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Alfred Jensen
Ein Amerikaner in der Schweiz

Er hat Goethes Farbenlehre studiert und die Schriften Leonardo da Vincis, war fasziniert von Zahlensystemen. Und die Kalender der Maya und Inka spielen in den Bildern des amerikanischen Malers Alfred Jensen genauso eine Rolle wie die Baupläne ägyptischer Pyramiden. Das Kunstmuseum Winterthur hat ihm nun eine Retrospektive gewidmet.

Von Christian Gampert | 01.05.2015
    Wenn man erst mit über 50 Jahren zu malen beginnt, dann muss das Gründe haben. Bei Alfred Jensen ist der Grund eher einfach: Er führte ein abenteuerliches Leben. In Guatemala aufgewachsen, Vater Däne, Mutter Deutschpolin, wurde er als Jugendlicher zurück nach Dänemark geschickt, büchste aus, befuhr als Schiffsjunge die Weltmeere und lernte dann auf einer Münchner Kunstschule eine reiche (und viel ältere) Amerikanerin kennen, die Kunst sammelte; mit ihr reiste er 25 Jahre lang nicht nur als Berater durch die Welt.
    Als sie 1951 starb, begann er von vorn, mietete in New York ein Atelier, probierte den Abstrakten Expressionismus und fand dann bald zu einer geometrisch-formelhaften konzeptuellen Malerei, in der er die Farben seiner mittelamerikanischen Heimat zum Leuchten brachte.
    "Und das war nicht so einfach, diese Rollen zu tauschen, und es wird auch berichtet, dass viele Maler, Franz Kline und andere, ihn etwas abschätzig behandelt haben. Ach, das ist ja derjenige, der nur über Kunst spricht, das ist ja gar kein richtiger Maler", erzählt Kurator Dieter Schwarz, der in Winterthur einen chronologischen Parcours gehängt hat, beginnend mit den ersten reifen Bildern. Aber Jensen hatte Glück: er verkaufte Bilder. Er war mit Mark Rothko befreundet und mit dem wilden Sam Francis, auf dessen Fürsprache hin der Berner Kunsthändler Eberhard Kornfeld Hunderte von Jensen-Werken in Schweizer Privatsammlungen brachte - und auch in die Museen. Und so kommt es, dass Jensen heute in den USA immer noch bekannt ist und hohe Auktionspreise erzielt, während sein Ruhm in Europa eher verblasst. Nur nicht in der Schweiz!
    Steht man in Winterthur vor diesen Farbspielen, die meist innerhalb von Schachbrettmustern stattfinden und so ein System bekommen, dann weiß man ziemlich bald, dass eine Wiederentdeckung lohnt. Denn trotz allen Geredes von Goethes Farbenlehre, die angeblich den Hintergrund dieser Malerei bildet, ist die mittelamerikanische Tradition dominant: diese Bilder wirken wie gemauert, wie Maya-Tempel, auf deren Fassade pastos und ausdrucksstark gemantscht wurde. Volkskunst, die in die Moderne transportiert wird, leuchtend, spielerisch, kindlich und doch hochabstrakt.
    Denn natürlich kannte Jensen auch die Farbkreise von Robert Delauney oder die Quadrate von Josef Albers. Und er wusste, dass die Schrift Teil des Bildes sein kann - oder die Zahl. Zahlen malen, die Zahlenmystik indianischer Kulte in die Kunst zu befördern, das betrieb er nun mit fast manischer Vehemenz. Die Farbexerzitien, die er an Sammler verkaufte, waren eher kleinformatig. Doch das wirklich herausragende Bild der Winterthurer Ausstellung ist zwölf Meter lang - eine Farbspekulation, in der mathematische Reihen gebildet und bestimmten Farbmischungen zugeordnet werden. In der Gesamtansicht ist das ein überwältigender Eindruck.
    "Schon seine ersten Arbeiten in den 50iger Jahren waren mehrteilige Tafel-Wand-Bilder, fünf-, sechsteilige Bildfolgen, denn eigentlich sollte diese Malerei monumentalen Charakter haben, sollte die Räume füllen, denn nur so konnte er diese groß entwickelten mathematischen und Farbstrukturen darstellen, die ihm wirklich am Herzen lagen." Ein Meer aus Ziffern ist das - und aus den unterschiedlichsten Farbtönen. Jensen erzählte gern, er habe ein indianisches Kindermädchen gehabt, und daher komme das: Magie der Farbe, Zauber der Zahl. In Winterthur sieht man aber auch die Sonne als vielfarbig schillerndes Symbol des Maya-Sonnenjahres, man fühlt sich einerseits an die Darts-Scheiben des Jasper Johns erinnert, andererseits an psychedelische Träume, die Zeit der Hippies und die Drogenexzesse der 1970er-Jahre.
    Später kommen bei Jensen pyramidale Formen hinzu und – oft in Pfeilform - zeitgeschichtliche Phänomene wie Juri Gagarins Raumfahrt. Alfred Jensen aber sah sich nicht als Modernist, sondern als Maler der alten, der ältesten Kulturen: Ziel seiner so mathematisch anmutenden Versenkung in die Farbe war nicht das Jetzt, sondern die Ewigkeit.