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"Aktuell hat sich zumindest die Bedrohungssituation etwas verbessert"

Das Heil der Menschen in Tokio scheint stark von den Launen des Windes abzuhängen. DLF-Journalist Christoph Hendrix befindet sich vor Ort und schildert die Lage in der Stadt.

Christoph Hendrix im Gespräch mit Jasper Barenberg | 15.03.2011
    Jasper Barenberg: Zunächst aber zu den beunruhigenden Meldungen, die uns vom Atomkomplex in Fukushima im Nordosten Japans erreichen. In der Nacht hat es dort eine weitere Explosion gegeben, die dritte innerhalb von vier Tagen, dieses Mal im Reaktorblock Nummer zwei. Zum ersten Mal räumt der Betreiber der Anlage jetzt auch ein, dass ein Sicherheitsbehälter beschädigt worden ist. Frage also an unseren Kollegen Christoph Hendrix: Welche Informationen haben Sie über die Situation in Fukushima zur Stunde?

    Christoph Hendrix: Herr Barenberg, die Situation hier in Tokio stellt sich zurzeit so dar, wie Sie schon berichtet haben. Im Reaktor 2 in Fukushima gab es heute Morgen um 6.14 Uhr eine Explosion. Daraufhin gab es einen deutlichen Druckabfall im Reaktorgebäude und daraufhin ist man davon ausgegangen, dass doch auch die äußere Sicherheitshülle von diesen beiden Stahlhüllen beschädigt wurde. Man hat dann von den 800 Mitarbeitern der Betreiberfirma 750 evakuiert, so dass nur noch 50 da waren. Dann hat man später ein weiteres Problem gehabt: es gab dann nämlich in Reaktor 4 einen Brand. Dabei handelte es sich aber wohl um abgelagerte Brennstäbe. Dabei scheint dann allerdings sehr viel Radioaktivität entwichen zu sein, weil es dann plötzlich einen sehr dramatischen Anstieg gab. Wir hatten einen Wert, das waren 400 Millisievert. Vielleicht zur Verdeutlichung: bis jetzt sprach man immer von Mikrosievert, also ein tausendfach erhöhter Wert. Der ist zwischenzeitlich zwar wieder abgefallen, aber in der Umgebung hat sich doch deutlich die Radioaktivität erhöht.

    Barenberg: Wie Besorgnis erregend beurteilt die Regierung, beurteilen die Behörden die Situation?

    Hendrix: Die Behörden beurteilen die Situation als äußerst ernst. Das war auch daran zu sehen, dass der Ministerpräsident selber gegen 11 Uhr vor die Kameras getreten ist und in einer Erklärung noch einmal die Evakuierungsmaßnahmen ausgeweitet hat. Er hat jetzt auch den 30-Kilometer-Radius angesprochen. Allerdings sollten zunächst die Leute in ihren Gebäuden bleiben, weil eine Evakuierung zurzeit noch zu gefährlich ist. Aber aus dem 20-Kilometer-Radius mussten alle Menschen evakuiert werden. Das soll nach Angaben der Behörden inzwischen abgeschlossen sein. Wir bekommen aber jetzt ständig hier über das Fernsehen und über die Medien immer wieder Aufforderungen, sich in diesem Radius doch bitte nicht aus den Häusern zu begeben. Wir bekommen Hinweise, wie man sich zu verhalten hat, dass man seine Kleidung zu waschen hat, dass man feuchte Tücher vor die Nase nehmen soll, und ich denke, das gilt vielleicht nicht nur für die Leute in diesem wirklich engen Radius.

    Barenberg: Herr Hendrix, wir haben Meldungen auch vorliegen, dass in Tokio, im Großraum Tokio höhere Strahlendosen gemessen worden sind. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass radioaktiver Fallout in größerem Umfang auch die Region um die Hauptstadt bedrohen könnte?

    Hendrix: Gut, wir hatten hier – das war heute Nachmittag – Werte von 0,89 Mikrosievert. Das sind etwa 22 Mal der Normalwert, der in der Natur sonst vorliegt. Das ist sicherlich gesundheitlich noch unbedenklich, sagen die Experten. Allerdings lag halt die Windrichtung so, dass der ganze Fallout von Fukushima auch in die Richtung der Hauptstadt geweht hat. Jetzt ist inzwischen bestätigt worden, dass der Wind langsam dreht und jetzt wohl doch eher wieder aufs Meer hinausgeht. Das heißt also, aktuell hat sich zumindest die Bedrohungssituation etwas verbessert.

    Barenberg: Und das ist vielleicht auch ein Grund, Christoph Hendrix, dass wir aus der Ferne nach wie vor den Eindruck haben, dass die Menschen in der Hauptstadt beispielsweise ganz ruhig und mehr oder weniger gelassen mit der Situation umgehen?

    Hendrix: Doch, den Eindruck kann ich bestätigen. Sicher, es sind weniger Menschen unterwegs als sonst. Das hat viel auch mit den Stromeinsparmaßnahmen zu tun, die Bahnen fahren seltener, die Taktung wurde heruntergefahren. Die Leute bereiten sich natürlich schon vor. Das heißt, in den Supermärkten ist deutlich zu sehen, dass dort einige Sachen ausverkauft sind. Brot gibt es schon seit Tagen fast nicht mehr und die Regale werden auch nur sehr zögerlich aufgefüllt, wenn überhaupt. Aber alles passiert doch in einer relativ großen Ruhe. Also von einem Gefühl der Panik ist hier in Tokio noch nichts festzustellen.

    Barenberg: Informationen live von unserem Kollegen Christoph Hendrix. Vielen Dank!

    Hendrix: Danke.