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Albanien
Premierminister warnt per SMS vor dem Coronavirus

Die albanische Regierung hat drastische Corona-Schutzmaßnahmen verhängt. Premierminister Edi Rama könnte von dem Ausnahmezustand profitieren, denn Vorwürfe wegen Korruption und Wahlfälschung gegen ihn und seine Partei treten nun in den Hintergrund.

Von Leila Knüppel | 18.03.2020
Die meisten wagen sich nur noch mit Mundschutz auf Tiranas Straßen.
Die meisten wagen sich nur noch mit Mundschutz auf Tiranas Straßen. (Leila Knüppel / Deutschlandradio)
"Bleiben Sie zu Hause, gehen Sie nicht raus", warnen Lautsprecherwagen die Bürgerinnen und Bürger in Tiranas Straßen. Wo sich sonst die Autos stauen, herrscht Stille. Für Busse und Autos gilt weitgehend Fahrverbot. Alle Geschäfte mit Ausnahme von Lebensmittelläden und Apotheken haben geschlossen, die Restaurants ebenfalls. In den Schulen Albaniens wird schon lange nicht mehr unterrichtet.
Die Passanten, die noch unterwegs sind, begrüßen die drastischen Maßnahmen. Selbst eine Frau, die gerade ihren kleinen Laden für Innenausstattung abschließt – und sich nun auf Verdienstausfall einstellen muss.
Premierminister Rama kann sich als "starker Mann" inszenieren
Eigentlich sollte das Interview mit Politikwissenschaftler Afrim Krasniqi über die Regierungsmaßnahmen und das Coronavirus in seinem Büro stattfinden. Dann bittet er aber, das Interview per Telefon führen zu dürfen. Sein Vater sei sehr alt, und die Familie habe ein wenig Angst wegen der Situation.
Die große Sorge der Albaner vor dem Virus ist nicht unbegründet: Kaum einer glaubt, dass die Krankenhäuser auf eine Notsituation wie diese eingestellt sind. Die Regierung habe verpasst, rechtzeitig zu handeln, meint Krasniqi:
"Sie haben gesagt, das kann nicht nach Albanien kommen. Das ist nur in Italien und anderen Ländern."
Jetzt versuche die Regierung, das verspätete Handeln durch mediale Dauer-Präsenz auszugleichen – und könnte davon sogar noch profitieren, indem sich Ministerpräsident Edi Rama als "starker Mann" darstellt, meint Krasniqi. Überdies seien so gut wie alle Fernsehsender von der Regierung kontrolliert. "Und das bedeutet: Wir können keine kritische Meinung im Fernsehen haben, wir können keine Transparenz über die Entscheidungen haben."
Coronavirus lenkt von politischer Krise ab
Albanien schlittert von Ausnahmezustand zu Ausnahmezustand: Erst im November vergangenen Jahres wurde das Land von einem Erdbeben erschüttert. Nun das Coronavirus.
Und das alles, während parlamentarische Arbeit kaum möglich ist. Denn aus Protest gegen angebliche Korruption und Wahlfälschung der Regierung haben Abgeordnete der Oppositionspartei bereits vor einem Jahr ihr Mandat niedergelegt. Seitdem regiert Edi Ramas sozialistische Partei PS quasi im Alleingang. Ohne Coronavirus würde es in Albanien vielleicht Neuwahlen geben, meint Krasniqi. Mit Coronavirus wisse niemand, was kommt.
Das Gespräch ist gerade beendet, da meldet sich das Telefon wieder: eine SMS. "Ich bin es, Edi", schreibt der Premierminister. Solche Massen-Nachrichten schickt er bisweilen an alle albanischen Vodafone-Nummern. Diesmal bittet er seine Bürger und Bürgerinnen unter anderem, sich die Hände zu waschen und sich vor Fake News in Acht zu nehmen – und schickt außerdem noch "Umarmungen aus der Ferne".
Gegen die Regierung protestieren oder das Land verlassen
Auch den Platz vor dem Nationaltheater in Tirana hat das Coronavirus leergefegt. Nur eine Hand voll Regierungsgegner harrt aus. Allerdings auch sie mit mindestens zwei Metern Abstand zueinander.
Seit Juni 2018 haben sie das historische Gebäude besetzt, um den Abriss zu verhindern, erzählt Kommunikationswissenschaftler Ervin Goci. Auf Wunsch der Regierung soll ein Investor hier bald Hochhäuser, eine Shoppingmall und ein modernes Theater errichten. Eine ziemlich undurchsichtige Kooperation, für die das Parlament extra ein Sondergesetz verabschiedet hat, um reguläre Ausschreibungen zu umgehen.
Für Goci steht dieser Deal für alles, was in der albanischen Politik schief läuft. Für ihn ist der Protest deswegen alternativlos: Entweder man protestiere oder man verlasse das Land. Er will deswegen weiter vor dem Nationaltheater ausharren, trotz Coronavirus.