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Ali Al-Dumaini zu neun Jahren Haft verurteilt

Als Saudi-Arabien nach dem 11. September 2001 wegen seiner Verwicklung in den islamistischen Terror international in die Kritik geriet, schien das saudische Königshaus zum ersten Mal bereit, über mehr politische Mitsprache und Meinungsfreiheit der weitgehend rechtlosen Untertanen zumindest zu diskutieren.

Von Martina Sabra | 04.07.2005
    Die noch kleine, aber ambitionierte friedliche Bürgerrechtsbewegung wurde im Rahmen nationaler Dialogforen zur Diskussion geladen, und Anfang 2005 hatten männliche Saudis zum ersten Mal in der Geschichte des Landes die Gelegenheit, zumindest einen Teil ihrer Volksvertreter selbst zu wählen.

    Doch die saudische Herrscherfamilie scheint gespalten: Während man dem Kronprinzen Abdullah eine prowestliche Haltung und einen gewissen Reformwillen attestiert, lässt sein innerfamiliärer Gegenspieler, der konservative Prinz Nayif bin Abdel Aziz als Innenminister jegliche friedliche Opposition im Keim ersticken. Presse und Journalisten werden umfassend zensiert. Laut dem jüngsten Jahresbericht von "Reporter ohne Grenzen" kontrolliert Prinz Nayif sämtliche Medien im Königreich und lässt Kritiker gnadenlos verfolgen.

    Am 15. Mai traf es den bekannten Dichter und Journalisten Ali Al-Dumaini. Dass ausgerechnet der als loyal geltende Al-Dumaini wegen kritischer Meinungsäußerungen zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde, war ein Riesenschock für viele Saudis, die auf Veränderungen und mehr Meinungsfreiheit in Saudi-Arabien gehofft hatten.
    " Wir wünschen uns mehr Macht für alle Saudis, Männer und Frauen, damit sie an politischen Entscheidungen teilnehmen könnten, und damit eine Gesellschaft der Bürger entsteht, mit säkularen Institutionen, Gewerkschaften, einem Parlament und allem, was dazu gehört."
    Fawziya Bakr Al-Bakr tritt für die Rechte saudischer Frauen ein und zählt zur saudischen Bürgerrechtsbewegung. Als die Literaturprofessorin aus Riyad im Juni 2004 in Deutschland dieses Interview gab, glaubte sie noch fest daran, dass sie in ihrer Heimat Saudi-Arabien bald selbst Auto fahren und vielleicht sogar ein Parlament mitwählen würde. Doch der nationale Dialog über Frauenrechte, an dem Bakr Al-Bakr teilnahm, blieb ergebnislos.

    Und nun hat die friedliche saudische Opposition einen weiteren Rückschlag erlitten: der Dichter und Journalist Ali Al-Dumaini wurde am 15. Mai wegen angeblicher "Unruhestiftung und Ungehorsam gegenüber dem König" von einem islamischen Gericht in Riyad zu neun Jahren Haft verurteilt. Sein Mitstreiter, der Universitätsprofessor Matruk Al-Falih wanderte für sechs Jahr hinter Gitter. Für viele liberale Saudis im In- und Ausland war das Urteil ein Schock. Die in London lebende saudische Regimekritikerin May Yamani klagte das saudische Regime öffentlich der Heuchelei an. Ihr internationaler Appell erschien unter anderem in der Süddeutschen Zeitung.

    " Obwohl die saudische Herrscherfamilie unter enormem Druck steht, dem Beispiel ihrer Nachbarn zu folgen, bleibt der innere Widerstand gegen Reformen sehr stark. Also haben sich die al-Sauds in ein janusköpfiges Wesen verwandelt: Auf der einen Seite ermuntert die königliche Familie demokratische Reformer, ihre Stimme zu erheben, auf der anderen Seite wirft sie sie dafür ins Gefängnis."
    Der wegen angeblicher Unruhestiftung verurteilte Ali Al-Dumaini ist nicht der Prototyp des rebellischen Intellektuellen. 1950 im konservativen Osten des Landes geboren, studierte der Sohn einer wohlhabenden Familie zunächst Maschinenbau und arbeitete als Ingenieur bei der saudisch-amerikanischen Ölfirma Aramco. Nach einem Zwischenspiel als Banker wechselte Al-Dumaini in den achtziger Jahren zur schreibenden Zunft. Er veröffentlichte mehrere Gedichtbände und wurde Leiter des Feuilletons der arabischsprachigen Tageszeitung Al-Yawm.

    Al-Dumaini gehörte zu einer Handvoll Zeitungsjournalisten, die Ende der neunziger Jahre sehr vorsichtig begannen, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Missstände im Land zu kritisieren. Als das saudische Regime nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 unter Rechtfertigungsdruck geriet und gleichzeitig radikale Islamisten das Land mit einer Serie von Bombenanschlägen überzogen, schien die Königsfamilie bereit, den nichtfundamentalistischen Dissidenten mehr Raum zu geben. Fawziya Bakr Al-Bakr, die Frauenrechtlerin:

    " Wenn der 11. September 2001 uns Saudis in irgendeiner Form genützt hat, dann dahingehend, dass die Regierung gezwungen wurde, die Perspektive zu wechseln. Saudi-Arabien wollte immer das Bild des idealen Islam aufrechterhalten, weil sich die heiligen Stätten des Islams, Mekka und Medina auf unserem Territorium befinden: Aber der Terror hat die Regierung gezwungen, sich zu öffnen. "
    Mit dieser Öffnung rechnete wohl auch Ali Al-Dumaini, als er Ende 2003 eine wagemutige Petition an das saudische Herrscherhaus verfasste: unterstützt von zwei Universitätsprofessoren forderte er unter anderem die Schaffung einer konstitutionellen Monarchie, freie Wahlen, mehr Rechte für Frauen und eine unabhängige Presse. Besonders scharf kritisierte der Journalist Al-Dumaini das saudische Bildungssystem: Der Einfluss der wahhabitischen Ideologie - eine extrem intolerante Version des Islams – produziere immer wieder neue totalitäre Ideen und Terroristen, so Dumaini.

    Rund 900 saudische Bürgerinnen und Bürger, unter ihnen zahlreiche Universitätsangehörige, Journalisten, Unternehmer, aber auch Hausfrauen sollen die Petition unterzeichnet haben. Doch anders als erwartet reagierte das Regime nicht mit Dialog, sondern Repression: am 16. März 2004 wurden al-Dumaini, die beiden Mitverfasser des Manifests al-Hamid und al-Falih sowie ein Dutzend Unterstützer verhaftet. Während die meisten Unterstützer unter dem Druck der Behörden von ihren Forderungen abrückten, blieben Al-Dumaini und seine beiden Kollegen bei ihrem Manifest und wurden vor Gericht gestellt.

    Neun Monate dauerte der Prozess, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Riyad stattfand. Internationale Proteste und Solidaritätsbekundungen – die US-amerikanische Sektion des internationalen Schriftstellerverbandes PEN machte Al-Dumaini zum Ehrenmitglied – blieben ohne Erfolg. Niemand hatte mit einem Freispruch gerechnet, aber das Strafmaß schockierte die liberale Öffentlichkeit doch. Beobachter in Saudi-Arabien gehen allerdings davon aus, dass die hohen Haftstrafen als Abschreckung dienen sollen und die Gefangenen möglicherweise vorzeitig freikommen werden, vor allem wenn der als liberal geltende Kronprinz Abdullah bald seinem todkranken Vater Fahd auf den Thron folgen sollte.

    Auch eine deutsche Kennerin Saudi-Arabiens, die Islamwissenschafts-Professorin Ulrike Freitag aus Berlin vermutet, dass das saudische Regime der liberalen Opposition mittelfristig entgegen kommen wird. Mit schnellen Reformen sei aber nicht zu rechnen, da die Konservativen nach wie vor die Mehrheit bildeten.

    "Es gibt aber doch so etwas wie eine öffentliche Unterstützung für die Reformen, nicht zuletzt weil man Islamisten im eigenen Land Einhalt gebieten will, und es wird gesehen, dass bestimmte Konzessionen nötig sind, an die Liberalen, und ich glaube, das gibt den Liberalen einen gewissen Rückenwind. "
    Rückenwind – den erhoffen sich saudische Regimekritiker wie der Journalist Al-Dumaini auch von westlichen Regierungen. Deutschland hält sich mit Kritik bisher jedoch zurück: Saudi-Arabien ist der wichtigste Handelspartner im Nahen Osten, die Region gilt als Wachstumsmarkt, und man spekuliert in Berlin sogar darauf, dass die Araber einen Transrapid bestellen könnten, der die saudische Wüste mit dem arabischen Golf verbinden soll.

    Bei den saudi-arabisch-deutschen Kulturtagen Mitte Juni in Berlin ließ das Auswärtige Amt immerhin öffentlich erklären, man sehe die Inhaftierung von Reformern in Saudi-Arabien "kritisch". Ob der höflichen Ermahnung konkrete Schritte folgen sollen, und wenn ja, welche, ließ das Außenministerium in Berlin allerdings offen. Man setzt lieber auf kulturellen Dialog und Wissenschaftskooperation als auf politischen Druck. Im Herbst 2005 sollen fünfzig junge Männer und Frauen aus Saudi-Arabien zum Studium nach Deutschland kommen, eine deutsch-saudische Universität soll entstehen, und sogar Jugendaustausch ist angedacht. Klare Forderungen nach Achtung der Menschen- und Bürgerrechte, inklusive Presse- und Meinungsfreiheit Sollen das diplomatische Einvernehmen nicht stören.