Dienstag, 23. April 2024

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Akgün: Vertrauen in deutsche Behörden ist relativ niedrig

Die SPD-Politikerin Lale Akgün wirft Migrantenvertretern in Deutschland vor, die Stimmung nach dem Wohnungsbrand in Köln weiter anzuheizen. Die Polizeiermittlungen zu kritisieren sei "eine schlechte Gelegenheit zu zeigen, wir wehren uns" und würde die Diskrepanz zwischen Türken und Deutschen verstärken.

Lale Akgün im Gespräch mit Friedbert Meurer | 03.04.2013
    Friedbert Meurer: Letzter Samstag: Spätabends rückt die Kölner Feuerwehr zu einem Einsatz in den Stadtteil Höhenberg aus. Höhenberg, das ist ein Stadtteil mit hohem Migrantenanteil im Rechtsrheinischen. In einem Mehrfamilienhaus ist ein Feuer ausgebrochen. 2 Menschen sterben, über 20 werden verletzt. In dem Haus wohnen mehrheitlich türkischstämmige Mieter. Noch steht die Ursache des Brandes nicht fest, es wird ermittelt, vielleicht kommt ein Ergebnis heute Nachmittag.

    Aber die Stimmung ist gereizt. Die Keupstraße ist nur wenige Kilometer entfernt von Höhenberg und dort hat der rechtsradikale Nationalsozialistische Untergrund vor Jahren ein Attentat mit einer Nagelbombe gezündet. Türkische Anwohner haben Angst, der Brand in Höhenberg könne wieder ein Anschlag von Rechtsradikalen gewesen sein.

    Der Chef der türkischen Gemeinden in Deutschland, Kenan Kolat, fordert bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, den Brandort zu besuchen. Lale Akgün ist eine sozialdemokratische Politikerin hier aus Köln, saß für die SPD im Bundestag, wir erreichen Sie im Moment in der Türkei. Guten Tag, Frau Akgün!

    Lale Akgün: Guten Tag!

    Meurer: Können Sie ein bisschen aus der Ferne einschätzen, wie die Stimmung hier in Köln ist, in Ihrer Heimatstadt?

    Akgün: Nun, ich denke, die Stimmung ist natürlich einmal durch die Vorgänge, die eine Geschichte von über 20 Jahren haben, Solingen, Mölln, NSU-Morde, natürlich immer ein bisschen aufgeheizt. Auf der anderen Seite sehe ich hier aus der Entfernung mit Unbehagen, dass einige durchaus den Wunsch haben, die Stimmung weiter anzuheizen.

    Meurer: Wen meinen Sie damit?

    Akgün: Ich meine zum Beispiel, dass sofort sich die Vertreter der muslimischen Gemeinden, Herr Masyec, oder der türkischen Gemeinden Deutschlands, Herr Kolat, einschalten und davon reden, man müsse eigentlich immer von rechtsradikalen Anschlägen ausgehen, oder alle Muslime seien verunsichert. Das finde ich erst mal eine Übertreibung und zweitens habe ich das Gefühl, dass es der Versuch ist, sich als Stimme der Repräsentanten der Muslime zu etablieren.

    Meurer: Kenan Kolat, der Vorsitzende der türkischen Gemeinden, hat auch gesagt oder den deutschen Behörden vorgeworfen, sie würden diese Wohnungsbrände verniedlichen. Wie kommt er dazu?

    Akgün: Nun, ich möchte einfach noch mal festhalten, dass im Gegenteil nicht nur nicht verniedlicht wird, sondern ich glaube, dass die Behörden besonders sensibilisiert sind, nichts zu übersehen. Wie ich gesagt habe: Die NSU-Morde, denke ich, stecken noch allen schwer in den Knochen, und da möchte keine Behörde auch nur einen Hauch des Zweifels auf sich lassen und wird besonders intensiv dort nachforschen.

    Ich möchte einfach ganz klar sagen: Herr Kolat versucht, sich als die Stimme der Migranten zu etablieren, und das ist eine "gute", natürlich aber eine schlechte Gelegenheit zu zeigen, wir wehren uns. Die Frage ist, wogegen und wer sich wehrt, und die Frage ist natürlich auch, man muss natürlich auch immer nach unmittelbaren Dingen gucken und nicht sofort mittelbar bei Hausbrand und Türken, also von Brandanschlag ausgehen.

    Meurer: Gibt es eigentlich irgendeine Statistik, wonach Häuser mit türkischen Bewohnern häufiger in Flammen aufgehen oder es dort Wohnungsbrände gibt als deutsch-deutsche Häuser?

    Akgün: Ich kenne keine Statistiken, aber ich würde als jemand, die lange in sozialen Brennpunkten gearbeitet hat, mal spekulieren, dass wir natürlich in Stadtteilen, die sozial benachteiligt sind, mehr Wohnungsbrände haben, weil die Leitungen maroder sind, weil die Leute billige Stecker benutzen, weil einfach die ganze Situation dementsprechend schlecht ist. Sie hören immer wieder: In Häusern, etwa alten Holzhäusern, oder wie in Backnang vor einem Monat, das war irgendein ehemaliges Fabrikgelände. Also Sie sehen: Der Zusammenhang ist nicht Türke/Wohnungsbrand, sondern soziale Benachteiligung/Wohnungsbrand.

    Meurer: Wir haben keine Hinweise, dass ein Brandsatz geworfen worden ist. Wir können im Moment nichts sagen, sagt die Kölner Staatsanwaltschaft. Wie groß ist das Vertrauen der türkischstämmigen Bevölkerung in die deutschen Behörden?

    Akgün: Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, dass da an der Stelle das Vertrauen relativ niedrig ist. Ich befürchte es fast, weil immer wieder auch eben zum einen die Stimmung aufgeheizt wird und zum anderen auch die Leute das Gefühl haben, wir sind eh nicht erwünscht. Aber ich möchte das noch mal unterstreichen: Solche Aussagen wie, wenn es bei einer türkischen Familie brennt, muss man immer von rechtsradikalen Ursachen ausgehen, verstärken ja diese Diskrepanz zwischen wir und ihr und schaffen nicht das Vertrauen, das eigentlich geschaffen werden muss, in dem wir gemeinsam nach Ursachen von Bränden suchen, oder eben was auch immer passiert ist.

    Meurer: Gibt es, Frau Akgün, nicht dieses ihr und wir insbesondere seit der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes? Deutsche waren von der Mordserie als Opfer nicht betroffen, wenn man von der Polizistin absieht.

    Akgün: Ich glaube, dass dieses Gefühl eigentlich schon seit Solingen da ist und Mölln. Diese beiden Katastrophen haben hier das Gefühl, nicht erwünscht zu sein, bei den Türken sehr, sehr stark im kollektiven Unbewussten verankert. Und dass immer jetzt bei jedem Wohnungsbrand sofort alle Warnlampen angehen, würde ich auch darauf zurückführen, und die NSU-Morde, wo ja heute noch gar nicht klar ist, in welcher Form und wieso die Behörden so versagt haben.

    Meurer: Der türkische Vizeministerpräsident Bekir Bozdag hat gesagt, die deutschen Behörden machen sich lächerlich, wenn sie fünf Minuten nach einem Feuer die Erklärung verbreiten, der betreffende Brand habe nichts mit Neonazis zu tun. Welche Rolle spielen Politiker in der Türkei in diesem Zusammenhang?

    Akgün: Nun, ich würde sagen, die Politiker in der Türkei, die schwingen sich natürlich zu den Sprechern der türkischen Menschen in Deutschland. Sie betrachten die Leute dort als ihre Bürger. Ministerpräsident Erdogan schrieb mal von "meinen Bürgern in Deutschland", "meinen türkischen Bürgern". Und sie wollen natürlich parteilich für die Menschen eintreten und wollen ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, wir sind für euch da.

    Aber wenn man ein bisschen dahinter schaut, dann kann man zum Beispiel feststellen, dass jetzt zum ersten Mal 2015 die Auslandstürken in der Türkei mitwählen dürfen, und wenn Sie sich da den Zusammenhang noch mal herstellen, denke ich, kann man davon ausgehen, dass man sich auch nicht nur die Solidarität der Landsleute dann noch mal sichert, sondern auch möglicherweise Stimmen für die nächste Wahl in der Türkei.

    Meurer: Aus der Türkei gibt es ja auch selbst aus dem türkischen Außenministerium heftige Kritik daran, an dem Akkreditierungsverfahren für Journalisten beim Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund in München. Sie wissen: Türkische Medien haben keinen Platz bekommen, weil ein Verfahren galt, wonach der was kriegt, der zuerst malt. Was steckt hinter dieser Kritik?

    Akgün: Nun ja, wissen Sie, ich würde da die gleichen Ursachen vermuten zu sagen: Sie wollen ja damit immer andeuten, ihr wollt nicht, dass türkische Medien berichten können, ihr wollt ihnen sozusagen Informationen vorenthalten, und damit gießen sie ja Öl ins Feuer, weil man denkt, oh Gott, die sollen nicht mal darüber berichten können. Was ich besonders bemerkenswert finde, ist, dass immer noch der türkische Außenminister Davutoglu den deutschen Außenminister Westerwelle anruft und sagt, sorg dafür, dass die Plätze frei sind für türkische Journalisten.

    Sie müssen kapieren, auch die türkische Politik muss kapieren, dass einfach die Justiz frei ist und frei sein muss von jeglichem Druck aus der Politik, und das ist in der Türkei leider noch nicht so. Da kann Politik immer noch Einfluss nehmen auf die Justiz, und das geht nicht. Ich glaube, an der Stelle muss die deutsche Justiz hart bleiben, um zu zeigen, wir sind nicht von der Politik abhängig. Wenn jetzt deutsche Journalisten zurücktreten und ihren Platz freimachen für die türkischen Kollegen, wäre das besonders nett und schön, aber es würde nichts an dem Grundsatz ändern, dass man eben mit Politik nicht die Justiz lenken kann.

    Meurer: Die SPD-Politikerin Lale Akgün zu neuesten deutsch-türkischen Verstimmungen im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess und jetzt mit dem schrecklichen Wohnungsbrand in Köln-Höhenberg. Frau Akgün, danke und auf Wiederhören!

    Akgün: Auf Wiederhören!


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