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"Aids kann man verhüten"

Rita Süssmuth plädiert für neue Wege in der Aids-Aufklärung. Zum Beispiel könne die "authentische Mitteilung von Menschen, die sich infiziert haben" wirkungsvoll über die Gefahren der Krankheit informieren, sagte die ehemalige Bundesfamilienministerin. Letztendlich könne Aufklärung die Verantwortung des Einzelnen aber nicht ersetzen.

Moderation: Christian Schütte | 29.11.2007
    Christian Schütte: In Deutschland stecken sich immer mehr Menschen mit HIV an, 3000 Aids-Infizierte in diesem Jahr, das sind zehn Prozent mehr als 2006. Diese Zahlen hat Bundesgesundheitsministerin Schmidt Anfang der Woche gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut vorgelegt. Heute will sich Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul zur deutschen Anti-Aids-Politik äußern. Es wird also wieder über diese Krankheit geredet in diesen Tagen, vermutlich vor allem deshalb, weil am 1. Dezember Welt-Aids-Tag ist. In der restlichen Zeit des Jahres kommt das Thema in der Öffentlichkeit kaum auf, das war in den 80er Jahren anders, als Aids erkannt und bekannt wurde.

    Eine Politikerin, die die Aufklärung in Deutschland vorangebracht hat, war die damalige Familienministerin Rita Süssmuth. Sie ist nun am Telefon. Guten Morgen, Frau Süssmuth!

    Rita Süssmuth: Guten Morgen!

    Schütte: War Ihre Aufklärungsarbeit von damals längerfristig betrachtet vergebene Liebesmüh?

    Süssmuth: Nein, das würde ich überhaupt nicht sagen, denn überlegen Sie mal den Zeitraum, über den wir jetzt sprechen. Und in diesem Zeitraum war die Aids-Aufklärung ein wichtiger Erfolg und ein Erfolg für Möglichkeiten in der Prävention. Nur, wir stellen ja nicht erst in diesem Jahr, auch schon im vorigen Jahr fest, die Infektionsraten steigen wieder. Und wenn Sie vergleichen, was wir damals an Intensität und Aufwand getrieben haben, um die breite Bevölkerung zu erreichen, dann ist die Aufklärung ganz stark zurückgegangen.

    Schütte: Also Aids in Deutschland ist für die Politik kein Thema mehr?

    Süssmuth: Es ist wieder ein Thema. Die Ministerin hat ja auch deutlich gemacht, sie haben die Mittel für die Aids-Aufklärung und für Aids-Maßnahmen wieder erhöht, aber Sie dürfen nicht vergessen, dass wir auf dem Höhepunkt der ausgebrochenen Krankheit beispielsweise im Haushaltsjahr 87 und 88 50 Millionen zur Verfügung hatten, jetzt bewegt es sich weit, weit darunter. Das andere ist aber auch, dass mit der Entdeckung von neuen Medikamenten die Menschen offenbar die Krankheit nicht mehr so dramatisch einschätzen, wie sie das früher getan haben und offenbar auch nicht mit dem Tod rechnen. Denn bei allen Verlängerungsmaßnahmen: Erstens, die Krankheit ist bisher nicht heilbar. Die jüngste Konferenz vor 14 Tagen zum Impfstoff hat gezeigt, auch hier können wir zurzeit kein Datum angeben, wann denn ein Impfstoff erprobt vorliegt. Und wenn Sie sich die Zahl anschauen, Robert Koch-Institut und die Gesundheitsministerin haben 456, sprich ja zu 500 Tote im letzten Jahr zu beklagen, dann wissen wir, dass wir unsere Anstrengungen wieder kräftig erhöhen müssen.

    Schütte: Also die Aufklärung ist heute wichtiger denn je. Wie konnte es denn in den vergangenen Jahren dazu kommen, dass das Geld, das die Politik in die Aufklärung, in die Prävention gesteckt hat, so deutlich zurückgefahren worden ist?

    Süssmuth: Zum einen, weil sie über die Jahre deutlich machen konnten, wie gering der Anstieg an Neuinfektionen war, wobei ich immer noch einmal betone, das sind Schätzungen, ganz genau wissen wir es nicht. Die Tatsache, dass die Neuinfektionen sich in einer ja so geringen Marge hielten und die Medikamente erheblich die Lebensqualität der Infizierten verbessert haben, auch den Ausbruch der Krankheit zum Teil herausgezögert haben, hat die Menschen weniger aufmerksam, weniger vorsichtig sein lassen. Wenn wir nach Gruppen vorgehen, entfallen nach Angaben des Robert Koch-Institutes 72 Prozent der Aids-Infektionen auf Homosexuelle. Und das zeigt, wir haben es nach wie vor mit Zielgruppen zu tun, in denen wir ganz intensiv Aufklärung und Prävention betreiben müssen. Aber ich füge hinzu, es betrifft auch die heterosexuelle Bevölkerung. Und auch hier haben wir eine Zunahme, so dass ich noch mal dringend auffordern möchte, alle, die es heute Morgen auch hören: Aids kann man verhüten, man muss es nicht bekommen! Und insofern haben wir wieder stärker darauf zu achten.

    Schütte: Nun sagt die Deutsche Aidshilfe, dass unter den Menschen, die auch genau um die Risiken wissen, eine Art Präventionsmüdigkeit herrscht. Weshalb ist das so?

    Süssmuth: Also das mag es im Einzelnen geben, aber eine Präventionsmüdigkeit kann man ja nicht akzeptieren, wenn es auf Leben und Tod geht und wenn es um unheilbare Krankheiten geht. Ich gehe eher davon aus, dass man darauf setzt, so schlimm wird es ja nicht werden, und deutlicher gemacht werden muss, wo die Risiken der Erkrankung liegen, welchen Verlauf sie nimmt, auch mit den modernen Kombinationspräparaten. Es gibt übrigens auch die Annahme, daran stirbt man ja nicht, und dem muss man entgegenwirken.

    Schütte: Also ist es doch mangelnde Aufklärung, und dabei wären wir wieder bei der Verantwortung der Politik. Das heißt, die Zahl der gestiegenen Neuinfektionen ist letztendlich Schuld der Politik?

    Süssmuth: Nein, da sage ich mal, die Politik hat einen wesentlichen Beitrag zu leisten, hier hat sie ihre Verantwortung, die Aufklärung so intensiv zu betreiben wie möglich. Dazu gehört übrigens auch, um Aufmerksamkeit zu erregen, sehr viel Fantasie in den Formen der Aufklärung.

    Schütte: Sie sind damals durch Fernsehshows gegangen und haben aufgeklärt?

    Süssmuth: Ja, wir haben breit aufgeklärt, und ich sage zum anderen auch, die Verantwortlichkeit liegt auch beim Einzelnen und den Gruppen. Die Politik hat ihre Verantwortung nicht zu unterlassen, was der Aufklärung, sprich der Information und der Verhütung dient, auf alle Risiken mit Nachdruck und Schärfe auch aufmerksam zu machen, fantasiereich zu sein in der Aufklärung, um den Aufmerksamkeitsgrad wach zu halten, aber keine Politik kann die Verantwortung des Einzelnen ersetzen, und insofern kommt es entscheidend darauf an, ob die Menschen sich verantwortlich verhalten.

    Schütte: Aufsehen erregendere Kampagnen, sagen Sie. Nun stehen beispielsweise der Fußballer Philipp Lahm oder auch der Rapper Samy Deluxe, auch andere Prominente, Pate bei einer Kampagne, unter anderem vom Gesundheitsministerium initiiert. Versprechen Sie sich davon einen Erfolg?

    Süssmuth: Gut, die brauchen wir. Was ich mit Aufmerksamkeit meinte, heißt, Botschaften, die neu sind, die ich nicht gehört habe, es gibt Stolpersteine, es gibt sehr witzig, aber in der Sache ernste Aufklärungsansätze, und insofern meinte ich das mit Fantasiereichtum.

    Schütte: Welche Stolpersteine meinen Sie?

    Süssmuth: Also ich meine solche Stolpersteine, die nicht in der normalen Wahrnehmung liegen. Ich habe das damals erlebt, Kondome war damals aufregend. Also wie kann man darauf kommen, für Kondome zu werben? Das ist es heute nicht mehr.

    Schütte: Haben Sie eine konkrete Idee, was man heute machen könnte?

    Süssmuth: Also ich würde noch viel stärker als Fußballer Betroffene selbst einsetzen. Damit haben wir damals sehr gute Erfahrungen gemacht, weil die von etwas reden, was sie kennen. Und Aids-Kranke wie auch Aids-Infizierte entwickeln angesichts der eigenen Existenzkriege ungeheure Kraft, darüber auch anderen mitzuteilen, die authentische Mitteilung von Menschen, die sich infiziert haben.

    Schütte: Rita Süssmuth, frühere Familienministerin und in den 80ern Vorkämpferin in Sachen Aids-Aufklärung. Ich danke für das Gespräch.

    Süssmuth: Bitte. Wiederhören.