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"Algorithm is it"
Das System des Digitalen auf der analogen Bühne

Ohne Algorithmen geht im digitalen Leben nichts. Sie sorgen für unseren Newsfeed auf Facebook, für Musikvorschläge bei Spotify und personalisierte Suchergebnisse bei Google. Die Theaterproduktion "Algorithm is it" erforscht, was es bedeutet, wenn alle Informationen, die einen erreichen, vorher gefiltert werden.

Von Oliver Kranz | 15.11.2016
    Im Theaterstück "Algorythm is it" grillen zwei Schauspieler mit Selfiesticks ihre Smartphones vor dem Bild eines Lagerfeuers.
    Im Theaterstück "Algorithm is it" grillen zwei Schauspieler mit Selfiesticks ihre Smartphones vor dem Bild eines Lagerfeuers. (Theater an der Parkaue)
    "Al-Chwarizmi hat gesagt, es gibt eine Zahl, die die Abwesenheit aller Mengen beschreibt. - Al-Chwarizmi hat gesagt, die Zahl ist perfekt."
    Wer sich mit Algorithmen beschäftigt, muss mit Al-Chwarizmi anfangen. Der persische Gelehrte hat schon vor 1200 Jahren formuliert, wie man mit einfachen Rechenschritten komplexe Probleme lösen kann. Doch in der Aufführung wird nicht gerechnet. Die Schauspieler stellen ein Zelt auf, auf das flimmernde Computergrafiken projiziert werden. Mal sehen sie wie ein Sternenhimmel aus, mal wie ein Wald aus kahlen Bäumen.
    Selbstlernender Algorithmus
    "Das Ganze spielt im Random Forest, was ein Algorithmus ist, den es tatsächlich gibt, der quasi selbstlernend ist und sich immer an alle Entscheidungen, die derjenige macht, der das Internet nutzt, sich immer anpasst und immer verändert."
    Erklärt Martin Grünheit, der Regisseur. Die Aufführung bringt Bilder auf die Bühne, die man nur entschlüsseln kann, wenn man das entsprechende Vorwissen hat. Martin Grünheit und seine Mitstreiter von der Gruppe Cobratheater und der staatlichen Jugendbühne Theater an der Parkaue haben sich monatelang mit Algorithmen beschäftigt. Sie wissen, dass der Begriff Random Forest eigentlich ein Klassifikationsverfahren beschreibt, bei dem mit der Hilfe von Entscheidungsbäumen große Datenmengen geordnet werden können. Auf der Bühne ist der Random Forest eine Art Traumlandschaft, die von einem Wanderer durchstreift wird.
    "Ich bin der Wanderer, der Wonderer, the wonderer, bin ein Verwunderter, in der Wildnis Schutz suchender."
    Schon die gestelzt-poetische Sprache verweist auf die Künstlichkeit der Situation. Der Wanderer kommt zu einem Lagerfeuer, an dem Schauspieler mit Pagenkopf-Perücken Smartphones an Selfiesticks in die Flammen halten. Das Feuer ist nicht echt, sondern ein Video auf einem Bildschirm.
    Das Post-Internet-Art-Bild
    "Das ist vielleicht ein Post-Internet-Art Bild. Nach dem Internet, was machen wir da eigentlich? Wenn alles komplett technologisiert ist und wir von dieser komischen Idee Natur ausgehen, als Flucht. Wo können wir hin? Selbst da gibt es keine Flucht mehr, weil alles Technik ist."
    Die Inszenierung soll die neue Technik nicht verteufeln, sagt Martin Grünheit. Sie soll sie nur darstellen. Dem Wanderer begegnen Persönlichkeiten, die für die Entwicklung des Computers wichtig waren. Melina Borcherding spielt Ada Lovelace.
    "Das ist quasi die erste Programmiererin der Welt, der erste Mensch, der ein Computerprogramm geschrieben hat, weil sie 1800 zusammen mit Charles Babbage an seine Rechenmaschine gearbeitet hat, an seiner analytischen Maschine und ihm da geholfen hat. Er hat darin eine Rechenmaschine gesehen und sie ist einen Schritt weiter gegangen und hat gesagt: ich glaube, dass man diese Zahlen, mit denen wir gerade rechnen, übersetzen kann in Wörter beispielsweise.
    Neben Ada Lovelace treten der Mathematiker Alan Turing und der Kybernetiker Norbert Wiener auf: Der erste mit einer blauen Perücke, der zweite im Fat Suit.
    Neben Ada Lovelace treten der Mathematiker Alan Turing und der Kybernetiker Norbert Wiener auf: Der erste mit einer blauen Perücke, der zweite im Fat Suit. (Theater an der Parkaue)
    "Und jetzt sitze ich als einzige Frau in Random Forest. Nur noch Männer scheinen über Computing nachzudenken. Es gibt eine Stiftung, die meinen Namen trägt und die für viel Geld Seminare für Frauen anbietet, damit sie etwas über Computing lernen.
    Neben Ada Lovelace treten der Mathematiker Alan Turing und der Kybernetiker Norbert Wiener auf. Der erste mit einer blauen Perücke, der zweite im Fat Suit. Beide so albern, dass man ihnen bahnbrechende Erkenntnisse eigentlich nicht zutraut. Der Wanderer wird von ihnen mit Fachbegriffen bombardiert. Wiener schwadroniert über die Bilirubinoxidase, Turing über seine Experimente mit Nullen und Einsen. Wirklich verstehen, kann man die beiden kaum. Das Thema "Algorithmen" sperrt sich gegen einfache Beschreibungen, sagt Martin Grünheit.
    "Wir haben einen Programmierer eingeladen auf die Proben, der uns das alles erklärt, aber die Programmierer sagen selbst: Wir verstehen es selber nicht. Es gibt niemanden mehr, das ist interessant, der alles versteht. Es gibt niemanden mehr, der jeden Code kann, der jeden Algorithmus weiß. Das ist fragmentiertes Wissen, woran viele Leute gleichzeitig arbeiten."
    Und so wirft die Inszenierung selbst Wissensfragmente auf die Bühne. Der Wanderer nimmt alles auf, bis er sich fit fühlt, für den nächsten Level.
    "Er macht weiter. Er geht ins nächste Level und muss da die nächste Erfahrung machen. Das wäre das Positive an diesem Abend. Andererseits ist es so, dass wir dank der NSA wissen, dass es nicht eine zwingend positive Technologie ist, diese ganze Utopiesituation aus den neunziger und achtziger Jahren nicht mehr ist, sondern eher die Frage ist: Wie geht es weiter? Das versuchen wir erfahrbar zu machen, dass es danach trotzdem weitergeht oder, wie Sascha Lobo sagen würde: The Age of Trotzdem."
    Die Inszenierung macht auch den Journalisten Sascha Lobo zur Theaterfigur. Ein Schauspieler mit angedeuteter Irokesenfrisur und Lederjacke erklärt wie Computerprogramme beim Onlineshopping Warenkörbe analysieren und dem Kunden immer neue Produkte vorschlagen. Wo hört legitime Kaufberatung auf, wo fängt Manipulation an? Die Inszenierung verwirrt in vielen Szenen, doch sie wirft auch wichtige Fragen auf.