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AIDS-Medikament wirkt auf das Gehirn wie LSD

Inzwischen gibt es zahlreiche Medikamenten-Kombinationen, mit denen sich HIV über viele Jahre unter Kontrolle halten lässt. Diese Medikamente haben einige unerwünschte Nebenwirkungen: Efavirenz wirkt auf das Gehirn wie eine Droge, wie US-Forscher in Versuchen mit Mäusen feststellten.

Von Martin Winkelheide | 10.07.2013
    Efavirenz wird häufig als ein Baustein einer Kombinationstherapie gegen HIV genutzt. Der Wirkstoff blockiert ein Enzym, das das Virus unbedingt benötigt, um sich zu vermehren. Neben dieser erwünschten Wirkung hat Efavirenz auch unerwünschte Nebenwirkungen. Sie betreffen insbesondere das zentrale Nervensystem.

    "Dazu gehören Schwindel, Schlafstörungen, Albträume, Benommenheit, Müdigkeit, und die sind schon sehr relevant."

    Etwa jeder zweite Patient leidet unter Nebenwirkungen, vor allem zu Beginn der Behandlung, so Torsten Feldt von der HIV-Ambulanz am Universitätsklinikum Düsseldorf. Seltener klagen Patienten auch über Depressionen, Angstattacken oder entwickeln sogar eine Psychose:

    "Die meisten Nebenwirkungen werden spontan besser und verschwinden nach einigen Wochen. Meistens im Laufe der ersten zwei bis vier Wochen. Bei vielleicht 10 bis 20 Prozent der Patienten bleiben dann noch Nebenwirkungen, die als störend empfunden werden, übrig, und in dem Fall würde man dann auf eine andere Substanz ausweichen."

    Aber wie genau kommt es zu den psychoaktiven Wirkungen von Efavirenz? Das fragte sich der Pharmakologe und Neurowissenschaftler John Schetz von der Universität von Nord-Texas in Fort Worth. Er hatte in einem Film über Südafrika gesehen, dass Efavirenz dort auch als illegale Rauschdroge gehandelt wird.

    "Der Film zeigt, wie Leute in Südafrika die Pillen zerstoßen, mit Tabak vermischen und wie eine Zigarette rauchen. Sie werden offensichtlich high davon. Man kann ihnen ihren Rausch richtig ansehen. Nach dem Film habe ich erste Vermutungen notiert, was mögliche Wirkmechanismen im Gehirn sein könnten."

    John Schetz begann, seine Hypothesen experimentell zu überprüfen. Er verfütterte Efavirenz an Labormäuse.


    "Medikamente, die beim Menschen Halluzinationen verursachen, lösen bei Versuchstieren ganz typische Verhaltensänderungen aus. Mäuse, denen wir hohe Dosen Efavirenz gegeben hatten, reagierten mit einem ganz besonderen Kopf-Nick-Reflex. Auch auf LSD und andere Halluzinogene reagieren die meisten Tiere so."

    Ein AIDS-Medikament, das im Gehirn so wirkt wie LSD? John Schetz wollte es jetzt genau wissen. Er züchtete Mäuse, auf deren Gehirnzellen die Struktur fehlt, an die LSD andockt. Bei Mäusen, denen dieser Fünf-Hydroxytryptamin-Rezeptor fehlte, blieb tatsächlich der typische Kopf-Nick-Reflex aus, obwohl sie hohe Dosen Efavirenz zu fressen bekommen hatten.

    Damit ist klar: Efavirenz wirkt auf dieselben Strukturen im Nervensystem, auf die auch illegale Halluzinogene wirken.

    "Da wir jetzt auf molekularer Ebene verstehen, wie Efavirenz im Gehirn wirkt, können wir den Wirkstoff so verändern, dass er immer noch sehr effektiv die Vermehrung des HI-Virus unterdrückt. Nur, dass er eben keine psychoaktiven Nebenwirkungen mehr hat, und als illegale Rauschdroge eignet er sich dann auch nicht mehr."

    Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis ein nebenwirkungsarmer Wirkstoff entwickelt und getestet ist. John Schetz ist es daher wichtig, dass HIV-Patienten nicht die falschen Schlüsse aus seiner Studie ziehen.

    "Ich will nicht, dass die Leute meinen, Efavirenz sei ein schlechtes Medikament, und aufhören, es zu nehmen. Sicher, was die Nebenwirkungen angeht, da gibt es jede Menge zu verbessern. Aber wir wissen jetzt was und wie – und wir arbeiten dran."