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Alkoholfrei per Gesetz

Die Erdogan-Regierung will ein Gesetz erlassen, wonach Alkoholkonsum in der Türkei erst mit 24 Jahren gestattet ist. Damit solle vor allem die Jugend vor den Gefahren des Alkohols geschützt werden, heißt es. Kritiker vermuten hinter dem Vorgehen jedoch ganz andere Beweggründe.

Von Gunnar Köhne | 25.02.2011
    Wein, Bier, Wodka, Gin, Likör und natürlich das Nationalgetränk Raki. In dem kleinen Alkoholladen von Yavuz Akgün stehen die Flaschen dicht an dicht in den Regalen. Hier, im Istanbuler Ausgehviertel Beyoglu, fließt nicht bloß in den umliegenden Kneipen reichlich Alkohol. Auch in Akgüns Laden kommt viel Laufkundschaft – junge Leute decken sich auf dem Weg zur nächsten Party mit Bier und Zigaretten ein. Dass die Regierung den Alkoholkonsum mit neuen Vorschriften einschränken will, schreckt den Händler nicht. Er diskutiert mit einem Kunden:

    "Das ist doch eher eine Maßnahme zum Schutz der Jugend. Wenn die das Mindestalter für den Konsum von Alkohol auf 24 Jahre heraufsetzen, wird das unser Geschäft nicht weiter beeinträchtigen. Sie sehen ja, was hier los ist. Wenn die Regierung wirklich generell etwas gegen Alkohol hätte, müsste sie richtige Verbote einführen."

    "Und ich sage Ihnen: Das ist der erste Schritt zu einem generellen Verbot. Demnächst wird Alkohol nur noch in bestimmten Vergnügungsvierteln verkauft und getrunken werden können. Dieses Gesetz ist erst der Anfang, da bin ich mir sicher."

    Die Heraufsetzung des Höchstalters auf 24 Jahre ist nur eine von mehreren Dutzend neuen Vorschriften, mit denen die türkische Regierung insbesondere die Jugend vor den Gefahren des Alkohols schützen will. Die neuen Bestimmungen verbieten auch jegliche Werbung für Alkohol, und Alkoholhersteller dürfen nicht mehr als Sponsoren öffentlicher Veranstaltungen oder Sportvereine auftreten – der erfolgreichste Basketballclub des Landes "Efes Pilsen Istanbul" muss sich nun einen neuen Sponsor suchen.

    Alkohol darf nicht als Preis bei Gewinnspielen vergeben werden, und Cateringfirmen müssen künftig bei Veranstaltungen im Freien – etwa bei Hochzeiten oder Ausstellungseröffnungen -eine Genehmigung für den Alkoholausschank beantragen. Bereits im vergangenen Herbst war die Verbrauchsteuer auf Wein und Raki um bis zu 30 Prozent erhöht worden. Nun tobt ein heftiger Streit darüber, ob die religiös geprägte Regierungspartei AKP den Alkoholkonsum stigmatisieren und aus dem öffentlichen Leben verdrängen will.

    Zwei Istanbulerinnen, die bei einem Feierabendbier vor einer Kneipe zusammensitzen, schauen bei dem Thema grimmig:

    "Das Mindestalter für Waffen wollen sie auf 18 Jahre senken, aber für ein Bier muss man 24 sein. Das ist doch ein Witz!"

    "Da haben sich ein paar Beamte zusammengesetzt und sich den Kopf zerbrochen – und herausgekommen ist so ein Murks. Wer soll das verstehen?"

    Die Regierung verweist darauf, dass das Gesetz im Einklang stehe mit Forderungen von Weltgesundheitsorganisation WHO und EU nach mehr Jugendschutz. Tatsächlich hat sich seit der Machtübernahme der AKP vor acht Jahren der Alkoholkonsum nach offiziellen Zahlen verdoppelt. Dennoch liegt der Verbrauch reinen Alkohols pro Einwohner weiter unter europäischem Durchschnitt. 1,4 Liter trinkt der Türke durchschnittlich im Jahr, im restlichen Europa liegt die Menge bei über 10 Litern.

    Auch Kritiker des neuen Gesetzes halten manche Maßnahmen für sinnvoll – etwa das Alkoholverbot in Autobahnraststätten. Die Soziologin Nilüfer Narli vermutet allerdings, dass die Regierung mit solchen Manövern vor den Wahlen im Juni ihre konservativ-religiösen Wähler mobilisieren will:

    "Alkohol wurde in letzter Zeit mehr und mehr kriminalisiert. Alkoholtrinker haben dadurch ein negatives Image bekommen. Für die Mehrheit der Bevölkerung ist Alkoholtrinken inzwischen etwas Kriminelles. Eine Umfrage aus dem Jahr 2009 hat gezeigt, dass fast 60 Prozent der Türken keinen Alkoholtrinker zum Nachbarn haben wollen."

    Dass es der AKP nicht nur um den Jugendschutz und die Volksgesundheit geht, sondern generell um eine moralische Wende im Land – dieser Verdacht wird auch durch Äußerungen von Regierungspolitikern genährt. So warnte der stellvertretende Regierungschef Bülent Arinc die Türken davor zu glauben, das Leben bestünde "nur aus Sex und Alkohol". Und Tayyip Erdogan rätselte öffentlich, warum man überhaupt Wein trinken müsse, wo man doch auch die Trauben essen könne.