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Alexander-Kluge-Ausstellung
Die Oper als Gegengewicht zur politischen Sphäre

Alexander Kluge hat sich als Filmemacher und Kritiker zeitlebens mit der Oper beschäftigt. Der geplante Abschluss seiner dreiteiligen Ausstellung zur Opern als "Tempeln der Ernsthaftigkeit" in Stuttgart verschiebt sich durchs Coronavirus. Ein Blick in die derzeit geschlossene Ausstellung.

Von Christian Gampert | 14.03.2020
Im Vordergrund ist ein amorphes elfenbeinfarbenes Gebilde zu sehen, das auf einem Tisch oder Koffer steht. Aus dessen Falten blickt ein einzelnes großes, braunes Auge. An einer anderen Stelle ist das Gebilde durchbrochen und gibt den Blick auf einen Mann und verschiedene Gerätschaften frei. Im Hintergrund sind einzelne Bäume und Wald
Atopic Cinema, Filmmontage 2019, mit „Kino“ von Katharina Grosse, Filmstill, 2020 (Courtesy: Alexander Kluge)
Für Alexander Kluge hat die Macht der Musik eine öffentliche Funktion: In den riesigen, repräsentativen Opernbauten, die wie die Parlamente, Regierungsgebäude und Museen unsere Städte strukturieren, werden seiner Ansicht nach Gefühle zum Ausdruck gebracht, die im politischen Alltag meist fehlen. Oder dort nur als bissige Polemik, als Zynismus vorkommen. Der Oper kann man vorwerfen, handlungstechnisch zu simpel oder zu verworren, zu kitschig, zu rätselhaft oder irreal zu sein, ihre Gefühlswelten sind jedenfalls nicht kleinkariert.
Und das interessiert den Gesellschaftstheoretiker Kluge, der Opernaufführungen jahrzehntelang nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Filmemacher begleitet hat. Ein Großteil der Monitore, die uns in Stuttgart erwarten, werden mit Kluges Operndokumentationen oder Verfilmungen bespielt. Dort geht es natürlich um Geschlechterverhältnisse und politisches Machtgefälle, um die "Zerbrechlichkeit des Menschen", wie Kluge es in einer Kapitelüberschrift formuliert, und oft genug um Ausweglosigkeit. Leonore befreit ihren Mann eben nicht aus dem Kerker, Orpheus bringt Eurydike nicht zurück ans Tageslicht.
Was uns fehlt
Das heißt: Obwohl die Oper im Foyer immer der Selbstdarstellung des Bürgertums gedient hat, ist auf der Bühne jener selbstreflexive Ernst möglich, der im Zeitalter digitaler Chatrooms mehr und mehr verloren geht. Jetzt, da die Opernhäuser geschlossen sind, merken wir das einmal mehr. Und die Geschichte der Oper spiegelt natürlich auch politische Geschichte, sagt Kurator Hans Christ.
"Wenn man die Opern des 19. Jahrhunderts nimmt, kann man die Geschichten, die in ihnen erzählt werden, nicht trennen von der Entwicklung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert und der gleichzeitigen Demokratisierung in Europa, aber auch den imperialistischen Strukturen in den Kolonien."
Zentraler Ort der Ausstellung ist das Bühnenbild von Anna Viebrock für Jossi Wielers Stuttgarter "Berenike"-Inszenierung von 2015. Von dort aus kann man in der großen Rotunde des Kunstvereins in acht verschiedene Kapitel hineingehen. Und so, wie Anna Viebrock für die frühklassizistische Jommelli-Oper ein Tintoretto-Gemälde zitiert, so assoziiert sich nun Alexander Kluge durch die Opern- und Geistesgeschichte. Opern-Partituren sind für ihn Geistwesen, die "wie in einer Himmelskarte" miteinander ins Gespräch gebracht werden müssen anhand möglichst vieler Beispiele.
Michael Gielen als spiritus rector
Die reichen vom "monströsen Fremden" im "Fliegenden Holländer" bis zu Puccinis missbrauchter "Madame Butterfly", immer spiegeln sich Geschlechterrollen oder auch Kolonialgeschichte in diesen Opern. Das ist nicht nur soziologisch, sondern auch musikalisch bedeutsam. Wie etwa die männermordende "Lulu" von Alban Berg orchestriert wird, lässt sich nur aus der Geschichte der Zwölftonmusik begreifen. Wesentlich für Kluge ist dabei der Dirigent Michael Gielen, dessen Frankfurter Aufführungen er von der Neuenfels-Aida bis zum Ring filmisch begleitet hat. Dazu Kurator meint der Hans Christ:
"Gielen ist für ihn der Mentor. Das ist der, der die klassischen Formate der Oper beherrscht, aber eigentlich aus einer Erziehung, die vom Anfang der Zwölftonmusik herkommt. – und den er selber als Jemanden aus der "kritischen Theorie der Musik" bezeichnet"
Kritische Theorie der Musik macht natürlich auch Kluge selber. Sie ist der Stoff, aus dem sich die Moderne begreifen lässt – in der Ausstellung nicht nur auf Filmmonitoren, sondern auch in vielen wild collagierten Bildzitaten und in mäandernden theoretischen Einlassungen im Katalog. Bei Kluge hängt alles mit allem zusammen, und manchmal möchte man ihm zurufen: "Prima la musica, poi le parole", erst die Musik, dann das Gerede. Und trotzdem hat diese Ausstellung ein ungeheures Anregungspotential.