Samstag, 20. April 2024

Archiv


Alle Sportarten sind betroffen

Über fünf Monate hinweg hat der Ausschuss gearbeitet, insgesamt 70 Stunden lang mehr als 100 Sportler, Funktionäre, Wissenschaftler, Ärzte , Experten, Kriminalisten, Sportminister und Sportjournalisten angehört – die Transkription dieser Anhörungen allein umfasst rund 500 Seiten.

Von Hans Woller | 27.07.2013
    Der Präsident und der Berichterstatter der Untersuchungskommission haben es den versammelten Journalisten bei der Präsentation ihres 1.000 Seiten starken Berichts ein halbes Dutzend Mal eingehämmert. Alle Sportarten seien betroffen von Doping, so der Präsident der Kommission, Jean Francois Humbert. Man habe sich 18 Sportarten vorgenommen und sich nicht auf den Radsport konzentriert, im Gegenteil.

    In der Tat haben die Parlamentarier ihr Augenmerk verstärkt zum Beispiel auf das in Frankreich so beliebte Rugby und auch auf den Fußball gelegt. Ein ehemaliger Rugbynationalspieler machte in seiner Aussage unumwunden klar, dass Mitte der 90er Jahre auch in der Nationalmannschaft mit Kortison gearbeitet wurde und verwies wiederholt darauf, dass die Physionomie vieler Rugbyspieler sich in kürzester Zeit verändert habe, gleichzeitig habe sich die effektive Spielzeit eines Rugbymatches in knapp 20 Jahren bei gesteigerter Intensität mehr als verdoppelt.

    Was den Fußball angeht bleibt festzuhalten, dass Frankreichs Fußballer zum Beispiel 2011 bei Dopingproben extrem häufig überhaupt nicht anzutreffen waren - in 132 Fällen gegenüber nur sechs im Radsport. Dass der heutige Nationaltrainer und Kapitän der Weltmeistermannschaft von 98, Didier Deschamps, nur bereit war auszusagen, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen bleibt. Und: die ehemalige Sportministerin, Marie Georges Buffet, gab zu Protokoll, dass sie 1998 im Trainingslager der Fußballnationalmannschaft vor der WM eine Dopingkontrolle vorgesehen hatte, der Druck des Milieus und der Öffentlichkeit dann aber derart stark war und sie sich völlig isoliert sah, so dass sie letztendlich darauf verzichtete. Jean Francois Humbert, der Vorsitzende der Kommission:

    "Mir ist zu Ohren gekommen, dass sich manche Sportarten beschwert haben, von der Kommission allzu sehr aufs Korn genommen worden zu sein, Rugby und Fußball gehören dazu. Diese Reaktion zeigt die Schwierigkeit, die die Welt des Sports offensichtlich hat, über Dopingpraktiken zu sprechen. Uns ging es nur darum, alle Sportarten gleich zu behandeln."

    Ganz nebenbei kritisiert die Kommission in ihrer Synthese die deutsche Fußball-Bundesliga, in der im vergangenen Jahr keine einzige Blutprobe für Dopinganalysen genommen worden sei, die spanische Regierung wegen ihrem Verhalten in der Puerto Affäre, den internationalen Tennisverband, weil er 2012 außerhalb von Turnieren weltweit nur lächerliche 340 Dopingkontrollen angeordnet hat und den französischen Tennisverband, weil er so gut wie gar nichts tue. Wohl zufällig haben auch der Präsident des Internationalen Tennisverbandes und der Generaldirektor des französischen Tennisverbandes unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt.

    Die Senatoren bringen ihr Erstaunen zum Ausdruck, dass das anerkannte französische Dopinglabor in Chatenay Malabry bisher keine einzige Blut- oder Urinproben von Teilnehmer am Tennisturnier von Roland Garros zu sehen bekam. Daraus leiten sie den ersten von sieben Vorschlägen zur Verbesserung der Dopingbekämpfung ab. Jede Sportveranstaltung in Frankreich solle in Zukunft als französische Sportveranstaltung betrachtet werden – also auch das internationale Tennisturnier von Roland Garros, mit dem Ziel, dass die französische Antidopingagentur dort aktiv werden kann. Eine Antidopingagentur, deren Kompetenzen extrem erweitert werden sollten: die Dopingprävention sollte in ihre Hände gelegt werden, vor allem aber solle sie auch die Sanktionen bei Dopingvergehen in allen Sportarten verhängen können und damit diese Kompetenz den einzelnen Sportverbänden entziehen. Der Berichterstatter:

    "Das ermöglicht es, mit den Interessenskonflikten Schluss zu machen, die auf den Verbänden lasten. Man kann nicht einerseits seine Sportart fördern wollen und gleichzeitig den Polizisten in dieser Sportart spielen."

    Ein weiterer Vorschlag: das Sportministerium solle in Zukunft den Veranstaltungskalender der einzelnen Sportarten absegnen, mit dem Ziel, die Inflation von Sportveranstaltungen zu stoppen, und eine Kommission zur Wahrheitsfindung und Versöhnung solle eingerichtet werden, um den Schleier über aktuelle und frühere Dopingpraktiken zu lüften. Sicher ist jetzt schon: was Frankreichs Senatoren vorgelegt haben, ist keiner von den unzähligen Parlamentarierberichten, die unmittelbar wieder in irgendeiner Schublade verschwinden. Selbst der Dopingspezialist der Sportzeitung L'Equipe gesteht ihm zu, dass er die Erwartungen durchaus erfüllt - nämlich ein möglichst detailliertes Bild von der Dopingsituation in Frankreich zu zeichnen und Vorschläge für die Verbesserung der Dopingbekämpfung zu machen.

    Jean-Jacques Lozach, der Berichterstatter der Kommission, ließ es sich am Ende der Präsentation des Berichts nicht nehmen, auch auf die gerade zu Ende gegangene 100. Ausgabe der Tour de France zurück zu kommen und auf die Zweifel an den Leistungen des Gesamtsiegers Christopher Froome. Er nahm dies zum Anlass, dafür zu plädieren, die Konservierung von Dopingproben und die Möglichkeit von Nachkontrollen beizubehalten.

    "Die Verdächtigungen gegen Froome sind nicht legitim und gerechtfertigt. Aber: wer weiß heute schon, ob in drei oder fünf Jahren diese Zweifel und Verdächtigungen nicht doch gerechtfertigt sein werden und zwar dank von Nachkontrollen. Es erscheint uns also wichtig und positiv für den Kampf gegen Doping, dass Nachkontrollen auch in Zukunft möglich sind."