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Aktion Sühnezeichen seit 60 Jahren
10.000 Freiwillige für den Frieden

1958 wurde die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste gegründet. Die evangelische Organisation wollte der Welt und vor allem den Opfern des Zweiten Weltkriegs zeigen, dass die Deutschen sich verändert haben. Ist diese Arbeit 60 Jahre später noch immer notwendig?

Von Thomas Klatt | 12.04.2018
    Teilnehmer des Sommerlagers von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste säubern am 31.07.2015 Grabstätten auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee. Die jungen Erwachsenen aus Deutschland und Russland führen notwendige Pflege- und Erhaltungsarbeiten auf dem jüdischen Friedhof durch und setzen sich mit der Vergangenheit und Gegenwart jüdischen und russischen Lebens in Berlin auseinander.
    Teilnehmer eines Sommerlagers der "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" säubern Grabstätten auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Hallo, herzlich willkommen im Museum und Gedenkstätte Sachsenhausen. Ich heiße Alexandra, ich komme aus Weißrussland und ich werde heute für Sie eine Führung zum Thema Konzentrationslager Sachsenhauen gestalten."
    Alexandra Krivlenko aus Weißrussland ist 25 Jahre alt. Fast täglich führt sie Gruppen durch die brandenburgische KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Freiwillig, für ein monatliches Taschengeld von 350 Euro. Dazu erhält sie eine Monatskarte für Bus und Bahn und kann in einem kleinen WG-Zimmer in Berlin wohnen. Für Alexandra Krivlenko eine Gelegenheit, in Deutschland Erfahrungen zu sammeln.
    "Für die Leute aus meinem Heimatland ist es ein bisschen schwieriger, weil wir immer zuerst in die Schule gehen sollen, dann nach der Schule sollen wir studieren und dann Arbeit. Wir haben keine solchen Möglichkeiten wie hier in Deutschland ein freiwilliges Jahr zu machen, so ins Ausland zu fahren. Aktion Sühnezeichen Friedensdienste gibt uns, den Menschen aus einem kleinen Land, die Möglichkeit, dieses freiwillige Jahr hier in Deutschland zu machen und das finde ich wirklich großartig."
    Freiwillige aus Osteuropa kommen nach Deutschland
    Die junge Frau hat in Minsk Germanistik studiert. Danach arbeitete sie in einer weißrussischen Rechtsanwaltskanzlei. Dann aber nahm sie an zwei Sommerlagern von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Sachsenhausen teil.
    "Hier war auch das Speziallager Nr. 7, also das sowjetische Speziallager Nr. 7. Und das war sehr wichtig für mich, weil dieses Thema in meinem Heimatland und in anderen postsowjetischen Ländern unbekannt ist. Wir haben keine Museen und keine Ausstellungen zu diesem Thema. Bis jetzt ist es ein bisschen so ein Tabuthema."
    Alexandra Krivlenko ist eine von rund 20 jungen Freiwilligen, die über Aktion Sühnezeichen Friedensdienste pro Jahr nach Deutschland kommen. Die jungen Leute machen nicht nur Führungen in KZ-Gedenkstätten, sondern betreuen beispielsweise hochbetagte Opfer des NS-Regimes in jüdischen Einrichtungen und Gemeinden.
    Sühne statt Versöhnung
    Die Anfänge des evangelischen Hilfswerkes liegen 60 Jahre zurück. Am 30. April 1958 rief der Jurist Lothar Kreyssig die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zu einem entschlossenen Friedenszeichen auf. Von "Versöhnung" aber wollte die Kirche nicht sprechen, weiß Jutta Weduwen, seit 2012 Geschäftsführerin von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.
    "Versöhnung ist ein Begriff, der bewusst im Kontext von Sühnezeichen nicht benutzt wird. Tatsächlich war es, als Aktion Sühnezeichen 1958 auf der Synode in Berlin gegründet wurde, Lothar Kreyssig die Organisation zunächst Versöhnungszeichen nennen wollte, es dann aber viele Hinweise von Freundinnen und Freunden, von Kirchenvertretern gab, die gesagt haben: Versöhnung ist ein Ziel, das wir, die wir in der Schuld der nationalsozialistischen Verbrechen stehen, ist ein Ziel, was wir nicht formulieren können. Es gibt eine Täterseite und es gibt eine Seite der Opfer bzw. der Verfolgten."
    Die Synode beschloss, dass junge Deutsche über die evangelische Organisation so etwas wie "Wiedergutmachung" leisten sollten. Seit 1968 heißt sie Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, kurz ASF.
    "Versöhnung steht für zwei Seiten, die sich gestritten haben und die versuchen, sich wieder miteinander zu versöhnen. Und das ist nicht zutreffend für das, was im Nationalsozialismus passiert ist von deutscher Seite. SS, Wehrmacht, von den Mitläufern hat es eine Terrorherrschaft gegeben, eine Verfolgung und Vernichtungspolitik gegeben. Und ein Zulassen auf Opferseite und oder bei den Nachkommen der Verfolgten kann nur ein Geschenk für uns sein", sagt Jutta Weduwen.
    ASF entsendet 150 Freiwillige pro Jahr
    Heute unterhält ASF Büros in 13 Ländern und hat in 60 Jahren mehr als 10.000 Freiwillige entsandt. Schwerpunktländer sind Polen, Weißrussland oder Russland, aber auch westeuropäische Länder, in denen die Nazis Unrecht taten. Und eben Israel. Von den rund 150 Freiwilligen, die ASF jedes Jahr entsendet, gehen etwas mehr als 20 dort hin.
    "Bei Israel kann man sagen, dass die Freiwilligendienste vier Jahre vor Aufnahme der diplomatischen Beziehungen eingeführt wurden. Seit 1965 gibt es offiziell die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland, so dass man sehen kann: Diese Versuche, auf Menschen in Ländern zuzugehen, die verfolgt waren im Nationalsozialismus oder wo Nachkommen der Verfolgten leben, da hat Aktion Sühnezeichen Friedensdienste an vielen Stellen eine wichtige Rolle gespielt", erklärt Jutta Weduwen.
    Heute verfügt das Hilfswerk über rund 5 Millionen Euro Budget. Es wird gefüllt zu je einem Drittel aus Spenden und Kollekten, kirchlicher Unterstützung und Staatsleistungen. Der Erfolg der jahrzehntelangen Arbeit ist jedoch nicht jedem recht. Denn erklärtermaßen will ASF nicht nur Friedensarbeit leisten, sondern sich auch explizit gegen Rassismus und Rechtsextremismus wenden, sagt Jutta Weduwen.
    "Es gab eine Ausstellung zu Auschwitz, die von Neonazis angegriffen wurde. Also es gab in der Deutschen Nationalzeitung von 1976 den Hinweis, dass Aktion Sühnezeichen eine der widerlichsten Organisationen des 'deutschen Nationalmasochismus' wäre. Diesen Begriff 'Nationalmasochismus' hab ich jetzt bei den rechtspopulistischen und rechtsextremen Verlagen auf der Leipziger Buchmesse wieder entdeckt. Also es gibt schon Kontinuitäten, die geschichtsrevisionistisch sind, die rassistisch sind, die rechtsextrem sind und das hat sich nicht verändert."
    "Wichtig, dass es ASF weiterhin gibt"
    Ziel von Lothar Kreyssig war es vor 60 Jahren auch, der Welt zu zeigen, dass nach dem Ende des Hitler-Regimes bessere Menschen in Deutschland Verantwortung tragen. Ist das heute aber noch immer nötig? Ja, sagt Jutta Weduwen.
    "Zum einen gibt es wirklich noch viele Überlebende, mit denen wir arbeiten. Wir erleben immer wieder, dass auch die Kinder und Enkelkinder der Überlebenden, dass auch bei ihnen die Geschichte weiter wirkt auch in der Begegnung mit Deutschen. Dass Rechtsextremismus, Rechtspopulismus zunimmt und damit auch eine nationalistische Geschichtsklitterung in vielen europäischen Ländern, und in vielen Ländern, in denen wir aktiv sind, wofür es wichtig ist, dass es Aktion Sühnezeichen Friedensdienste weiterhin gibt."