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Alexa Hennig von Lange: "Kampfsterne"
Das Jahr, in dem Boris Becker Wimbledon gewann

Alexa Hennig von Lange gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen ihrer Generation. Mit einem unverwechselbaren Sound gelingt es ihr immer wieder, den Zeitgeist zu treffen. In ihrem neusten Roman beäugt sie das Familienleben in einer ganz normalen westdeutschen Siedlung.

Von Shirin Sojitrawalla | 24.09.2018
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Boris Becker gewinnt, dieser Roman nicht (Cover: DuMont Buchverlag, Hintergrund: Wolfgang Eilmes / dpa)
    Dass das Ganze um das Jahr 1985 spielt, merkt man daran, das Smartphones noch Science-Fiction waren und natürlich auch, weil auf Seite 62 davon die Rede ist, dass Boris Becker neulich in Wimbledon triumphierte. Die 80er Jahre also, verschrien als das langweiligste Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland bilden den Hintergrund für diesen Familienroman, der sich so oder so ähnlich auch heute noch abspielen könnte, wenn auch digital gewiefter und mit einer weiblichen deutschen Wimbledonsiegerin. Die zeitliche Rahmung, auf die sich die Umschlagsprosa des Verlags viel einbildet, ist es also nicht, die diesen Roman heraushebt aus der Masse der Neuerscheinungen.
    Im Mittelpunkt steht eine Siedlung am Rande der Stadt und in ihr drei unterschiedliche Familien: Mütter und Väter, die wahlweise befreundet sind oder sich nicht mögen oder beides sowie ihre Kinder, die befreundet sind oder sich nicht mögen oder beides. Nachbarn sind sie in jedem Fall. Rita und Ulla etwa scheinen Freundinnen zu sein, oder was sie dafür halten. Rita beneidet Ulla nämlich um alles, ganz besonders aber um ihre hübschen und begabten Kinder. Sie selbst indes hadert ausführlich mit ihrem fehlgeleiteten Leben. Sie ist Hausfrau und Mutter und einigermaßen verzweifelt ist sie auch:
    "Rita. Die meisten Frauen in der Siedlung haben eine Putzfrau, nur ich nicht. Ich hocke hier auf unseren Fliesen im Gäste-WC, das Johannes und Georg benutzen, und versuche, die Kalkflecken zu entfernen. Die anderen Frauen haben alle 'Frau Eilers'. Sie wohnt drüben in einem der Hochhäuser und fährt einen BMW. Das muss man sich mal vorstellen. Eine Putzfrau, die einen BMW fährt. Außerdem trägt sie grundsätzlich diese roten Riemchen-Stilettos, so, als wäre sie wer weiß wer. Ist nicht mein Stil. Wirkt nicht aufgeklärt, eher anbiedernd. Sich als Frau mit den körperlichen Reizen derart in den Vordergrund zu spielen finde ich absurd. So, als hättest Du kein Gehirn. Aber so ein Auftritt scheint einem ja als ungebildete Frau weiterzuhelfen. Immerhin fährt die siedlungseigene Putzfrau einen schicken BMW, bezahlt von unseren Siedlungsmännern."
    Ein klassisches "desperate housewife"
    Diesen Frauenkampfton schlägt Rita von Anfang an, ärgert sich über jeden und alles und am meisten über sich selbst und ihre mangelnden Superweib-Qualitäten. Ihre Ehe mit Georg, der sich lieber um seinen kranken Bruder als um seine überspannte Frau kümmert, besteht nur noch auf dem Papier. Rita ist ein klassisches "desperate housewife". Zu oft hat man sie gesehen oder von ihnen gelesen, wenn ihre Nöte nicht gar erlebt, dass ihr Schicksal einen in der Literatur noch groß begeistern würde. Um das zu ändern, müsste es stilistisch mehr herausragen, was Alexa Hennig von Lange eher ab und zu gelingt, dann aber bekommt das Geplapper richtiggehend Schärfe.
    Das von ihr angewendete Erzählverfahren erzeugt indes leichte Müdigkeit. Denn alle Mitglieder der drei Familien kommen bei ihr einzeln zu Wort: Männer und Frauen, Kinder und Erwachsene. Die zumeist kurzen Kapitel sind mit den Namen der jeweiligen Ich-Erzähler überschrieben. Sonja Heiss hat kürzlich für ihren Roman "Rimini" dieses Verfahren angewendet, davor etwa Takis Würger für sein Erfolgsbuch "Der Club". Letzteres krankt ganz ähnlich wie Hennig von Langes Roman an dem Umstand, dass die einzelnen Erzählstimmen zu gleichförmig sprechen. Doch auch im Fall von "Kampfsterne" sorgt das multiperspektivische Verfahren natürlich für Abwechslung, langweilig muss einem beim Lesen nicht werden, zumal Hennig von Lange sich für das Präsens entscheidet, womit das Ganze einen schönen Drive erhält. Höchstens ein paar Seiten lang kommen die einzelnen Figuren zu Wort, manchmal nur mit einem Satz, danach springt der Text zu einer anderen Figur.
    Das Gemeckere der Gattin
    Das fügt sich bei Hennig von Lange zu einem kaleidoskopartigen Familienroman, der Ehegeschichten und Coming-of-Age-Dramen bündelt. Die sich abspielenden Ehetragödien gehen nicht über das Erwartbare hinaus, womöglich auch deswegen, weil sie das im sogenannten richtigen Leben auch selten tun: Frauen reden Männern ständig hinein, Männer versuchen es mit der Sekretärin, alle sind kreuzunglücklich, und krank sind immer nur die anderen. Der Autorin gelingen dabei schöne Pointen, etwa wenn sie Ritas Mann Georg sein Knäckebrot im Garten neben dem Komposthaufen essen lässt, weil er das Gemeckere seiner Frau darüber, dass er immer alles vollkrümele einfach nicht mehr ertragen will. Auch Ullas Mann Rainer hat es anscheinend nicht leicht:
    "Rainer. Durch die Windschutzscheibe sieht die Straße so ruhig aus. So friedlich. So, als würde sie gar nichts von mir wollen. Als läge der Asphalt rund um die Siedlung, damit ich auf ihm mühelos hinweggleiten kann, so, wie ich am liebsten mühelos durch mein Leben gleiten würde. Ohne ständig aufgehalten zu werden, von irgendwelchen Menschen, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen. Ständig sehen die Leute Probleme, wo gar keine sind. Als würden sie sich ohne Probleme nicht spüren. Als wären sie ständig auf der Suche nach dem nächsten unlösbaren Unglück. Meine Frau ist ja eine der treuesten Vertreterinnen dieser Methode. Ständig dieses angsterfüllte Gesicht. Die zusammengepressten Lippen. Ihr schockgeweiteter Blick. Schon morgens, wenn ich die Augen aufmache. Sofort dieser Blick. Als wäre ich ein Monster. Als wäre es eine Strafe, mit mir verheiratet zu sein."
    Ehefrauen und Ehemänner erscheinen in diesem Roman durchweg als Antagonisten und Fortschritte in der Ehe meist als Rückschritte der Liebenden. Dabei rüstet die Autorin ihre Figuren psychologisch durchaus überzeugend aus. Das, was ihr in den wechselnden Tonfällen nicht gelingt, nämlich die erkennbare Variation, vollzieht sie in der seelischen Ausstattung ihrer Figuren: Alle bekommen ein klares Profil. Dabei scheint sie eine besondere Vorliebe für dumme Erwachsene und neunmalkluge Kinder zu hegen.
    Bilder einer Kindheit
    Wie überhaupt manches an diesem Roman an ein Jugendbuch erinnert, wohl auch deshalb, weil den Kindern, allen voran dem Teenager Constanze, genannt Cotsch, Tochter von Ulla und Rainer, breiter Raum gewährt wird. In ihrem Schnodderton und Pubertätsglamour erinnert das Mädchen an Lelle, Jugendbuch-Heldin der Autorin, deren Schwester übrigens auch Cotsch heißt. Mit dieser Buchreihe feiert Hennig von Lange große Erfolge, 2002 erhielt sie dafür den Deutschen Jugendbuchpreis. Auch im neuen Roman dreht sich viel um die Nöte und Sehnsüchte der Jugendlichen:
    "Cotsch. Kennt jemand das Buch 'Bilder einer Kindheit' von Alice Miller? Mit Frauen brauchst Du mir normalerweise nicht zu kommen, mit einer Ausnahme. Dieser Autorin hier. Sollte man gelesen haben, das Buch. Die Frau schildert, wie die Erziehung ihrer Mutter sie zum geistigen und emotionalen Krüppel gemacht hat. Sehr aufschlussreich. Und auch so wahr. Wer wenn nicht ich kann ein Lied davon singen. Wobei ich mir wünschte, dass meine Mutter etwas mehr von der Mutter von Alice Miller hätte. Dabei versucht meine Mutter alles, um nicht so zu sein wie die Mutter von Alice Miller - beziehungsweise wie ihre eigene Mutter, die ziemlich genau so war wie die von Alice Miller."
    Mit den Gesetzmäßigkeiten von Familienzwistigkeiten kennt sich die fünffache Mutter Alexa Hennig von Lange aus. Das treibt ihrem Buch ohne Zweifel gute Beobachtungen und Schlussfolgerungen zu, wie es dem Roman überhaupt gelingt, den Mikrokosmos Siedlung und die Familie als Keimzelle des Staates als solche kenntlich zu machen. Stilistisch hapert es schon eher, da liest sich so einiges nicht einwandfrei. Das Vokabular auch der Erwachsenen bleibt beschränkt, viel zu oft reihen sich Allerweltsverben wie sehen, gehen, stehen aneinander.
    Das Leben in der Siedlung gleicht dabei dem Leben in der sprichwörtlichen Blase, die Außenwelt existiert so gut wie nicht. Um sich aber von den privaten Dramen in den Bann schlagen zu lassen, müssten die Abgründe der Figuren tiefer sein, ihre Gefühle langlebiger, ihre Krisen überraschender. So aber kommt der Roman über den Status einer sich leicht weglesenden Wochenendlektüre nicht hinaus.
    Alexa Hennig von Lange: "Kampfsterne"
    Dumont Verlag, Köln, 224 Seiten, 20 Euro.