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Aktuelle Rechtslage "gibt klare Bedingungen für eine Beschneidung"

"Eine Regelung, die alle Seiten zufriedenstellt, wird es nie geben", sagt Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher Bündnis 90/Die Grünen zur aktuellen Beschneidungsdebatte. Man bemühe sich im Bundestag aber eine Lösung zu finden, mit der die große Mehrheit der Religionsgemeinschaften leben kann.

Jerzy Montag im Gespräch mit Peter Kapern | 05.09.2012
    Peter Kapern: "Wollt ihr uns Juden noch?" – Diese Frage stellt Charlotte Knobloch heute den Lesern der "Süddeutschen Zeitung" und damit eigentlich allen Deutschen. Eine Frage oder genauer gesagt ein Vorwurf, der Gewicht hat; schließlich ist Charlotte Knobloch nicht nur die Präsidentin der Israelischen Gemeinde in München, sondern auch Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses und ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. In ihrem Namensartikel wirft sie die Frage auf, ob sie "den Judenmord überleben durfte, um das erleben zu müssen". Mit "das" meint Frau Knobloch die Debatte um die Beschneidung aus religiösen Gründen, die ausgelöst wurde durch das Urteil des Kölner Landgerichts, wonach Beschneidung als Körperverletzung zu werten ist. "Diese Debatte", schreibt Charlotte Knobloch weiter, "habe zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland einen Haufen angeschüttet, der mit jedem weiteren Zwischenruf zu diesem Thema unüberwindbar zu werden drohe." Und heute gab es einen weiteren Zwischenruf, nicht nur den von Frau Knobloch, sondern auch den des Berliner Justizsenators Thomas Heilmann, der heute erläuterte, wie in Berlin die Beschneidung straffrei gehandhabt werden soll.

    Wir bleiben beim Thema und schauen noch einmal auf die Wortmeldung von Charlotte Knobloch. Kurz vor der Sendung habe ich den rechtspolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jerzy Montag, gefragt, wie er Charlotte Knoblochs Aussage bewertet, sie fühle sich wegen der Beschneidungsdebatte als in Deutschland lebende Jüdin wie ein Schaf unter Wölfen.

    Jerzy Montag: Ich habe große Hochachtung vor Frau Knobloch und kann sehr gut nachvollziehen, dass sie diese Debatte emotional berührt und tief in ihrem Inneren trifft, und es ist auch eine Debatte, die die Mitbürgerinnen und Mitbürger muslimischen und jüdischen Glaubens essenziell betrifft. Auf der anderen Seite: Auch Frau Knobloch weiß die offene demokratische Gesellschaft in Deutschland zu schätzen, und eine solche Debatte, ein solcher Diskurs ist einfach notwendig und muss geführt werden. Ich bin überzeugt davon, dass zum Schluss eine gute und vernünftige und richtige Lösung gefunden werden wird.

    Kapern: Nun sagt aber Frau Knobloch, dieser Diskurs, von dem Sie sagen, dass er geführt werden müsse, mache jüdisches Leben in Deutschland unmöglich.

    Montag: Das ist eine wirklich ernst zu nehmende psychische, emotionale Reaktion auf diese Debatte. Aber die Realität ist nicht so. Die Debatte selbst macht jüdisches Leben in Deutschland nicht unmöglich. Auch auf der Seite der muslimischen und jüdischen Gemeinschaften gibt es eine gewisse verständliche Hysterie. Ich rate in beiden Richtungen zu Mäßigung.

    Kapern: Aber lassen Sie mich, Herr Montag, doch noch mal nachfragen. Ist es wirklich ausgeschlossen, dass in dieser Beschneidungsdebatte nicht doch eine Spur Antisemitismus steckt?

    Montag: Na das ist sogar ganz sicher, dass in dieser Debatte evident auch antisemitisches, fremdenfeindliches, antiislamisches Gedankengut beheimatet ist, und vielen, die gerade gegen diese Religionen, gegen Juden und Jüdinnen, gegen Muslima und Muslime zu Felde ziehen wollen, kommt diese Debatte gerade recht. Aber das ist ja nicht einzigartig in Deutschland. Wir haben an den Rändern des politischen Diskurses auch bei anderen Fragestellungen leider Gottes Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Das gilt es, im Diskurs zu erkennen, bekannt zu machen, klar zu bezeichnen und auch zu bekämpfen.

    Kapern: Sie haben ja gerade darauf hingewiesen, dass die Politik bemüht ist, verträgliche Regelungen dieses Problems zu finden. Nun hat andererseits Professor Reinhard Merkel, der Rechtswissenschaftler von der Universität in Hamburg und Mitglied im Ethikrat ist, hier im Deutschlandfunk Stellung bezogen zu diesem Problem, das auch ein rechtliches ist, und er hat unter anderem dieses hier gesagt.

    O-Ton Reinhard Merkel: "Ganz ohne Zumutungen an die beiden großen Religionsgemeinschaften wird eine akzeptable Regelung nicht gefunden werden können. Das wird man auch der jüdischen Gemeinschaft zumuten müssen."

    Kapern: Stimmen Sie Professor Merkel zu, wird es Zumutungen für die jüdische Gemeinschaft, aber auch für die Muslime in Deutschland geben müssen, wenn man eine rechtliche Lösung für das Problem der Beschneidung finden will?

    Montag: Ich würde es so nicht formulieren. Auch jetzt, nach jetziger Rechtslage, nach meinem Verständnis der jetzigen Rechtslage, gibt es klare Bedingungen für eine ob religiös oder nicht religiös begründete Beschneidung. Die hygienischen Standards, die Frage der Schmerzstillung, die Frage des ärztlichen Sachverstands wird jetzt schon natürlich in der Rechtsordnung zu beachten sein. Das sind aber keine Zumutungen, weder an die muslimische, noch an die jüdische Religion. Wir hören von den Vertreterinnen und Vertretern dieser großen Religionen in Deutschland, dass diese Bedingungen in der Regel auch innerhalb der rituellen Beschneidungen eingehalten werden. Ich bin sehr sicher, dass der Bundestag zu einer Lösung finden wird, die die Religionsfreiheit in Deutschland nicht auf den Kopf stellen wird.

    Kapern: Aber nun war ja vor Kurzem der israelische Oberrabbiner Metzger hier in Deutschland zu Besuch, und der hat nun dezidiert ausgeschlossen, dass es bei der Beschneidung eine Betäubung geben könne.

    Montag: Es ist auch überhaupt gar nicht klar, ob eine Betäubung notwendig ist und das richtige Mittel ist. Gerade bei Neugeborenen ist eine Totalbetäubung sicherlich nicht angebracht. Auch eine Lokalanästhesie mit Spritzen ist medizinisch nicht indiziert. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten der Schmerzminderung oder der Schmerzabstinenz. Es wird da ein guter Weg gefunden werden. Da müssen wir mit denen auch reden, die Tausende von diesen Beschneidungen als Ärzte, als Fachärzte für Urologie und Chirurgie in Deutschland schon durchgeführt haben.

    Kapern: Bis wann wird der Bundestag eine Regelung gefunden haben, die alle Seiten zufriedenstellt?

    Montag: Eine Regelung, die alle Seiten zufriedenstellt, wird es nie geben. Ansonsten machen wir uns an die Arbeit. Aber wir lassen uns auch nicht unter Zeitdruck setzen. Es wird so lange diskutiert werden, auch im Deutschen Bundestag, wie dies für diese Sache notwendig ist. Wir wollen eine sorgfältige Prüfung aller Aspekte, der medizinischen, der religiösen, der menschenrechtlichen, wir wollen eine Prüfung aller Aspekte durchführen und dann zu einer vernünftigen Lösung kommen, mit der die großen, großen Mehrheiten und die großen Religionen gut zurechtkommen werden.

    Kapern: Der Grünen-Rechtspolitiker Jerzy Montag – das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.