Freitag, 19. April 2024

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Alain/Duruflé/Poulenc

Heute mit Ludwig Rink am Mikrofon und mit der jüngsten CD der Bamberger Symphoniker.

Ludwig Rink | 02.05.1999
    Sie bietet französische Musik unseres Jahrhunderts, entstanden in den Jahren 1938, 39 und 42. Bei drei der insgesamt vier Kompositionen ist eine Orgel erforderlich, und das ist hier das 1992 von der Firma Jahn erbaute Instrument im noch relativ neuen Konzertsaal der Bamberger, der "Sinfonie an der Regnitz". Als Solistin konnte Marie-Claire Alain gewonnen werden, die weltberühmte Meisterin des Orgelspiels aus Frankreich, die nach wie vor mit glänzendem Erfolg Europa und die USA bereist mit ihrem erstaunlich breiten Repertoire von Buxtehude, Tunder, alten französischen Meistern über Bach, Haydn, Mozart, Liszt, César Franck, Charles-Marie Widor bis hin zu Olivier Messiaen. Besonders hat sie sich für das Orgelwerk ihres 1911 geborenen kompositorisch begabten Bruders Jehan Alain eingesetzt, dessen Leben der zweite Weltkrieg ein allzu frühes Ende setzte. Auf dieser neuen CD hören wir ein von der Schwester rekonstruiertes und für die vorliegende Besetzung von Orgel, Streichern und Pauke bearbeitetes Stück, eine Art Passacaglia mit immer wiederholtem, dabei aber neu umspieltem Baß, das den Titel "Sarabande" trägt und von dunklem, traurigem, manchmal auch bedrohlichem Charakter ist. * Musikbeispiel: Jehan Alain - aus: "Sarabande" Mit den "Drei Tänzen für Orchester" op. 6 holen die Bamberger Symphoniker dann eine viel zu selten gehörte, äußerst raffiniert und wirkungsvoll gearbeitete Orchesterkomposition von Maurice Duruflé ans Licht. Man kennt diesen 1902 in der Normandie geborenen Musiker noch am ehesten durch sein 1947 entstandenes Requiem. Hier wie auch in seiner 1966 komponierten Messe gelingt es ihm eindrucksvoll, uralte gregorianische Kirchengesänge mit seiner eigenen, durchaus zeitgenössischen Tonsprache zu kombinieren. Seine Orgelkompositionen zeigen, wie er das Denken seines einstigen Lehrers, des letzten französischen Orgelromantikers, Louis Vierne, fortentwickelt und verraten auch den großen Orgelvirtuosen und Improvisator, der Duruflé Zeit seines Lebens war. Die "Drei Tänze für Orchester" enthüllen die andere Seite des Komponisten, der neben Orgel- und Kirchenmusik eben auch die letzten Feinheiten eines komplexen Orchestersatzes und der Instrumentation beherrschte. Hier zeigt sich, was Duruflé bei Paul Dukas, dem Schöpfer der pfiffigen Zauberlehrling-Musik und einem seiner einstigen Lehrer am Pariser Conservatoire gelernt hatte, bevor er 1930 eine angesehene Organistenstelle an der Kirche Saint Etienne du Mont im Pariser quartier latin erhielt und ab 1943 selbst als Professor für Harmonielehre an diese berühmte Ausbildungsstätte berufen wurde. Als Klangeindruck hier der letzte Tanz der dreiteiligen Suite, der mit "Tambourin" überschrieben ist: ein ländlicher Tanz, bei dem das Fagott mit einem mitreißenden rhythmischen Thema beginnt, das nach und nach von allen Instrumenten des Orchesters übernommen wird. Darüber erklingt nach einiger Zeit ein Fanfarenmotiv, das aus dem ersten Tanz der Suite stammt. Duruflé schafft eine zweite musikalische Klammer zum ersten Satz mit einem anderen von dort übernommenen Thema, das hier dem im Sinfonieorchester sonst eher selten anzutreffenden Saxophon übertragen wird: Eine gefühlvolle Melodie, die der Unerbittlichkeit des Rhythmus zu Leibe rückt. Wie die anderen beiden Sätze endet auch dieser letzte nicht mit einem wild entfesselten ohrenbetäubenden Finale, vielmehr löst sich die Wildheit des Rhythmus allmählich auf und bleibt schließlich nur noch Erinnerung. * Musikbeispiel: Maurice Duruflé - Tambourin (letzter der Drei Tänze für Orchester op. 6) Die Bamberger Symphoniker spielten unter der Leitung von Jean-Jacques Kantarow den letzten der "Drei Tänze für Orchester" op. 6 von Maurice Duruflé. Maurice Duruflé war es auch, der 1939 das zweite Hauptwerk dieser neuen CD als Solist an der Orgel aus der Taufe hob: Das Konzert G-Dur für Orgel, Streicher und Pauken von Francis Poulenc. Vor 100 Jahren in Paris geboren, schloß sich Poulenc in den 20er Jahren der "Groupe des Six" an, die sich in scharfer, oft provokanter Form von der Spätromantik, vom Impressionismus, aber auch vom Expressionismus des Schönberg-Kreises lossagte und auf ihre Fahnen neue Forderungen für eine französische Musik geschrieben hatte, in der wieder ein "Gleichgewicht von Gefühl und Vernunft" herrschen sollte. Man setzte auf die Tugenden Sachlichkeit und Klarheit und hatte keinerlei Scheu vor Rückgriffen auf die alten Meister aus Barock und Klassik, deren architektonisch klaren Formen man bewunderte. So entstand ein musikalischer Neoklassizismus, der aus Anlehnung, Synthese und Verwandlung eine neue geistvolle, oft auch spielerische Musiksprache schuf, deren besondere Kennzeichen der transparente Klang und ein eher sachlicher, antilyrischer Tonfall waren. Auch Poulencs einsätziges Orgelkonzert wirkt durch seine klare Struktur, die sich nicht an spätromantischen sinfonischen Instrumentalkonzerten, sondern dann schon eher an freieren, phantasieartigen Formen orientiert, wie sie z.B. in manchen der Orgelwerke Buxtehudes vorkommen; auch lassen sich bei der kraftvollen, toccatenähnlichen Eröffnung Parallelen zu Johann Sebastian Bach oder beim Thema des gleich darauf folgenden Andante giocoso Bezüge zu Wolfgang Amadeus Mozart herstellen. Doch dieses Konzert spiegelt auch eine typische Entwicklung wider, die so nur in der Person Poulencs vorkommt: Während er in jüngeren Jahren eher als Schöpfer frech-ironischer Ballette und burlesker Opern Erfolg hatte, verlagerte sich der Schaffensschwerpunkt in den späteren Jahren mehr in Richtung geistlicher Vokalmusik mit Motetten, einem "Stabat mater" und Messe-Vertonungen. Dies hängt mit seiner Bekehrung zum katholischen Glauben zusammen, die nach einem Besuch des eindrucksvollen südfranzösischen Wallfahrtsortes Rocamadour Ende der 30er Jahre erfolgte. Beim Orgelkonzert finden sich beide Seiten wieder, das Weltliche und das Geistliche schließen einen Bund, der der tiefen Eigenart des Komponisten entspricht. Oder, wie es der Musikschriftsteller Claude Rostand ausdrückte: "In Poulenc finden wir den Mönch und den Straßenjungen." Marie-Claire Alain spielt dieses Schlüsselwerk in der vorliegenden Neuaufnahme mit den Bamberger Symphonikern in äußerst subtiler, farbiger Registrierung, mit viel Temperament und einer souveränen Technik, die auch heute noch nichts von ihrer Perfektion verloren hat. Die Orgel ist ins Gestaltungskonzept des Dirigenten Kantarow ganz im Sinne des Komponisten einbezogen: nicht nur als Partner des Orchesters, sondern als Teil von ihm. Denn nicht umsonst hat Poulenc den ganzen Bläserapparat weggelassen: Orgel und Blasinstrumente, das erschien ihm wie ein musikalischer Pleonasmus. Blenden wir uns nun ein in den Schluß dieses Konzertes für Orgel, Streicher und Pauken und hören wir einen der Höhepunkte, wo sich die Kirchenorgel zu verwandeln scheint in eine unheimliche, überdimensionierte Kirmesorgel von schon fast surrealer Dramatik... * Musikbeispiel: Francis Poulenc - Konzert für Orgel, Streichorchester und Pauken Die neue Platte - heute mit der Organistin Marie-Claire Alain und den Bamberger Symphonikern, die bei der Firma Erato Werke von Jehan Alain, Maurice Duruflé und Francis Poulenc eingespielt haben. Zuletzt hörten Sie den Schluß des Konzertes G-Dur für Orgel, Streicher und Pauken von Francis Poulenc.

    Am Mikofon verabschiedet sich Ludwig Rink.