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"Alleine eine Verbotsdiskussion hilft nicht"

Die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung dürfe nicht mit den Anschlägen in Norwegen verknüpft werden, mahnt Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Die Forderungen der Union nach stärkerer Überwachung des Internets hält er für undurchdachte "Spontanreaktionen".

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 26.07.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Es hat kaum zwei Tage gedauert, da wurden in Deutschland Konsequenzen aus dem Doppelanschlag in Norwegen gefordert. Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl zog mit Blick auf die zahllosen Toten eine alt bekannte Forderung aus dem Hut, nämlich jene, dass in Deutschland endlich die Vorratsdatenspeicherung wieder möglich gemacht werden müsse. Unions-Politiker wie der Innenminister Niedersachsens, Schünemann, und der Innenminister Bayerns, Herrmann, forderten eine stärkere Kontrolle des Internets mit Blick auf rechtsradikale Umtriebe. Der Chef der Jungliberalen, Lasse Becker, warf Uhl daraufhin vor, die schrecklichen Anschläge für seine Zwecke zu instrumentalisieren, und Linken-Chefin Gesine Lötzsch sprach von einer besonderen Art der Trittbrettfahrerei. – Am Telefon ist jetzt Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Schönen guten Morgen!

    Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Wiefelspütz, betätigt sich die CSU als Trittbrettfahrerin?

    Wiefelspütz: Ach, wir sollten diese Scharmützel lassen vor dem Hintergrund eines Jahrhundertverbrechens in Norwegen, das dort die ganze Nation berührt und auch bei uns natürlich große Beachtung gefunden hat. Ich glaube, das ist nicht hilfreich, wenn wir jetzt mit Patentrezepten an diese Diskussion herangehen. Augenmaß und Verstand ist gefordert.

    Heckmann: Das heißt, die CSU hätte einfach mal schweigen sollen?

    Wiefelspütz: Das ist häufig der bessere Ratschlag nach solchen gravierenden Ereignissen. Ich verstehe aber, dass natürlich auch ein Druck auf uns Politiker entsteht - wir tun das ja jetzt in diesem Moment auch -, dass gefragt wird, dieses Verbrechen in Norwegen berührt die Menschen weltweit, natürlich auch in Deutschland, und dass man dann darüber redet, gibt es ein Rezept dagegen, was können wir daraus lernen, wie können wir uns vielleicht besser aufstellen, das ist ja legitim. Trotzdem: Erfahrene Leute sollten ihren Verstand einsetzen, bevor sie ihre Sprüche absondern.

    Heckmann: Aber die Frage ist ja in der Tat: Welches Rezept gibt es gegen solche Handlungen? Wäre die Vorratsdatenspeicherung, wie Herr Uhl meint, da ein probates Mittel?

    Wiefelspütz: Also man muss zunächst einmal festhalten: Deutschland ist europarechtlich verpflichtet, ich betone verpflichtet, rechtlich verpflichtet, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Das wird in der deutschen Diskussion hin und wieder übersehen. Es gibt ein Vertragsverletzungsverfahren in Brüssel, das angestrengt worden ist. Nur gleichzeitig muss man zweitens sagen, Vorratsdatenspeicherung hat mit diesem Massenmord in Norwegen nichts, aber auch gar nichts zu tun, und deswegen ist es auch nicht glücklich, wenn diese sozusagen innenpolitische deutsche Debatte, die wir zurecht führen über die Vorratsdatenspeicherung, jetzt verknüpft wird mit einem Mordfall in Norwegen, wo es überhaupt keine Verbindungen gibt in diese Richtung.

    Heckmann: Und das dennoch ins Spiel zu bringen, ist zynisch?

    Wiefelspütz: Ja ich kann die Empörung verstehen. Meine erste Reaktion war gestern auch, hier wird etwas instrumentalisiert. Ich will aber auch hier der Wahrheit Genüge tun. Herr Uhl und ich haben vor einigen Jahren in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung eingeführt, die ist dann vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden, das war eine Aktion der Großen Koalition, hatte aber einen langen Vorlauf. Das heißt, ich stehe zur Vorratsdatenspeicherung in den strengen Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auferlegt hat und vielleicht mit kürzeren Speicherfristen. Aber gleichwohl: Diese Diskussion um Vorratsdatenspeicherung hat mit dem Anschlag von Norwegen nichts zu tun und deswegen sollten wir das auch nicht vermischen, weil man sofort den Eindruck hat, hier wird sozusagen eine innenpolitische Debatte, ein Problem innerhalb der schwarz-gelben Koalition in Berlin, sozusagen auf dem Rücken dieses fürchterlichen Ereignisses in Norwegen ausgetragen.

    Heckmann: Dann gehen wir mal weg von der Vorratsdatenspeicherung - die Diskussion wird ja in den nächsten Wochen und Monaten sowieso wieder hochkommen – zu einem anderen Vorschlag, zu einer anderen Forderung, die aus den Reihen der CSU kommt, nämlich der Innenminister Bayerns, Herrmann, der hat gestern hier im Deutschlandfunk gefordert, das Internet stärker zu überwachen, und aus der CSU kommt auch die Forderung nach einem europaweiten Verbot extremistischer Internet-Seiten. Ist das eine Maßnahme, sind das Forderungen, mit denen Sie sich anfreunden können?

    Wiefelspütz: Auch Spontanreaktionen, undurchdacht, Herr Heckmann. Es gibt auch einen Vorschlag von der Gewerkschaft der Polizei, von Herrn Witthaut, den ich zurückgewiesen habe, Dateien anzulegen über Menschen, die auffällig sind. Das ist ein ebenso absurder Vorschlag. Also wir sollten da eher mal schweigen, der norwegischen Polizei Gelegenheit geben, ihre Arbeit zu machen, und dann kann man das alles noch mal sorgfältig analysieren. Wir haben es möglicherweise – ich sage das mit aller Vorsicht und wir machen jetzt selber eine Ferndiagnose – mit einem Einzeltäter zu tun, der sich unbemerkt radikalisiert hat, der polizeilich nie in Erscheinung getreten ist, den die Sicherheitsbehörden nicht auf dem Schirm hatten, und in solchen Fällen haben wir es außerordentlich schwer. Da helfen keine Patentrezepte. Wir überprüfen doch schon mit Hilfe des Verfassungsschutzes und auch der Polizei das Internet.

    Heckmann: Ausreichend? In ausreichendem Maße?

    Wiefelspütz: Darüber kann man diskutieren, ob wir da gut genug aufgestellt sind. Wir haben allein in Deutschland tausend rechtsextremistische Internet-Seiten und alleine eine Verbotsdiskussion hilft nicht. Extremismus heißt auch noch nicht Terrorismus. Extremes Gedankengut bedeutet noch nicht, dass ich deswegen solche Ideen, die wir alle für verabscheuenswürdig halten, die auch beobachtet werden müssen, dass wir deswegen das schon gleichsetzen mit Gewalttaten, die zu Mord und Totschlag führen.

    Heckmann: Aber ich will mal ein Beispiel nennen, Herr Wiefelspütz. Im Netz gibt es eine rechtsextreme Seite namens "Nürnberg 2.0". Da werden Politiker und Journalisten genannt, die zur Rechenschaft gezogen werden sollen für eine angebliche Islamisierung Deutschlands nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse. Wie kann so etwas im Netz sein?

    Wiefelspütz: Da bin ich sehr dafür, dass wenn es da Anhaltspunkte gibt für Straftaten, für Nötigungssituationen, dass so etwas verfolgt wird. Ich kenne solche Vorfälle auch in meiner unmittelbaren Heimat, hier im Kreis Unna, wo Lokalpolitiker sozusagen an den Pranger gestellt werden, und Sie müssen sich bitte mal vorstellen, was das für die Familien bedeutet, wenn da solche Situationen entstehen. Da wird Panik und Schrecken möglicherweise hervorgerufen, das darf nicht sein, dafür haben wir unsere Rechtsordnung, da muss eingeschritten werden, überhaupt keine Frage. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass wir auf diesem Sektor schlafen hier in Deutschland.

    Heckmann: Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Dieter Wiefelspütz hier im Live-Interview im Deutschlandfunk. Besten Dank, Herr Wiefelspütz, dafür.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.