei einer Nachzählung internationale Vertreter dabei sind, diese Forderung muss gestellt werden, auch wenn im Moment wenig Hoffnung besteht, dass sie akzeptiert wird.

    Klein: Wie bewerten Sie die jüngste Entwicklung, dass der Wächterrat Unregelmäßigkeiten eingeräumt hat? Ist das für Sie ein Zeichen, dass die Schwäche, die in der Führung vorhanden ist, sich eben nicht mehr leugnen lässt? Ist das ein Indiz dafür, dass man anfängt nachzugeben?

    Beer: Das kann man heute noch nicht sagen, denn es kann auch sein, dass der Wächterrat versucht, ähnlich wie Khamenei nach der Wahl zu versuchen, noch irgendwie eine Legitimation künstlich herzustellen. Das würde bedeuten, dass der Wächterrat versucht, jetzt zu sagen, okay, es hat mehr Stimmzettel gegeben als eigentlich Stimmen, aber grundsätzlich ändert das nichts am prozentualen Verhalten. Das wäre die gleiche katastrophale Legitimation, die Khamenei im Freitagsgebet vorgenommen hat. Dennoch heißt das, dass jetzt die Europäer und auch die Vereinten Nationen im Moment agieren müssen, wie eben schon gesagt, auf allen diplomatischen, auch leisen Wegen, statt zu warten, ob es zu einem Massaker kommt oder nicht.

    Klein: Angelika Beer war das, die Vorsitzende der Iran-Delegation des Europaparlamentes. Sie ist Mitglied der Fraktion der Grünen. Ich danke Ihnen, Frau Beer, für das Gespräch.