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"Aktuell gibt es keine schnelle Lösung"

Die Deutsche Bahn und die Politik hätten den Personalmangel am Mainzer Hauptbahnhof vorhersehen müssen, meint der Vorsitzende des Verkehrsausschusses Anton Hofreiter (Grüne). Jetzt bestehe bloß die Hoffnung, dass die kranken Fahrdienstleiter schnell wieder gesund werden.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Mario Dobovisek | 12.08.2013
    Mario Dobovisek: 15 Mitarbeiter hat das Stellwerk der Deutschen Bahn in Mainz. Vier von ihnen sind krank, drei im Urlaub, wir haben es gerade gehört. Und der Hauptbahnhof funktioniert deshalb seit rund einer Woche nur im Notbetrieb. Jede zweite Regionalbahn fällt aus, die meisten Fernzüge rauschen vorbei, am Abend und in der Nacht fahren nur Busse. Auch heute wird es in Mainz erhebliche Beeinträchtigungen geben. Bis Ende des Monats könnte es noch so weitergehen.

    60.000 Menschen steigen jeden Tag in Mainz ein und aus, sozusagen ein großes Fußballstadion voll. Noch sind die Reihen dieses Fußballstadions, um im Bild zu bleiben, noch leer, denn noch sind Ferien in Rheinland-Pfalz. Doch nächste Woche gehen auch diese zu Ende, bis dahin muss eine Lösung her. – Am Telefon begrüße ich den Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Er ist Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Hofreiter.

    Anton Hofreiter: Guten Morgen!

    Dobovisek: Im Aufsichtsrat der Bahn sitzt der Liberale Patrick Döring, und der fordert, die Mitarbeiter sofort aus dem Urlaub zurückzuholen. Das will die Bahn nun offenbar auch tun. Wem dürfen die, die Mitarbeiter nämlich, dann dafür danken, Herr Hofreiter?

    Hofreiter: Letztendlich dürfen die Mitarbeiter dem Bahnvorstand dafür danken, denn seit Jahren wird in dem Bereich zu wenig ausgebildet. Man weiß im Grunde, dass die Mitarbeiter nach und nach in Pension gehen, aber man stellt einfach nicht ausreichend neue ein, und sie können das auch nicht von heute auf morgen, einen Fahrdienstleiter generieren, denn die müssen ausgebildet sein, die müssen dann auch noch eine spezielle Streckenkenntnis beziehungsweise Ortskenntnis haben. Im Grunde sind Fahrdienstleiter so was wie Fluglotsen für den Flugverkehr.

    Dobovisek: Das aktuelle Chaos in Mainz sei vorhersehbar gewesen und kein Einzelfall, sagt die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Wer hätte es denn vorhersehen müssen?

    Hofreiter: Na ja, vorhersehen hätte es die Bahn müssen. Aber im Grunde hätte es auch die Politik vorhersehen müssen beziehungsweise das Verkehrsministerium, denn Sie dürfen eins nicht vergessen: Die Bahn wird seit vielen, vielen Jahren von der Mehrheitspolitik auf kurzfristige Rendite gesteuert, und kurzfristige Rendite erzielt man halt am leichtesten, wenn man bei Unterhaltsmaßnahmen spart, wenn man beim Personal spart, wenn man bei all den Dingen, die mittel- und langfristig notwendig sind, spart. Dann gibt es halt irgendwann entsprechendes Chaos. Es ist ja nicht der erste Fall. S-Bahn Berlin ist zum Beispiel ein schönes Beispiel, das man auch totgespart hat, bis es dann nicht mehr ging. Jetzt eben der Mainzer Hauptbahnhof. So haben wir zum Teil auch im Streckennetz der Bahn überall die Probleme.

    Dobovisek: Der Druck der Politik auf die Bahn sei also zu hoch, sagen Sie, der Renditewunsch der Politik. Den hat das Bundesverkehrsministerium ja jüngst zurückgeschraubt, verlangt nicht mehr ganz so viel Rendite von der Bahn. Das wäre doch mit der Privatisierung, mit der vollständigen Privatisierung, wenn sie eine wirkliche Aktiengesellschaft wäre, in freier Hand sozusagen, in Wirtschaftshand, noch schlimmer, Herr Hofreiter.

    Hofreiter: Ja selbstverständlich! Das wäre der völlig falsche Weg, das Netz zu privatisieren, denn das ist ja ein öffentliches Monopol. Das öffentliche Monopol Netz muss endlich sozusagen gemeinwohlorientiert gesteuert werden. Denn man darf ja eins nicht vergessen: Die Bahn ist zu 100 Prozent in Bundesbesitz und das Verkehrsministerium kümmert sich im Grunde relativ wenig um die inhaltliche und gemeinwohlorientierte Ausrichtung, sondern hat immer nur einen gewissen Renditedruck, der mal höher, mal weniger hoch ist, …

    Dobovisek: Aber wo ist denn aktuell der Renditedruck, wenn das Verkehrsministerium sagt, wir verzichten sogar fast auf unsere Rendite?

    Hofreiter: Na ja, der Renditedruck ist allein sozusagen durch die Gestaltung der Bahn. Sie müssen sich vorstellen, wie die Verträge der Vorstandsvorsitzenden und der Vorstände gestaltet werden. Die sind auf Rendite. Sie müssen sich vorstellen die Dividende, die bezahlt werden muss. Sie müssen sich die gesamte Konstruktion des Konzerns klar machen. Es ist ein so konstruierter Konzern, dass er möglichst privatwirtschaftliche kurzfristige Renditen erzeugen soll, und damit handeln die Bahnvorstände letztendlich konsequent, aber langfristig natürlich falsch.

    Dobovisek: Mehr Personal einstellen wäre also die Konsequenz daraus. Das will die Deutsche Bahn auch, das betreibt sie schon seit einiger Zeit, gerade im Bereich der Fahrdienstleiter. Das ist allerdings eher mittelfristig wirksam, weil die Ausbildung ja so schwierig ist für die Fahrdienstleiter. Wie kommen wir also jetzt aktuell aus der Misere in Mainz heraus?

    Hofreiter: Aktuell gibt es letztendlich keine schnelle Lösung, denn wie gesagt, Fahrdienstleiter können sie nicht von heute auf morgen generieren. Da besteht bloß die Hoffnung, dass letztendlich die Fahrdienstleiter, die krank sind, möglichst schnell gesund werden. Ich meine, das kann man den Leuten sowieso wünschen. Und natürlich kommt noch dazu, dass man darauf hoffen kann, dass die, die im Urlaub sind, deren Urlaub zu Ende geht.

    Dobovisek: Wenn der Urlaub also zu Ende geht, geht auch das Verkehrschaos am Mainzer Hauptbahnhof zu Ende. Das führt mich nämlich zu dem nächsten Punkt: Es wurde schon von einem verdeckten Streik geredet, der dahinter stecken könnte, um auf eben diesen Missstand aufmerksam zu machen, den die Fahrdienstleiter ja offensichtlich beklagen. Wissen Sie mehr darüber?

    Hofreiter: Ich glaube nicht, dass es ein verdeckter Streik ist, denn da hätte es schon so viele Anlässe und so viele Gründe gegeben. Sie dürfen nicht vergessen, dass ein großer Teil der Fahrdienstleiter Überstunden schiebt, dass das im Grunde ein Bereich ist, wo die Leute völlig ausgepowert sind. Da braucht es überhaupt keinen verdeckten Streik, dass dann mal einiges schief geht. Im Grunde funktioniert das ganze nur noch deshalb, weil die Leute sehr, sehr leidensbereit sind in vielen Bereichen der Bahn und sehr, sehr viele Überstunden schieben und richtig Mühe und Kraft da reinhängen, nämlich es gibt eine ganze Reihe von Bereichen, die eigentlich auf Kante genäht sind.

    Dobovisek: Müssen personelle Konsequenzen folgen?

    Hofreiter: Personelle Konsequenzen? Im Grunde müsste folgen, dass die Politik anfängt, die Bahn anders zu steuern. Das wäre im Grunde das aller- allerwichtigste. Aber da ist die letzten vier Jahre leider überhaupt nichts passiert. Es ist nur leider immer das passiert, was im Koalitionsvertrag drin stand, wo zum Teil – das kann man auch als Grüner anerkennen – manches Sinnvolle im schwarz-gelben Koalitionsvertrag drin stand, aber leider ist davon nichts umgesetzt worden.

    Dobovisek: Kommen wir von der Eisenbahn zur Autobahn. CSU-Chef Horst Seehofer fordert eine PKW-Maut für ausländische Autofahrer. Hören wir mal, was er sagt.

    O-Ton Horst Seehofer: "Wenn wir in 20 Staaten Europas als Deutsche auf den Straßen bezahlen müssen, dann können die Ausländer, wenn sie unsere Straßen benutzen, auch bezahlen, liebe Freunde, auch bezahlen."

    Dobovisek: Wäre das, Herr Hofreiter, denkbar für Sie, eine Autobahnmaut nur für ausländische Autofahrer?

    Hofreiter: Das ist eine typische Lüge von der CSU, denn in diesen über 20 Staaten zahlen ja nicht nur die Deutschen PKW-Maut, sondern da zahlen schlichtweg alle Menschen PKW-Maut. Dieses Modell, das die CSU vorschlägt, gibt es nirgendwo, soweit ich weiß, auf der Welt und definitiv nirgendwo in Europa. Das wäre meines Wissens nach sowohl verfassungswidrig als auch europarechtswidrig. Ich glaube, die CSU hat da einfach einen Wahlbetrug vor. Sie will, um möglichst viele Straßen bauen zu können, eine ungerechte, nämlich eine Kopfpauschale fürs Autofahren einführen, und dann sagen, wir hätten es ja nur für die Ausländer gemacht, rechtspopulistisch wie sie sind, und aber die böse, böse EU hat es uns jetzt leider verboten, nur für Ausländer, deswegen müsst ihr bezahlen, die EU ist Schuld, dass ihr bezahlen müsst.

    Dobovisek: Dafür gäbe es, Herr Hofreiter, durchaus einen Ausweg, nämlich die Autobahngebühr für alle, also auch für Deutsche. Wäre das sinnvoll?

    Hofreiter: Ja, ganz genau. Das ist, glaube ich, auch das, was die CSU vorhat, über eine PKW-Maut für alle. Das ist ein völlig anderes Modell dann. Aber die Modelle, die es im Moment gibt für Deutschland, das ist die Vignette, und das ist eine Art Kopfpauschale. Das heißt, der, der einen Polo hat, zahlt das Gleiche wie der, der einen Porsche Cayenne hat, der, der viel fährt, zahlt das gleiche wie der, der wenig fährt. In meinen Augen ist das ökologisch blind und sozial ungerecht.

    Dobovisek: …, sagt der grüne Verkehrspolitiker Anton Hofreiter. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Hofreiter: Ich danke Ihnen.


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