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Alles andere als eine Liebesheirat

Das Bundeskartellamt genehmigte vor 25 Jahren die Übernahme der AEG durch die Daimler-Benz AG. Die Fusion sollte die "Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft" aus den roten Zahlen holen. Tatsächlich war sie der Auftakt zum Ende des traditionsreichen Elektro-Giganten.

Von Wolfgang Stenke | 13.02.2011
    Interviewer: "Herr Dürr, Sie haben es gesagt: Wenn die AEG eine Tochter übernimmt, dann nehmen Sie sich die neu erworbene Tochter erstmal so richtig zur Brust. Sind Sie von den Stuttgartern, von Daimler-Benz, so richtig zur Brust genommen worden?"

    Dürr: "Nein, so, wie Sie das ausgedrückt haben, nicht. Wir haben eine recht ordentliche Zusammenarbeit mit Daimler-Benz auf den verschiedensten Ebenen."

    Anders hätte Heinz Dürr, der Vorstandsvorsitzende der AEG, die Fusion seines Unternehmens mit der Daimler-Benz AG auch kaum kommentieren können. Doch der Einstieg des Automobilkonzerns in die traditionsreiche "Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft", der am 13. Februar 1986 vom Bundeskartellamt genehmigt wurde, war alles andere als eine Liebesheirat unter ebenbürtigen Partnern. Die "Börsen-Zeitung" schrieb:

    "Es war ein Ereignis, das wie die Adoption eines armen Kindes durch einen reichen Onkel wirkte und die AEG über Nacht auch an den Finanzmärkten hoffähig machte."

    Die AEG, 1883 von Emil Rathenau gegründet, war einer der Motoren der Industrialisierung Deutschlands: Elektrotechnik made in Germany mit weltweitem Ruf. Beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg musste das Unternehmen schwere Verluste durch Demontagen und Enteignungen ausgleichen. Der Aufstieg gelang schnell, jedoch um den Preis hoher Verschuldung. Trotzdem kaufte das AEG-Management ständig neue Tochtergesellschaften hinzu. Es entstand ein riesiger Gemischtwarenladen, dessen Sortiment vom Atomreaktor über Schnellboote, Bahnwaggons, Industrieausrüstungen und Computeranlagen bis zum Fernsehapparat oder zur Waschmaschine reichte.

    "AEG – aus Erfahrung gut."

    Dieser Werbeslogan - 1958 kreiert - wurde mindestens so populär wie die bissige Variante, die der Volksmund hervorbrachte:
    "Auspacken, einschalten, geht nicht!"

    Als 1985 die Fusion mit Daimler-Benz eingefädelt wurde, hatte die AEG bereits ein Vergleichsverfahren hinter sich. Bankenkonsortien saßen damals als Gläubiger und Eigentümer gewissermaßen mit sich selbst am Tisch. Das Bundeskartellamt hatte Bedenken gegen die von der Deutschen Bank betriebene Elefantenhochzeit, aus der ein Konzern mit 300.000 Mitarbeitern und 60 Milliarden D-Mark Jahresumsatz entstehen sollte. Es prüfte, ob das neue Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erlangen würde, vor allem im Bereich der Rüstungstechnik. Ihr Plazet machte die Kartellbehörde von der Erfüllung einer Auflage abhängig: Die AEG musste sich von ihrer Beteiligung an der "Eurosatellite GmbH" trennen.

    Für Daimler-Chef Edzard Reuter war die Fusion Teil seines Projekts, einen mächtigen deutschen Technologiekonzern zu schaffen. Neben der AEG akquirierte er Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen wie MTU, Dornier und MBB. Ein Konzept, das dem neuen Konzern alsbald horrende Verluste eintrug. Reuter verteidigte es noch 1995, als er aus dem Vorstand in den Aufsichtsrat wechselte:

    "Das bleibt richtig, denn wir haben auf diese Weise eine Gruppe, die gerade im internationalen Wettbewerb bei der Entwicklung der Märkte, die ja sehr global und weltweit geworden sind, unheimliche Wettbewerbsvorsprünge vor anderen Unternehmen haben. Ganz besonders im Bereich des Verkehrs, der Mobilität. Hier sind wir das einzige Unternehmen weltweit, das wirklich auf allen Bereichen des Transportes – Schiene, Straße, Luft – vollgültig anbieten kann und dazu das Systemwissen hat, moderne Verkehrssysteme zu entwickeln und anzubieten."

    Die Vision vom integrierten Technologiekonzern Daimler-Benz war zu diesem Zeitpunkt längst gescheitert. Und die AEG, für die die Fusion eigentlich der Auftakt zu einer umfassenden Gesundung sein sollte, nur noch ein Pflegefall. 1996 unter Reuters Nachfolger Jürgen Schrempp beschloss die Hauptversammlung der Daimler-Benz AG die Auflösung des chronisch defizitären Elektrokonzerns. Die Bestandteile der AEG, die zuletzt rund 50.000 Mitarbeiter hatte, wurden verkauft oder gänzlich mit der Automobilfirma verschmolzen: das unrühmliche Ende von 113 Jahren deutscher Industriegeschichte.