Mittwoch, 24. April 2024

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Ethikrat zu Corona-Pandemie
Alena Buyx: "Die Belange junger Menschen wurden nicht genügend gesehen"

Die Not der jüngeren Generation sei in der Pandemie nicht genügend gesehen worden, sagte Alena Buyx vom Deutschen Ethikrat. Wer jetzt Hilfe brauche, dürfe damit nicht alleine gelassen werden. Da seien Politik und Zivilgesellschaft gefordert.

Alena Buyx im Gespräch mit Kathrin Kühn | 28.11.2022
Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates nimmt an der Vorstellung der Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrates «Pandemie und psychische Gesundheit. Aufmerksamkeit, Beistand und Unterstützung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in und nach gesellschaftlichen Krisen».
Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, fordert Schutz für jüngere Menschen in Krisenzeiten (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
Junge Menschen sind während der Corona-Pandemie besonderen Belastungen ausgesetzt gewesen. Der Deutsche Ethikrat fordert daher ein deutlich größeres Augenmerk auf die Belange junger Menschen in gesellschaftlich schwierigen Zeiten. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bräuchten mehr Beistand und Unterstützung in und nach gesellschaftlichen Krisen.
Die Vorsitzende Alena Buyx sagte im Deutschlandfunk, dass die Belange der jüngeren Generation in den vergangenen zweieinhalb Jahren der Pandemie, aber auch schon vorher, nicht genügend gesehen wurden. "Und da schließen wir uns als Ethikrat mit ein", sagte sie. Durch die lange Zeit der Pandemie habe sich eine besondere Verletzlichkeit bei den jüngeren Generationen aufgebaut hat, die nicht was mit den medizinischen Risiken durch dieses Virus zu tun hatte.

Die psychischen Belastungen wachsen

Dies betreffe angesichts des Ukrainekriegs und des Klimawandels nicht allein die Corona-Politik. "Die psychische Gesundheit hat sich verschlechtert und da müssen wir unbedingt etwas machen", so Buyx. Es gehe jetzt darum, rasch zu helfen. "Wir haben ein Paket mit konkreten Handlungsempfehlungen - insbesondere für die Politik entwickelt." Junge Menschen müssten dabei mehr mit eingebunden werden.
Die junge Generationen habe sich in der Krise "wirklich sehr, sehr solidarisch gezeigt". Die Politik, die Zivilgesellschaft stehe jetzt in der Verantwortung, möglichst schnell möglichst viel dafür zu tun, dass eben die jungen Menschen, die Hilfe oder Unterstützung bräuchten, damit nicht alleine gelassen würden.

Lesen Sie hier das Interview im Wortlaut:

Kathrin Kühn: Wenn man das jetzt alles liest, von vorne bis hinten, das ist schon ziemlich bedrückend, was Sie da schreiben, und vor allem im Einstieg auch schreiben Sie, die Belange und Belastungen der Jüngeren sind nicht genug beachtet worden, auch durch den Ethikrat. Was heißt das, das wurde nicht genug beachtet?
Alena Buyx: Es ist bedrückend und es ist wichtig, deswegen sind wir da auch relativ deutlich, und die Belange der jüngeren Generation sind tatsächlich in den letzten zweieinhalb Jahren – vorher auch schon, aber insbesondere in der Pandemie – nicht genügend gesehen worden, und da schließen wir uns als Ethikrat übrigens mit ein. Wir haben also zwar schon in unserer allerersten Empfehlung 2020 was dazu gesagt, dass das jetzt belastend wird für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, aber auch wir haben dann, als diese ersten Daten nach dem ersten Lockdown kamen und die irgendwie zeigten, eigentlich haben die jüngeren Generationen das erstaunlich gut weggesteckt, haben wir wahrscheinlich so wie viele andere auch den Blick dann nicht mehr genug auf den jüngeren Generationen gehabt. Dann haben wir im Sommer 2021 – da kann ich mich noch erinnern, da hab ich sehr viel dazu gesagt, dass die Jungen sehr, sehr solidarisch waren und dass wir jetzt als Gesellschaft da sozusagen was zurückgeben sollten, aber ich so richtig deutlich was gesagt haben auch wir vom Deutschen Ethikrat erst im April. Da haben wir darauf hingewiesen, dass eben durch diese lange Zeit der Pandemie sich eine besondere Verletzlichkeit bei den jüngeren Generationen aufgebaut hat, die nicht was mit den medizinischen Risiken durch dieses Virus zu tun hatte. Und dann hatten wir immer noch das Gefühl, das reicht immer noch nicht, das ist noch nicht genug, wir müssen da jetzt noch mal deutlicher werden, denn es passiert nicht wirklich viel – in der politischen Umsetzung erstens und zweitens gehen die Krisen ja weiter.
Kühn: Das bedeutet, es geht ja um den Aufbau von Resilienz, um quasi das Nacharbeiten von etwas, was passiert ist, und, wenn ich jetzt meinen Eindruck schildern darf, auf keinen Fall um eine Schuldschlammschlacht mit dem Blick auf die Vergangenheit, wer hat was wie falsch gemacht, sondern wirklich darum, was ist jetzt zu tun, um diese Krise zu bewältigen. Vielleicht können wir das kurz mal verankern, bevor wir eben in die Situation gehen.
Buyx: Genau. Es ist schon auch wichtig, den Blick zurückzunehmen, aber ich nehme diese – wie haben Sie das so schön gesagt – Schuldschlammschlachten im Moment auch als extrem zynisch war. Da werden Kinder und Jugendliche irgendwie instrumentalisiert, um da irgendwelche Vergeltungsbedürfnisse zu befriedigen. Ich höre da überhaupt gar keine konstruktiven Vorschläge. Da geht’s meiner Ansicht nach überhaupt nicht um Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, da geht’s um was anderes, und das halte ich für wirklich, also für empörend nahezu. Worum es jetzt nämlich gehen muss, ist, wie kann man jetzt rasch helfen, was kann man tun, was braucht es, was ist notwendig. Wir haben ein ganzes Paket von sehr konkreten Handlungsempfehlungen, insbesondere für die Politik entwickelt. Das geht von Prävention, schulpsychologischen Angeboten, dem Freizeitbereich über die Verzahnung solcher präventiver Angebote mit Diagnostik, Therapie, denn im Augenblick ist es so, dass diese Generationen ja auch gerade über die letzte Zeit wirklich sehr, sehr solidarisch sich gezeigt haben. Und dann diejenigen, die dann aber Hilfe brauchen, die Unterstützung brauchen, die erfahren jetzt nicht eine sozusagen gegenläufige solidarische Reaktion aus der Gesellschaft, sondern die stehen da zum Teil und warten monatelang auf einen Therapieplatz, oder es wird halt gar nicht gesehen, wie es denen geht – das ist deren eigenes individuelles Problem. Deswegen war uns das so wichtig, das zu unterstreichen und zu sagen, wir alle, die Politik, wir alle als Zivilgesellschaft stehen hier auch in der Verantwortung, möglichst schnell möglichst viel dafür zu tun, dass eben diese jungen Menschen da nicht alleine mit kämpfen.
Kühn: Welche Rolle spielt denn hier jetzt, dass psychische Erkrankungen nach wie vor tabuisiert sind? Ich hab dann überlegt, bei einem gebrochenen Bein, da wird sofort gehandelt, alle nehmen Anteil, man spricht drüber und malt dann sogar Bilder auf den Gips, es gibt Geschenke und Ähnliches. Bei psychischen Erkrankungen läuft das ganz anders, das wird meistens versteckt und vielleicht auch aus guten Gründen, weil Betroffene sich stigmatisiert fühlen, stigmatisiert sind oder sogar diskriminiert werden.
Buyx: Ich bin jetzt keine Expertin für den Bereich psychische Gesundheit, das muss ich dazusagen, aber die Expertinnen und Experten haben uns natürlich gesagt, dass es nach wie vor diese Art von Stigmatisierung und auch Tabuisierung in diesem Bereich gibt. Die Wahrnehmung ist schon, dass das besser wird, dass also über psychische Gesundheit immer mehr gesprochen wird, dass gerade auch die jüngeren Generationen da nicht mehr so mit hinter dem Berg halten, aber offensichtlich trotzdem nicht genug gehört werden. Aber es ist tatsächlich einer der Gründe, auch für diese Ad-hoc-Empfehlung, dass einfach alles klipp und klar und laut und deutlich zu besprechen, um eben diese Zurückhaltung oder sogar Tabuisierung, die da hier und da noch bestehen mag, was diese Erkrankung anbelangt, wirklich abzubauen, denn man muss ganz klar sagen, man sieht das in den Daten: Die psychische Gesundheit hat sich verschlechtert, insbesondere bei den Gruppen von jungen Menschen, die ohnehin auch schon vor der Pandemie besonders belastet waren oder die schon psychische Belastungen hatten, aber man kann das auch insgesamt für die gesamte junge Generation sagen. Und lassen Sie mich noch hinzufügen: Das ist nicht nur in Deutschland so, das ist in vielen anderen Ländern auch so. Jetzt ganz frisch gekommen sind die Daten aus Schweden, wo ja im Übrigen die Jugendlichen gar nicht eingeschränkt waren durch Pandemiemaßnahmen oder so etwas, oder auch aus Italien, wo es Einschränkungen gab. Bei beiden ist es so, in beiden Ländern ist es so, dass sich auch dort, und zwar ziemlich gleich, was ganz interessant ist, die psychische Gesundheit der jungen Generation da verschlechtert hat. Das ist im Prinzip fast ein globales Phänomen, das wir sehen, und es ist unheimlich wichtig, denn wir gehen ja in Zeiten weiterer Krisen. Mindestens die Klimakrise wird uns ja lange, lange beschäftigen, und es wird enorm herausfordernd werden. Deswegen können wir es uns einfach überhaupt nicht als Gesellschaften leisten, das jetzt zu ignorieren – mal abgesehen davon, dass wir auf diese Not und dieses Leid einfach reagieren sollten.
Kühn: Wer müsste alles reagieren – nicht nur die Politik, das haben Sie schon gesagt –, Eltern, Lehrer, Betreuer, alle?
Buyx: Mir ist es wirklich wichtig, dass man unterstreicht bei der Politik, das sind zwar viele Forderungen, die wir da formulieren, die auch andere schon formuliert haben, wichtig ist da vor allem, dass das mal vernetzt passiert. Das ist viel Gesundheitspolitik, aber eben nicht nur. Es geht auch um Prävention in der Schule, es geht um den Freizeitbereich, also das sind ganz unterschiedliche Ressourcen gefragt, die sich das gemeinsam als ein sozusagen übergreifendes Problem anschauen müssen. Einer der Problempunkte in der Versorgung ist nämlich, dass die Angebote, die es gibt, nicht zusammen gesehen, nicht zusammengeführt werden, nicht so richtig gut vernetzt werden. Da hat die Politik wirklich jetzt richtig was zu tun. Aber in der Tat unterstreichen wir auch, dass es diejenigen sind, die arbeiten in Bereichen mit jungen Menschen. Da sollte es viel mehr Schulung und Ausbildung geben für diejenigen, damit die solche Dinge, also solche Probleme oder Herausforderungen auch sehr frühzeitig erkennen können. Wir alle natürlich als Gesellschaft, auch als Zivilgesellschaft sind gefordert, eben nicht wegzuschauen und nicht allein zu lassen, sondern diesen Blick auf die junge Generation gerade mit Blick auf die kommenden Krisen einfach sehr, sehr deutlich zu nehmen.
Kühn: An jeweils den betroffenen Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen hängen ja dann auch immer Familien, die diese Last mitschultern – Eltern, die jetzt zwei, drei Jahre schon im Nacken haben.
Buyx: Das ist völlig richtig – ich hab auch zwei Kinder, kann das also nur bestätigen, dass das ja eigentlich fast immer Familienkonstellationen sind. Deswegen unterstreichen wir auch, dass zu Prävention und Versorgung der psychischen Gesundheit bei jungen Menschen eben die Familie dazugehört, also dass Familien gestärkt werden, dass es da mehr Angebote geben sollte. Und da kommt noch mal ins Spiel, dass das vernetzt passieren muss, dass man eben das nicht nur jetzt im Gesundheitsbereich verorten darf, in der Gesundheitspolitik oder so, sondern dass da eben Schulpolitik, Familienpolitik, Jugendpolitik, dass das alles mit dazugehört. Vielleicht noch einen Satz: Wir erwähnen auch ja durchaus, dass es beeindruckend war, wie gut viele auch durch diese Zeit gekommen sind. Das haben uns die Jugendlichen bei unserer Tagung erzählt, das zeigen auch die Studiendaten, das ist sehr beeindruckend und letztlich wirklich erstaunlich. Viel offensichtlich hängt einfach daran, wie es in der Familie gelaufen ist. Familien haben eben eine ganz enorme Mehrbelastung gehabt. Oft wurde dann eben kompensiert durch wir nennen das mehr Care-Arbeit, beispielsweise von Eltern, die dann aber gleichzeitig wieder einen Effekt hatte auf deren Belastung, weil gleichzeitig berufliche Belastung hat sich ja meist nicht verringert. Also das sind systemische Fragen, auch das sagen wir tatsächlich in dieser Empfehlung, und man darf da nicht irgendwie nur verengt jetzt auf eine Sache gucken, sondern das ist wirklich wichtig, das vernetzt zu denken.
Kühn: Es gibt ja diesen Spruch in der Krise: Im Schlechten liegt auch eine Chance. Ist das jetzt so ein Chancenmoment, wenn man das jetzt wirklich ganzheitlich in Angriff nimmt, Resilienz zu stärken bei der Generation, die letztlich die Klimakatastrophe in viel vollerem Ausmaß dann erleben wird, real?
Buyx: Ich hoffe das sehr. Ich hoffe das sehr, ich hoffe, dass auch diese durchaus aufgeheizten Diskussionen, die wir zum Teil sehen – damit hatten Sie ja begonnen –, dass die zumindest, so problematisch ich die zum Teil finde, zumindest dazu beitragen, dass wirklich ein bisschen Aufmerksamkeit auf dieses Thema kommt, dass man das jetzt nutzen kann, und ich glaube, diese Verknüpfung mit den kommenden und aktuellen Krisen, dass man das nicht nur sozusagen in diese Pandemieecke stellt, sondern dass das etwas ist, was wir für alles brauchen. Ich kann nur hoffen, dass jetzt unsere Empfehlung, aber natürlich auch das, was viele andere zu dieser Thematik sagen, aufgegriffen und gestaltet wird und dem Nachdruck verleihen.
Kühn: Jetzt meine letzte Frage, oder es ist vielleicht eher eine Bitte: Sie machen deutlich als Ethikrat, wie viel die Jüngeren geleistet haben, wie viel sie ertragen haben und eben wie solidarisch sie mit den Älteren und anderen vulnerablen Gruppen waren, und dass Sie empfehlen, dass denen jetzt mal wirklich öffentlich danke gesagt wird, ganz klar adressiert an die Jüngeren. Jetzt wissen wir nicht, ob das kommt. Vielleicht könnten Sie – würden Sie das machen für den Ethikrat? Das ist ja etwas, was auch wichtig ist.
Buyx: Sehr gern. Wir machen das in dem Papier auch, also wir sagen wirklich danke, und wir zollen höchsten Respekt, und das tue ich sehr gerne hier noch mal. Das ist so beeindruckend gewesen, und ich ganz persönlich, aber ich spreche da, glaube ich, für den ganzen Ethikrat, wir sind wirklich zutiefst dankbar für diesen Beitrag. Das ist viel zu wenig, und es fühlt sich fast ein bisschen lächerlich an, wenn man das so sagt, aber ich glaube, danke sagen, ordentlich danke sagen, Wertschätzung zeigen, auch Respekt zollen, das ist nicht nichts, das ist nicht nur symbolisch, das ist auch wichtig. Wir fokussieren natürlich auf diese ganzen Dinge, die in der Politik verbessert werden müssen, auf mehr Ressourcen, auf mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf mehr Vernetzung, auf mehr Prävention, auf mehr Therapie und so, diese ganz praktischen Dinge, und das ist natürlich das, was passieren muss. Aber ich würde mir wirklich, wirklich wünschen, und ich bin traurig, dass wir das als Gesellschaft ein wenig verpasst haben, weil wir aus der Pandemie – wir hatten nie so eine Phase, wo man mal ein bisschen heilen konnte gemeinsam, ein bisschen aufarbeiten, wieder Atem schöpfen, sondern direkt kam die nächste schreckliche Krise mit dem Ukraine-Krieg und all dem, was damit zusammenhängt. Das ist furchtbar, weil dadurch auch diese Zeit verloren gegangen ist, in der man den Jungen hätte wirklich danken können. Das ist wenig, das hier zu tun, aber ich tu es aus vollem Herzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.