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Albaner in Rheinland-Pfalz
"Wir müssen uns über Ihre Ausreise unterhalten"

Immer schärfer wird im Vorfeld des EU-Flüchtlingsgipfels die Aufteilung zwischen Flüchtlingen mit und ohne Bleibeperspektive. Insbesondere die Asylsuchenden aus den Westbalkan-Ländern nähmen den Bürgerkriegsflüchtlingen den Platz weg, heißt es häufig. Das rot-grün regierte Rheinland-Pfalz macht sich für ihre freiwillige Rückkehr stark - und übt dabei offenbar auch Druck aus.

Von Anke Petermann | 18.09.2015
    Flüchtlinge laufen am 27.08.2015 mit Koffern bepackt auf einem Weg einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) entlang.
    Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ingelheim in Rheinland-Pfalz (picture alliance / dpa/ Christoph Schmidt)
    "Bitte nehmen Sie Platz!"
    Vor der Kamera des SWR-Fernsehens stellt ein Berater in der Erstaufnahme Ingelheim nach, wie ein sogenanntes Ausreisegespräch beginnt. Für die Mitarbeiter der Ausländerbehörde beim Landkreis Mainz-Bingen sind solche Gespräche derzeit Alltag, vor allem mit Flüchtlingen vom Westbalkan. Deren Asylanträge lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu mehr als 99 Prozent ab. Der Ausreiseberater sagt dem Abgelehnten dann:
    "Sie sprechen heute auf Vorladung vor. Ihnen wurde der Bescheid des Bundesamtes zugestellt, uns auch, und wie Sie wissen, ist dieser Bescheid negativ. Wir müssen uns daher über Ihre Ausreise unterhalten."
    Darüber nämlich, dass freiwillige Rückkehr besser ist als Abschiebung. Hart, aber fair klingt das. Die Realität sieht jedoch anders aus, erzählen Betroffene. Die Albaner haben einen Dolmetscher vom Deutschen Roten Kreuz gebeten, einen Treffpunkt unter der Autobahnbrücke auszumachen. Etwas abseits der riesigen Ingelheimer Unterkunft für 1.200 Menschen. Bujar Muharemi kommt mit seiner Frau und der neunjährigen Tochter. Er berichtet, dass der Ausreiseberater ihm gemeinsam mit dem Amtsdolmetscher eine Erklärung zur freiwilligen Rückkehr vorlegte und ihn unbedingt dazu bringen wollte, sie zu unterschreiben.
    Als Roma in Albanien diskriminiert
    "Ich habe das abgelehnt und habe denen gesagt, dass ich in meinem Land diskriminiert bin als Roma. Warum soll ich jetzt freiwillig zurückkehren, wo ich hierhergekommen bin, um meine Rechte hier wahrzunehmen?"
    Übersetzt Shygyri Gubetini. Der Ausreiseberater habe geschrien, einen Aktenordner auf den Tisch geknallt und auf den Boden gestampft, sagt Muharemis und deutet auf seine Frau:
    "Da hat sie dann Angst bekommen und hat angefangen zu weinen. Da habe ich auch angefangen zu zittern und habe, nachdem ich gesehen habe, wie meine Frau jetzt weint, eingelenkt, um das zu unterschreiben."
    Die Neunjährige schmiegt sich verängstigt an die Mutter. Die drei albanischen Männer, die mitgekommen sind, nicken. Ähnliches hätten sie auf dem Büro der Ingelheimer Ausländerbehörde auch erlebt, sagen sie mit Blick auf den Ausreiseberater.
    "Er kommt auch auf die Zimmer, klopft an, sagt: Kommen Sie in mein Büro, um zu unterschreiben. Er macht uns Druck."
    Immer wieder. "Dabei hatte ich Einspruch vor dem Verwaltungsgericht eingelegt und klar signalisiert, dass ich bis zum Bescheid nichts unterzeichne", sagt der 22-jährige Ledion Cara. In einem schriftlichen Statement betont der Sprecher des Kreises Mainz-Bingen, man könne persönliche Vorwürfe gegen Mitarbeiter auch nach Rücksprache mit diesen
    "nicht nachvollziehen".
    "Hexenjagd" auf Flüchtlinge vom Westbalkan
    Unabhängig von der Stichhaltigkeit einzelner Vorwürfe spricht Ulrich Sextro von "Hexenjagd" auf die Flüchtlinge vom Westbalkan. Der landesweite Migrationsreferent der Evangelischen Diakonie schildert:
    "'Dass zum Beispiel Behörden die Leute zur sogenannten freiwilligen Ausreise beraten, bevor die Menschen überhaupt ihren Bescheid vom Bundesamt zugestellt bekommen haben - nur aufgrund einer internen Behörden-Mitteilung, dass der Bescheid negativ ist. Das versteht kein Mensch: Ich habe hier Asyl beantragt, ich erwarte hier ein ordnungsgemäßes rechtsstaatliches Verfahren, ich möchte eine schriftliche Begründung, warum ich abgelehnt werde. Und vor allem diesem zitiert mich die Ausländerbehörde in ihre Büroräume uns sagt: Du hast keine Chance, unterschreib hier, damit wir dich schnell wieder außer Landes schicken können. Der Druck auf diese Menschen ist exorbitant, und das bezeichne ich schon als eine Art Hexenjagd."
    Bujar Muharemi hält eine zerschlissene Discounter-Plastiktüte hoch, darin stapelweise Unterlagen über den Abriss seines Hauses in Albanien und die vom Staat versprochene, aber der Roma-Familie letztlich vorenthaltene Entschädigung dafür. Der Familienvater fühlt sich beraubt - seines Besitzes, seiner Heimat, seiner Menschenrechte. Nun hat er die freiwillige Rückkehr unterschrieben, obwohl ihm sein Anwalt geraten hatte, Widerspruch vor dem Verwaltungsgericht einzulegen. Und dabei die Enteignung anzuführen, die in der Anhörung zu kurz kam.
    "Dass dies speziell denen geschehen ist, weil sie Roma waren, das ist nicht weiter hinterfragt worden. Das wäre nämlich der entscheidende Punkt gewesen. Da wäre ich vielleicht in eine Verfolgung wegen Gruppendrucks hinein gekommen. Aber das ist nicht hinterfragt worden."
    Auf rein wirtschaftliche Fluchtgründe festgenagelt
    Am ausladenden Schreibtisch seiner Wiesbadener Anwaltskanzlei blättert Reinhold Wendl das Anhörungsprotokoll des Bundesamtes durch. Die Westbalkan-Flüchtlinge würden durch eine spezielle Fragetechnik schnell auf rein wirtschaftliche Fluchtgründe festgenagelt, kritisiert er.
    Statt sein Berufsleben komfortabel honoriert ausklingen zu lassen, berät der ergraute Jurist Asylsuchende für symbolische Beträge. Von Druck und Einschüchterung in Ausreisegesprächen hört Wendl häufig.
    Beschwerden über das Vorgehen der Ausländerbehörden erreichen zuweilen auch Margit Gottstein, die grüne Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen Integrationsministerium. Dann wirke ihr Ressort bei den Kommunen darauf hin, "dass diese Gespräch in einer fairen Art und Weise durchgeführt werden".
    Im Asylverfahren kommt es auf aktuelle Fluchtgründe an. Die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Sinti und Roma spielt keine Rolle. Politisch aber bekennt sich das rot-grün regierte Rheinland-Pfalz zu dieser Verantwortung:
    "Und das ist ein Grund, warum wir hier sagen, wir können einer Forderung, dass Menschen aus dem Westbalkan - ausschließlich aus dieser Herkunftsregion - in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, unter denen sich sehr viele Angehörig von Roma befinden, nicht zustimmen."
    Das bayrische Modell spezieller Unterkünfte auszuweiten - Rheinland-Pfalz will da jedenfalls nicht mitmachen.