Freitag, 19. April 2024

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Aktion "Frag Sie Abi"
Onlinekampagne fordert freien Zugang zu alten Abituraufgaben

Jeder habe laut Informationsfreiheitsgesetz das Recht, Abituraufgaben vergangener Jahre einzusehen, sagte Arne Semsrott, Projektleiter des Internetportals "Frag den Staat", im Dlf. Das sei bisher nicht in allen Bundesländern möglich. Mit einer Onlinekampagne soll sich das jetzt ändern.

Arne Semsrott im Gespräch mit Regina Brinkmann | 18.02.2019
    ILLUSTRATION - Ein Füllfederhalter liegt auf einem Abiturzeugnis des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Foto: Jens Büttner/dpa | dpa-Zentralbild| Verwendung weltweit
    Er hoffe, dass die Kultusministerien aufgrund der Onlinekampagne "Frag Sie Abi" umdenken würden und künftig Abituraufgaben vergangener Jahre angehenden Abiturienten zeitnah zur Ansicht zur Verfügung stellten, sagte Arne Semsrott im Dlf (dpa-Zentralbild)
    Regina Brinkmann: Ab Ende April stehen die ersten Abi-Klausuren an und wer sich darauf optimal vorbereiten will, kann sich im Buchhandel natürlich mit entsprechenden Übungsbüchern eindecken, oder es gibt auch die Möglichkeit, sich alte Abi-Aufgaben selbst zu besorgen, und zwar bei den jeweiligen Schul- und Kultusministerien. Besonders bequem geht das über das Informationsportal "Frag den Staat", das Arne Semsrott als Projektleiter betreut. Herr Semsrott, wenn ich auf Ihre Seite gehe, kann ich meine Anfrage starten unter dem Banner "Frag Sie Abi", wie kamen Sie denn auf diese Bezeichnung?
    Arne Semsrott: Mit "Frag Sie Abi" stehen wir in der großen Tradition der schlechten Wortspiele, ich glaube, das ist in Deutschland einfach so, dass man jedes Jahr zum Abi-Jahrgang ein schlechtes Abi-Wortspiel macht, das wollten wir auch, und ich glaube, mit "Frag Sie Abi" ist uns das sehr gut gelungen.
    Brinkmann: So, wenn ich das Banner dann angeklickt habe auf Ihrer Seite, was passiert dann? Wie funktioniert das Ganze?
    Semsrott: Über "Frag Sie Abi" haben alle Menschen das Recht und die Möglichkeit, Abi-Klausuren und Lösungen der letzten Jahre von allen möglichen Bundesländern abzufragen. Das geht so, dass man auf ein Bundesland klickt, das man interessant findet, also ich schreibe zum Beispiel bald Abi in Schleswig-Holstein, dann kann ich auf Schleswig-Holstein klicken, kann dann das Fach raussuchen, das ich interessant finde, zum Beispiel Mathe oder Deutsch, und kann dann nacheinander anklicken die Prüfungsaufgaben von 2018, von 2017, von 2016, und "Frag Sie Abi" wird dann ganz automatisch eine vorformulierte Anfrage nach dem jeweiligen Informationsfreiheitsgesetz an die Kultusministerien absenden.
    "Eine Antwort bekommen Sie auf jeden Fall"
    Brinkmann: Und wie sicher ist das, dass ich da eine Antwort bekomme?
    Semsrott: Eine Antwort bekommen Sie auf jeden Fall und wahrscheinlich auch die Dokumente, denn das ist nicht einfach nur eine normale Anfrage, sondern es ist, wie gesagt, eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz, das heißt, alle Menschen haben auch das Recht, diese Aufgaben zu bekommen, und zwar nicht irgendwann, sondern innerhalb der Frist von einem Monat. Und in diesem Fall muss dann also Schleswig-Holstein nach dem Gesetz die Abi-Aufgaben der letzten Jahre zuschicken.
    Brinkmann: Ja, das klingt jetzt so, nach dem Gesetz – tun sie es denn auch? Beziehungsweise mal anders gefragt: Wie leicht oder schwer war es denn bislang, an alte Abi-Aufgaben heranzukommen?
    Semsrott: Na ja, der Föderalismus ist nicht nur im Bildungssystem, sondern auch im Informationsfreiheitssystem ein ganz großer Faktor, es unterscheidet sich je nach Bundesland ein bisschen. Wir haben drei Bundesländer, die haben so ein Gesetz nicht, Bayern, Sachsen und Niedersachsen. Da ist man ein bisschen darauf angewiesen, dass die Ministerien einem das einfach trotzdem zuschicken.
    Es gibt Bundesländer, da klappt das bisher sehr unkompliziert, Hamburg, Schleswig-Holstein zum Beispiel. Und dann gibt es Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, die einem zwar diese Dokumente zuschicken, aber dann darf man sie nicht veröffentlichen, denn NRW zum Beispiel hat die Aufgaben der letzten Jahre verkauft an einen Schulbuchverlag und damit dann auch die Nutzungsrechte, und deswegen darf man es dann nicht einfach so veröffentlichen.
    Brinkmann: Jetzt haben Sie aber auch Bundesländer genannt, Bayern war eines davon, die dieses Gesetz überhaupt nicht haben. Wie reagiert denn Bayern zum Beispiel auf diese Aktion?
    Semsrott: Es kommt so ein bisschen drauf an. Also wir haben natürlich im Vorfeld ein paar Probeanfragen gemacht, und da wurde uns dann quasi aus Kulanz das jeweilige angefragte Fach zugesandt. Wir hoffen deswegen einfach mal, dass es jetzt auch einfach so weiter passiert, denn wenn sie jetzt schon einzelne Fächer zugeschickt haben aus Bayern, dann machen sie das hoffentlich mit anderen auch.
    Es geht uns ja vor allem darum, den Standard festzusetzen, dass solche Aufgaben von den Bundesländern selbst veröffentlicht werden sollen, damit man eben nicht mehr anfragen muss, denn diese ganzen Dokumente, die wurden ja aus Steuergeldern bezahlt und deswegen ist es total sinnvoll, zu sagen, wir geben sie dann auch frei für die Öffentlichkeit, damit Schülerinnen und Schüler damit dann auch besser lernen können.
    "Schulbuchverlage haben sicherlich noch andere Geschäftsmodelle"
    Brinkmann: Und die Bildungsministerien, wie vorbereitet sind die jetzt auf diese Aktion, beziehungsweise wie aufgeschlossen stehen sie der ganzen Aktion gegenüber?
    Semsrott: Ich glaube, dass einige Kultusministerien jetzt ein bisschen überrannt wurden davon, aber das ist durchaus auch im Sinne der Kampagne, weil da, glaube ich, auf einen Schlag sehr gut deutlich wird, wie groß das öffentliche Interesse ist.
    Also wenn man eine Mail schreibt oder eine Petition mit ein paar Unterschriften abgibt, dann hat das in der Regel nicht so eine große Wirkung auf eine Verwaltung. Wenn aber dann 100 Anfragen kommen auf Basis des Gesetzes, dann, glaube ich, wird noch mal viel deutlicher, wie groß eigentlich das öffentliche Interesse ist und wie viele Leute diese Dokumente auch einfach haben wollen und wirklich brauchen, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt zur Abi-Vorbereitung. Und insofern hoffen wir, dass es jetzt sehr, sehr schnell, nämlich noch vor dem Abi, ein Umdenken gibt in vielen Bundesländern.
    Brinkmann: Ein bisschen verhageln Sie ja auch den Schulbuchverlagen das Geschäft damit, oder?
    Semsrott: Das ist, glaube ich, aber auch richtig so, denn ich glaube nicht, dass solche Aufgaben überhaupt verkauft werden sollten. Die wurden, wie gesagt, aus Steuergeldern bezahlt. Deswegen sollen die öffentlich frei verfügbar sein. Und die Schulbuchverlage, die haben sicherlich noch andere Geschäftsmodelle.
    Semsrott: Wir haben nur einen ideellen Gewinn daran
    Brinkmann: Also Sie setzen sich für Transparenz ein, wollen auch nicht, dass Aufgaben, die jetzt auf Steuerkosten, wie Sie gerade schon gesagt haben, entstanden sind, dann noch mal kommerziell genutzt werden dürfen. Da fragen sich jetzt wahrscheinlich einige, die das hören: Haben Sie denn irgendwie einen kommerziellen Nutzen dadurch, dass Sie diese Plattform anbieten, Herr Semsrott?
    Semsrott: Nein, gar nicht. Die Open Knowledge Foundation und Wikimedia, die beiden Vereine, die hinter dieser Aktion stehen, das sind beides gemeinnützige Vereine, die sich für Transparenz, für offenes Wissen einsetzen. Insofern haben wir einen ideellen Gewinn daran. Und ich glaube, an diesen Abi-Aufgaben kann man sehr gut verdeutlichen, was denn eigentlich an Mehrwert ist, wenn viele Dokumente öffentlich werden.
    Brinkmann: Sagt Arne Semsrott, er ist Projektleiter des Informationsportals "Frag den Staat", das seit einer Woche Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gibt, alte Abi-Aufgaben samt Lösungen bei den Bundesländern anzufordern. Vielen Dank, Herr Semsrott!
    Semsrott: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.