Freitag, 29. März 2024

Archiv


"Alle einmal einen Moment innehalten"

Wolfgang Bosbach zeigte sich überrascht vom Rücktritt des Bundespräsidenten. Er zollte Köhler Respekt für seine Entscheidung, betonte jedoch, dass auch das Staatsoberhaupt nicht außerhalb jeder Kritik stünde. Jetzt gelte es zunächst einmal, Köhler zu danken und besonnen an die Nachfolge zu gehen.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christoph Heinemann | 31.05.2010
    Christoph Heinemann: Am Telefon begrüße ich Wolfgang Bosbach, CDU-Innenpolitiker. Guten Tag!

    Wolfgang Bosbach: Ich grüße Sie.

    Heinemann: Herr Bosbach, Ihre Bewertung des Rücktritts?

    Bosbach: Wie alle anderen auch war ich völlig überrascht über die Entscheidung des Bundespräsidenten. Ich habe natürlich die Reaktionen, auch die teilweise harte Kritik an den Äußerungen des Bundespräsidenten, die gerade noch einmal referiert worden sind, in den letzten Tagen sehr, sehr aufmerksam verfolgt. Wer Horst Köhler kennt, muss wissen, dass ihn eine derartige Kritik von Stil und Inhalt her natürlich auch persönlich treffen und beeindrucken wird. Dennoch war ich überrascht, dass der Bundespräsident diese Konsequenz gezogen hat, sofort zurückzutreten.

    Heinemann: Herr Bosbach, war aber nicht die Äußerung doch so missverständlich? Ihr Parteifreund Ruprecht Polenz hat bei uns im Deutschlandfunk gesagt, das hätte man anders formulieren müssen, das war nicht geschickt gewählt, das was er da im Flugzeug gesagt hat.

    Bosbach: Ich habe jetzt nicht mehr jedes Wort exakt in Erinnerung, aber ich glaube, der Bundespräsident selber hat vor wenigen Minuten gesagt, dass man seine Äußerungen so auffassen konnte, dass sie zu Kritik Anlass gab. Aber in einer solchen Situation gibt es immer zwei Möglichkeiten. Entweder man sagt, der Bundespräsident wird es so gemeint haben, dass es verfassungskonform ist – das Stichwort lautet ja hier "Einsatz am Horn von Afrika gegen die Piraterie zur Freihaltung auch von Handelswegen" -, oder man konnte die Äußerungen so interpretieren, dass sie mit unserer Verfassung nicht in Übereinklang stehen, denn dass der Einsatz auch der Bundeswehr bei internationalen Mandaten in Afghanistan ausdrücklich dem Kampf gegen den Terror gilt und nicht irgendwelchen wirtschaftlichen Interessen Deutschlands dient, das ist doch völlig klar.

    Heinemann: Aber Sie als Jurist, an den Juristen die Frage: Darf sich das Staatsoberhaupt so äußern, dass man in beide Richtungen interpretieren kann?

    Bosbach: Natürlich kann man nicht verhindern, dass man sich auch einmal so äußert, dass es zu Missverständnissen Anlass gibt. Dann ist es immer dankbar, wenn man als Opposition einen Anhaltspunkt glaubt gefunden zu haben, um in diesem Falle einmal das Staatsoberhaupt kritisieren zu können. Damit wir uns nicht missverstehen: Man darf auch einen Bundespräsidenten kritisieren. Der Bundespräsident steht auch als Staatsoberhaupt nicht außerhalb jeder Kritik. Aber dann darf man auch die Konsequenz ziehen, die Horst Köhler jetzt gezogen hat. Es wird sicherlich jetzt einige Schlaumeier geben, die sagen, wer ein so hohes Staatsamt inne hat, wer sich um ein solches Amt bewirbt, der müsste eigentlich doch auch ein dickeres Fell haben. Wissen Sie, mir persönlich sind Menschen suspekt, die ein so dickes Fell haben, dass sie zur Not auch noch ohne Rückgrat stehen können. Mir sind Menschen sympathisch, die Kritik nicht einfach abtropfen lassen, sondern die sie ernst nehmen und die daraus auch die für sich richtigen politischen Konsequenzen ziehen, obwohl ich es sehr bedauere, dass Horst Köhler diese Konsequenz gezogen hat, denn er war als Bundespräsident ausgesprochen bescheiden, unprätentiös und er war zurecht in der Bevölkerung so beliebt wie er war.

    Heinemann: Herr Bosbach, Horst Köhler war Angela Merkels Kandidat für das höchste Staatsamt. Ist die Bundeskanzlerin, ist die Koalition beschädigt?

    Bosbach: Nein, das glaube ich nicht, wenn wir jetzt die richtigen Konsequenzen ziehen. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir jetzt nicht schon um 15:20 Uhr mit der Überlegung der Frage beginnen, wer könnte denn Horst Köhler nachfolgen. Es wäre gut, wenn jetzt alle einmal einen Moment innehalten würden und wenn man sich zunächst einmal darauf konzentrieren würde, Horst Köhler für seine Amtsführung ausdrücklich zu danken, und dann einmal in aller Ruhe zu überlegen, wie es denn weitergeht, denn es ist das höchste deutsche Staatsamt. Ich bin jetzt nicht in dieser verfassungsrechtlichen Frage absolut sicher, aber ich gehe davon aus, dass Artikel 54 Absatz 4 einschlägig ist, dass man also noch eine 30-Tages-Frist hat zur Neuwahl eines Bundespräsidenten, und diese Zeit sollte man sehr gut nutzen, auch um folgende Frage zu beantworten: Müssen es wieder mehrere sein, die gegeneinander kandidieren, wie bei der letzten Wahl, also der Wiederwahl von Horst Köhler, oder ist es vielleicht sogar möglich, parteiübergreifend sich auf eine Kandidatin und einen neuen Kandidaten zu verständigen, man dann eine ganz, ganz breite politische Mehrheit in der Bundesversammlung finden könnte.

    Heinemann: Das wäre dann vermutlich ein Kandidat, der Union und SPD entspräche oder genehm wäre. Haben Sie schon mal zusammengerechnet, wie die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung ausfallen werden nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl?

    Bosbach: Nein, aber ich glaube nicht, dass wir jetzt fundamental geänderte Mehrheitsverhältnisse haben gegenüber der letzten Bundesversammlung im Mai vergangenen Jahres, also bei der Wiederwahl von Horst Köhler, denn wenige Monate später ist ja das bürgerliche, das schwarz-gelbe Lager bei der Bundestagswahl gestärkt worden. Allerdings bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat die Union erheblich an Stimmen verloren. Das könnte etwas an der Zusammensetzung in der Bundesversammlung ändern, aber ich glaube nicht prinzipiell. In den wenigen Minuten war das jedenfalls für mich mit Bordmitteln nicht möglich durchzurechnen, aber ich gehe davon aus, dass Schwarz-Gelb nach wie vor eine Mehrheit in der Bundesversammlung hat.

    Heinemann: Wolfgang Bosbach, CDU-Innenpolitiker. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Bosbach: Ich danke Ihnen.