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Akustik
Fliegenohren im Hörgerät

Bislang sind Partys und ähnliche Versammlungen für Hörgeräteträger schwierig: Zu viele Stimmen an zu vielen Orten sprechen durcheinander. Mit einem neuen Hörgerät wollen US-Forscher das Zuhören erleichtern - und haben sich die Technik von Fliegenohren abgeschaut.

Von Piotr Heller | 20.08.2014
    Ein Ohr mit einem Ohrring, in das ein Hörgerät eingesetzt wird.
    Klein und fast unsichtbar sind die Hörgeräte schon - nur wollen Forscher die Technik weiter verbessern. (dpa/picture alliance/Fredrik Von Erichsen)
    "Wir Menschen können leicht erkennen, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Das liegt daran, dass wir zwei Ohren haben, die einige Zentimeter voneinander entfernt sind. So erreicht ein Ton das eine Ohr einige Millisekunden früher als das andere. Diese Zeitdifferenz verrät uns etwa, aus welcher Richtung ein hupendes Auto naht. Oder ob eine zirpende Grille rechts oder links von uns sitzt.
    Fliegen der Art Ormia ochracea können auch hören, wo eine Grille zirpt. Das müssen sie. Es sind Parasiten, die ihre Larven in den Grillen ablegen. Aber anders als beim Menschen, beträgt der Abstand zwischen den Ohren bei den Fliegen nur zwei Millimeter.
    "Weil dieser Abstand so klein ist, beträgt die zeitliche Differenz zwischen dem einen und dem anderen Ohr gerade mal vier Millionstel Sekunden. Das ist sehr wenig. Und das hat vor zwanzig Jahren Wissenschaftler erstaunt. Sie fragten sich: Wie schafft es diese Fliege, eine Grille zu orten? Es machte einfach keinen Sinn. Also untersuchten die Forscher einige Fliegen und machten eine Entdeckung: Die Tiere hatten eine Art Wippe im Kopf", erklärt Neal Hall von der Universität Texas.
    Mit der Wippe erkennt die Fliege woher ein Geräusch kommt, weil Schall im Grunde nichts anderes ist, als Schwankungen im Luftdruck. Diese Schwankungen breiten sich wellenförmig aus. Trifft also eine Schallwelle diese Wippe, ist der Druck auf einer Seite etwas anders als auf der anderen.
    "Und dieser Druckunterschied bringt die Wippe dazu, sich zu bewegen. Um also eine Schallquelle zu orten, erkennt die Fliege diese Bewegungen. Sie registriert, wie dieser Mechanismus schaukelt, aber auch, wie er sich verbiegt."
    Kleinste, komplexe Bewegungen
    Seit drei Jahren tüftelt Neal Hall mit seinem Team daran, diese Wippe nachzubauen. Jüngst hat er einen funktionierenden Prototypen vorgestellt. Keine leichte Aufgabe, denn die Wippe vollführt kleinste Bewegungen: Ein Geräusch von 90 Dezibel – das entspricht etwa einem lauten Schrei – neigt sie um weniger als ein Grad. Das heißt, die beweglichen Teile verschieben und verbiegen sich um nicht mehr als einige Nanometer. Noch dazu sind die Bewegungen kompliziert. Es ist nicht nur ein Auf und Ab, das die Wippe vollführt. Sie verbiegt sich auf ganz charakteristische Weise. Neal Hall konnte also nicht auf alte Entwicklungen zurückgreifen. Er musste die Wippe komplett neu konstruieren.
    "Wir nutzen mikroelektromechanische Systeme. Das ist im Grunde eine ausgefallene Art zu sagen, dass wir die Struktur aus Silizium geätzt haben. Das ist also der mechanische Teil. Um die Bewegungen zu messen, nutzen wir piezoelektrische Materialen. Das sind Materialien, die ein elektrisches Signal produzieren, wenn man sie verbiegt oder belastet."
    Mit dieser Technologie ließen sich neuartige Hörgeräte bauen. Wenn jemand in einer lauten Umgebung spricht, könnten die Fliegen-Ohren den Redner ausmachen. Und weil sie sich so einstellen lassen, dass sie besonders gut in eine Richtung hören, könnten sie sich auf den Redner ausrichten und Umgebungsgeräusche ausblenden. Dass die Fliegen-Ohren so klein sind, ist gerade bei Hörgeräten ein großer Vorteil.
    Militärische Nutzung angedacht
    Doch Neal Hall schwebt nicht nur diese zivile Nutzung vor. Seine Arbeit wird von der DARPA gefördert, der "Defense Advanced Research Projects Agency". Diese US-Behörde betreut Forschungsprojekte für die Streitkräfte.
    "Eine mögliche Anwendung ist die Erkennung von Scharfschützen. Das ist eine Situation, bei der man sich nicht auf seine Augen verlassen kann, sondern Geräusche braucht, um etwas zu orten."
    Egal ob für eine militärische oder zivile Nutzung: Fertig ist der Sensor nicht. Noch kann er nicht alle hörbaren Geräusche registrieren. Außerdem ist er sehr fragil: Man kann ihn nicht einfach in die Hand nehmen, ohne ihn zu zerstören. Darum ist er gerade für Verbraucherprodukte wie Hörgeräte noch nicht geeignet. Neal Hall und sein Team arbeiten daran, diese letzten Hürden zu nehmen. Zwei Jahre wollen sich die Forscher dafür Zeit lassen. Dann soll aus diesem ersten Prototypen ein fertiges Produkt werden.