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Es war ein böses Erwachen, als Anfang Juni die Daten der Volkszählung veröffentlicht wurden: Denn der Zensus korrigierte die Einwohnerzahlen vieler Kommunen stark nach unten und das bedeutet unter anderem weniger Geld in den Kassen. Auch im Saarland ist man sauer.

Von Tonia Koch | 26.09.2013
    Es ist Markttag in Saarlouis. Und wenn Oberbürgermeister Roland Henz aus seinem Bürofenster schaut, dann freut er sich über wuselnde Menschen, die mit ihren Einkäufen seine Stadt am Leben halten. Aber wie viele sind es? Es sieht danach aus, als seien es weniger als gedacht. Denn quasi über Nacht hat Saarlouis 2500 Einwohner verloren - zumindest statistisch. Das ist das Ergebnis der jüngsten Volkszählung. Henz schaut nachdenklich hinunter auf das Treiben auf dem Marktplatz.

    "Ich will einfach wissen, wie viele Saarlouiser sind da. Weil, das nervt mich, wenn ich jeden Tag damit konfrontiert werde, sind jetzt tatsächlich so viele Tausend in der Innenstadt oder sind es 100 oder 200 weniger. Wie viele Männer und Frauen, wie viele Kinder, wie viele Ältere im Alter von 60 bis 70. All die Auflistungen, die ich gemacht habe, stehen in Frage. Und da hätte ich gerne Klarheit."

    Der Saarlouiser OB hat ein Gesprächsangebot des statistischen Landesamtes angenommen, um sich seinen Einwohnerschwund erläutern zu lassen. Das Gespräch sei sehr konstruktiv gewesen, nur leider hätten sich beide Seiten inhaltlich nicht annähern können.

    "Sie sagen, ihre Zahlen seien richtig. Und ich sage, sie sind falsch."

    Statt der vermuteten 37.000 lebten in der Festungsstadt nur noch 34.500. Dass die Zahl der Einwohner rückläufig war gegenüber der letzten Volkszählung 1987, das war auch Henz nicht verborgen geblieben. Denn er hat in sein Melderegister investiert, in neue Software und auch in die Schulung der Mitarbeiter. Saarlouis hatte also bereits selbst herausgefunden, dass sich 1000 Karteileichen in den Büchern finden. Aber noch einmal 1500 Einwohner weniger, das hält das Stadtoberhaupt für ausgeschlossen. Nachvollziehen kann er diese Differenz auch nicht, weil die statistischen Ämter den Kommunen sozusagen keinen Schlüssel an die Hand geben wollen. Das heißt: Die Gemeinden dürfen die Adressen, die der Stichprobenbefragung des Zensus zugrunde liegen, nicht einsehen.

    "Man nennt mir keine Namen, das heißt ich kann nicht nachvollziehen, um welche Personen es sich handelt. Da hilft es auch nicht, wenn man mir sagt, von den 1.500 seien 1.100 ausländischer Herkunft, die ein schlechtes Meldeverhalten haben."

    Genau das ist der wunde Punkt. Die Ergebnisse des Zensus bleiben für die Gemeinden eine Wunderkiste und die statistischen Ämter dürfen diese Wunderkiste aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht öffnen. Michael Sossong, Leiter des statistischen Landesamtes im Saarland.

    "Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der letzten Volkszählung 1987 das sogenannte Rückspielverbot festgelegt. Das bedeutet, dass Daten, die für statistische Zwecke erhoben werden, nicht an die Gemeinden rückgespielt werden dürfen, Von daher können individuelle Korrekturen nicht durchgeführt werden."

    Zwar erteilen die Ämter nützliche Hinweise, etwa dass es sich für die Städte lohnen könnte, ihre Altenheime oder ihre Studentenwohnheime zu überprüfen. Denn dort hat man überall, - nicht nur in Saarlouis - erhebliche Diskrepanzen zwischen Melderegister und Zensus zu Tage gefördert. An der grundsätzlich misslichen Lage der Gemeinden ändert das aber nichts. In 62 Prozent aller bundesdeutschen Orte, die mehr als 10.000 Einwohner haben, liegt die Fehlerquote höher als ein halbes Prozent. Klingt wenig - ist aber viel, denn für den kommunalen Finanzausgleich zählt jeder Kopf. Grundsätzlich gilt: Je mehr Köpfe, desto mehr Geld. Noch einmal Oberbürgermeister Henz.

    "Man hat das hochgerechnet und kommt auf etwa 245.000 Euro, die wir weniger erhalten als in der Vergangenheit."

    Erst Anfang der Woche hat sich der Deutsche Städtetag mit der Problematik befasst. Allerdings anders als von manchem seiner Mitglieder erwartet, wird der Verband nicht das Heft in die Hand nehmen und gegen den Zensus juristisch zu Felde ziehen. Stattdessen hat der Städtetag den Ball in die Regionen zurückgespielt.

    "Wir werden niemanden dazu drängen zu klagen, wir werden aber auch niemanden davon abhalten, das ist die ureigenste Entscheidung unserer Städte und Gemeinden."

    Barbara Beckmann-Roh, die Geschäftsführerin des saarländischen Städte- und Gemeindetages, hatte den Kommunen im Sommer geraten, vorsorglich Widerspruch gegen die Zensusbescheide einzulegen, um ihre Chancen auf ein Klageverfahren zu wahren. Aus Kostengründen wird jetzt jedoch ein Musterverfahren angestrebt, das ein oder zwei Gemeinden stellvertretend für die übrigen führen. Nur die Frage, wer das bezahlt, ist noch offen.

    "Das wäre ein zweiter Schritt zwischen all den Gemeinden, die jetzt ihren Widerspruch aufrecht erhalten wollen, eine Vereinbarung zu erzielen, dass alle sich an den Kosten für ein oder zwei Musterverfahren beteiligen. Dadurch ließen sich die Kosten minimieren."

    Wie viele Gemeinden mitmachen werden, ist noch nicht klar, denn alle rechnen jetzt mit spitzem Bleistift. Mehr Einwohner heißt zwar mehr Geld - aber eben auch mehr Pflichten. Mehr Einwohner bedeutet zum Beispiel eine höhere Umlage an den Kreis. Weniger Einwohner schaffen Entlastung an dieser Stelle. Das muss gegeneinander aufgewogen werden. Sieben Gemeinden in Sachsen–Anhalt haben ihre Rechenspiele bereits abgeschlossen und klagen. Das bedeute aber nicht, dass sich die Kommunen in den übrigen Bundesländern nun zurücklehnen und abwarten können, was dabei rauskommt. In den Ländern gibt es nämlich unterschiedliche Verwaltungsrechtsvorschriften, die unterschiedliche Fristen zur Folge haben, innerhalb derer Einsprüche gegen den Zensus geltend gemacht werden können. Barbara Beckmann-Roh.

    "Es wird schon so sein, dass aus jedem Bundesland einzelne Gemeinden klagen."

    Saarlouis sucht bereits nach Mistreitern.

    "Ich glaube, dass viele Kommunen sich mit mir zusammen einen Weg überlegen werden."