Donnerstag, 18. April 2024

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Aktion "Unterrichtsausfall: Der Check"
"Wir bekommen ein Gefühl, wo liegen die Probleme"

Die "Ruhr Nachrichten" und das Recherchebüro Correctiv haben in Dortmund ein Projekt gestartet, um dem Unterrichtsausfall auf die Spur zu kommen. Schüler, Eltern und Lehrer sollen einen Monat lang Informationen über ausgefallene Schulstunden an eine Website melden. Bastian Schlange von Correctiv bezweifelt im DLF, dass in Nordrhein-Westfalen nur 1,8 Prozent der Stunden ausfallen.

Bastian Schlange im Gespräch mit Markus Dichmann | 01.03.2017
    Eine alte Schultafel mit Aufschrift Heute kein Unterricht.
    Eine alte Schultafel mit Aufschrift Heute kein Unterricht. (imago/imagebroker)
    Markus Dichmann: 1,8 Prozent – um diese Zahl soll es sich jetzt in den nächsten Minuten hier bei "Campus und Karriere" drehen, um 1,8 Prozent, so groß sei nämlich der Anteil an Unterrichtsstunden an Schulen in Nordrhein-Westfalen, die ersatzlos ausfallen. Würde also bedeuten, knapp zwei von 100 Schulstunden fänden schlichtweg nicht statt. Jetzt gibt es allerdings Lehrer, Schüler, Eltern und nicht zuletzt die Kollegen von den "Ruhr Nachrichten" und dem Recherchebüro Correctiv, die diesen Zahlen nicht glauben. Zum Beispiel Bastian Schlange von Correctiv in Essen. Ich grüße Sie, Herr Schlange!
    Bastian Schlange: Hallo!
    Dichmann: Daher starten Sie heute Aktion "Unterrichtsausfall: Der Check". Bevor wir dazu kommen, Herr Schlange, zunächst die Frage, wie kommen Sie eigentlich darauf, den Zahlen des Ministeriums zu misstrauen?
    Schlange: Na ja, man hat ja in vielen Bereichen ein Gefühl, und auf der anderen Seite stehen Zahlen, Fakten oder Veröffentlichungen, und das korrelierte in diesem Fall nicht, also nicht bei uns, aber auch nicht bei vielen Eltern-, Lehrer- oder Schülerverbänden, und deswegen haben wir uns gedacht, traue keiner Statistik, die du nicht auch selbst gefälscht hast, also wollten wir die Sache mal genauer unter die Lupe nehmen und diesen Test ins Leben rufen.
    "Gerade das Thema Bildung ist für das Ruhrgebiet ein wichtiger Aspekt"
    Dichmann: Und jetzt haben Sie also eine Website eingerichtet, auf der ab heute Eltern, Lehrer und Schüler selber angeben können, und auch sollen, wie viele Unterrichtsstunden ausfallen. Können Sie mal kurz skizzieren, wie das Ganze funktioniert?
    Schlange: Im Endeffekt spricht man ja im Journalismus häufig von Bürgerbeteiligung und den Bürger mit reinzunehmen. Wir haben ein CrowdNewsroom entwickelt, das ist eine Art virtuelles Redaktionssystem, in dem sich Bürger anmelden können und dort strukturiert journalistisch arbeitend Daten zusammentragen können. Also es gibt einfach manche Themenbereiche, die sind so groß, so umfassend, das kann kein Journalist oder auch keine Redaktion allein schaffen, deswegen haben wir halt diese Seite, diese Plattform gebaut, und dort hoffen wir, mit Hilfe von den Leuten, die im Endeffekt den Einblick in die Schulen haben, also die vor Ort sind, wirklich eine genaue Erfassung der Situation zu bekommen. Das ist wiederum eine wichtige Voraussetzung, um eine Analyse starten zu können und Probleme wirklich erfassen zu können.
    Dichmann: Das Ganze dann einen Monat lang, und das Ganze allerdings auch nur in Dortmund. Warum eigentlich die Beschränkung auf Dortmund?
    Schlange: Wir hatten schon im Vorfeld immer mal wieder Kooperationen mit den "Ruhr Nachrichten" gemacht. Das hat sehr gut geklappt. Wir müssen ja die Menschen irgendwie aktivieren, wir müssen sie bewegen, mitzumachen, und wir von Correctiv stellen quasi die Strukturen, die Seite, das System, die Datenrecherche, und die "Ruhr Nachrichten" die Erreichbarkeit, die Verbindungen, die Kontakte vor Ort. Das hat sich einfach für Dortmund angeboten, das ist eine Ruhrgebietsstadt. Gerade das Thema Bildung ist für das Ruhrgebiet, finde ich persönlich, ein sehr, sehr wichtiger Aspekt, einfach um auch in die Zukunft gehen zu können, und deswegen haben wir gedacht, starten wir damit dort.
    Dichmann: Es gibt natürlich aber auch Widerspruch zu Ihrer Erhebung, zum Beispiel von der GEW, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die nennt Ihre Erhebung schlichtweg überflüssig, denn das Land NRW hat für das nächste Schuljahr eine ganzjährige Untersuchung mit vielen verschiedenen Stichproben-Schulen angekündigt. Das ist nicht ganz unberechtigt, oder?
    "Das funktioniert nur so, wenn man in einer Crowd arbeitet"
    Schlange: Also man muss einfach unterscheiden, wir sind Journalisten, wir sind keine Sozialwissenschaftler. Was letztendlich an Daten, an verwertbaren Daten rauskommt, das werden wir sehen. Allerdings sehe ich diese Datenerhebung als ersten Schritt. Also wir bekommen ein Gefühl, wir bekommen Einblicke, wo liegen die Probleme, und natürlich kann man bis nächstes Jahr warten, bis die offizielle Erhebung kommt, allerdings haben wir jetzt Wahlkampf, und ich halte Bildung für ein wahnsinnig wichtiges Thema auch in Anbetracht der kommenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen.
    Dichmann: Daneben macht mich persönlich ein wenig der Aufrufcharakter des Unterrichtchecks stutzig: Wenn man so zu einer Erhebung aufruft, werden sich sicherlich diejenigen melden, die ein Problem an ihrer Schule erkannt haben und nicht die, die völlig zufrieden sind mit der Situation. Also die, nennen wir es, Neutralität der Zahlen kann nicht unbedingt gewährleistet sein.
    Schlange: Wir haben verschiedene Systeme zum Verifizieren. Also es können sowohl angemeldete Nutzer angegebene Fehlstunden gegenchecken, also bestätigen, oder eben sagen, das stimmt nicht, diese Angabe, aber ich glaube, die grundlegende Motivation ist natürlich, dass jemand unzufrieden ist und sich dann mit dieser Materie auseinandersetzt, aber es steht jedem offen, sich dort anzumelden und mitzuarbeiten, und wenn jemand sagt, ich bin total zufrieden, kann ich das auch tun und dort die anderen Angaben gegenchecken und kontrollieren. Dafür ist einfach das System offen, und das funktioniert halt nur so, wenn man in einer Crowd arbeitet, dass möglichst viele zusammenarbeiten und viele unterschiedliche Sichtweisen dort zusammenkommen.
    Dichmann: Wie viele Sichtweisen, Lehrer, Schüler, Eltern und so weiter, müssten dann am Ende erfolgreich zusammenkommen, damit das Projekt eben ein Erfolg ist aus Ihrer Sicht?
    Schlange: Wir haben jetzt heute knapp vier Stunden nach Start des Beginns, nach Start des Projektes, knapp 200 angemeldete Mitglieder und bereits über 20 Fehlstunden angegeben. Das halte ich für einen sehr positiven Start. Ich denke aber auch, dass so ein Projekt sich einfach aufbauen muss, also dass peu à peu mehr dazukommt und wir dann letztendlich gucken halt, was dabei rauskommt, aber eine Marke haben wir uns, ehrlich gesagt, noch nicht gesetzt, weil es jetzt nicht zwingend auf die Zahlen ankommt, sondern auf die Probleme, und ich glaube, dass die in jedem Falle deutlich werden.
    Dichmann: Sagt Bastian Schlange vom Recherchebüro Correctiv, und wenn Sie sich den Unterrichtscheck mal anschauen wollen, gegebenenfalls mitmachen wollen, dann schauen Sie vorbei unter crowdnewsroom.org.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.