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Album „Deceiver“ von DIIV
Eine Rockband neuen Typs

Passt Rockmusik noch in unsere Zeit? Der rücksichtslose Rockheld hat nach #MeToo ausgedient. Die Band DIIV schlägt daher andere Töne an: dunkler und skeptischer als bisher singen die in Los Angeles lebenden Musiker über Klimawandel und Rechtspopulismus.

Von Christoph Reimann | 12.10.2019
Gruppenportrait der Band DIIV
Die Band DIIV hat sich neu erfunden (Coley_Brown)
"I’m fine." Es geht im gut, betont Zachary Cole Smith, den alle nur Cole nennen. Aber dass der Sänger von DIIV jetzt hier sitzen kann, ist nicht selbstverständlich. Und auch die Songs auf dem neuen Album "Deceiver" zeugen noch immer von einer dunklen Episode.
2016 mussten DIIV ihre Europatournee auf halber Strecke abbrechen, denn der Zustand, in dem sich Smith befand, war kein guter. Zu dem Zeitpunkt hatte die Band eine Platte rausgebracht, mit der Smith seine Heroinsucht für beendet erklärte. Im Nachhinein sieht er die Songs darauf kritisch, denn überwunden hatte er damals noch nichts – trotz Entzugsprogramm.
"Die Songs waren nicht wirklich aufrichtig. Manches stimmte schon – die dunklen Aspekte. Aber das mit der Heilung war kompletter Mist."
Eine musikalische Neuausrichtung
Das neue Album "Deceiver" ist der zweite Neuanfang von DIIV – und es ist eine musikalische Neuausrichtung: DIIV hatten sich Anfang der Zehnerjahre in Brooklyn zusammengefunden. Ihre Musik war nie komplett unbekümmert. Aber es wehte eine auflockernde Leichtigkeit durch viele ihrer Songs. Auch, weil die Musiker oft lieber einzelne Saiten auf der Gitarre anschlugen statt Akkorde zu schrammeln. Und die bekanntesten Songs der Band klangen, als kämen sie direkt aus der Echokammer. Jetzt ist der Hall weg, es dominieren schwere Gitarren. Das klingt in vielen Songs nach Sonic Youth oder Smashing Pumpkins, manchmal aber auch nach My Bloody Valentine. Auf jeden Fall nach den Neunzigern.
"Jede dieser Band stand für eine bestimmten Sound, zum Beispiel der Gitarrensound. Wir haben uns zum Beispiel gefragt, wie My Bloody Valentine das hinbekommen haben. Wie haben die das so laut hingekriegt, wie kann man diese Illusion erzeugen?"
Mit dem Rückgriff auf den Sound ihrer alten Helden haben DIIV ihre Eigenständigkeit zum Teil verloren. Aber die Adaption funktioniert so gut, dass es gar nicht weiter stört. Der titelgebende Betrüger, also "Deceiver", ist in vielen Songs Cole Smith selbst. Er erzählt von den vielen Lügen, mit denen er in der Zeit der Sucht sein Umfeld belastet hat. Aber dann geht es auch um etwas anderes: "Blankenship" ist der Greta-Song auf dem Album. "Children lead the cry", singt Cole Smith. Ein wütender Song über den Klimawandel und die Ausbeutung des Planeten.
Eine scharfe Zeitdiagnose
Es ist schwer zu sagen, ob das Album "Deceiver" letztlich etwas Tröstliches hat, oder ob das Unheil überwiegt. Der letzte, siebenminütige Song auf dem Album heißt "Acheron", benannt nach dem Fluss aus der griechischen Mythologie, über den die Seelen frisch Verstorbener in den Hades gelangen. Die Metapher des Übergangs will Cole Smith vor allem als Zeitdiagnose verstanden wissen, auf Klimawandel und Rechtspopulismus:
"Wir leben im Jahr 2019. Vielleicht ist die Aussage des Albums, dass mal ein Funken Hoffnung aufglüht. Aber im großen Ganzen ist das Leben tragisch. Für mich mögen die Dinge im Moment gut laufen. Aber das heißt nicht, dass die Welt das auch hören muss. Es wäre nicht ehrlich gewesen, ein optimistisches Album zu machen, nicht in einem Jahr wie diesem."