Mittwoch, 17. April 2024

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"Alles ist gut" von Eva Trobisch
Ein komplexer Filmbeitrag zur MeToo-Debatte

Der Film "Alles ist gut" verhandele auf kluge Weisen die Themen Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen, sagte Filmkritikerin Kajta Nicodemus auf Dlf. Zwar sei er schon vor der MeToo-Debatte entstanden, liefere aber einen komplexen Beitrag zu der Diskussion um sexuelle Übergriffe.

Katja Nicodemus im Gespräch mit Anja Reinhardt | 27.09.2018
    Szene aus "Alles ist gut"
    Hans Löw spielt Martin, den ehemaligen Mitschüler von Janne, der klar ihre Grenzen überschreitet (NFP/dpa)
    Anja Reinhardt: In den hitzigen Debatten, die in den letzten Monaten auch unser Tagesgeschäft geprägt haben, kommt ja immer wieder die Frage auf, wie viel Komplexität und Widersprüchlichkeit man zulassen muss, um einem Thema gerecht zu werden. Das betrifft auch die Diskussion um MeToo. Seit heute gibt es einen filmischen Beitrag dazu:
    "Wollen wir vielleicht jetzt mal reden?
    "Worüber willst Du denn reden?"
    "Das musst Du schon sagen, was Du so brauchst oder was ich tun kann"
    "Kannst mir ja mal ne Tafel Schokolade vorbei bringen."
    Das hört sich an wie eine alltägliche Büroszene: Janne und Martin stehen an einem Kopierer. Nur, dass es hier nicht um Jobgeplänkel geht, sondern um die Nacht danach - aber nach was eigentlich? Das möchte die Hauptfigur des Films "Alles ist gut" nämlich eigentlich nicht so genau definieren. Das Wort Vergewaltigung benutzt sie jedenfalls nicht.
    Thema von Begriffen aufgeladen
    Regisseurin Eva Trobisch saß mit ihrem gedrehten Material zu "Alles ist gut" zwar schon im Schneideraum, als die MeToo-Debatte losging, aber - und das möchte ich jetzt unsere Filmkritikerin Katja Nicodemus fragen - der Film kommt einem trotzdem vor wie ein Kommentar zur Debatte, oder?
    Katja Nicodemus: Ja, wobei ja Kunstwerke tatsächlich manchmal was formulieren, was ihre Macher nur unbewusst in sich tragen oder spüren oder vorausahnen. Es geht in "Alles ist gut" um einen sexuellen Übergriff. Insofern passt er zu der Debatte, die dann danach richtig losgebrochen ist. Und die Hauptfigur des Filmes, Janne, die will sich zunächst mal darüber klar werden, was dieser Übergriff für sie überhaupt bedeutet. Will sie Vergewaltigung nennen? Das Wort fällt, Sie haben es ja schon gesagt, überhaupt nicht. Sind es anderthalb Minuten schlechter Sex? Fühlt sie sich traumatisiert oder gar nicht? Ist ihr Zustand irgendwas dazwischen? Und so wechselt ihr Umgang auch mit diesem Übergriff je nach Station. Und da merkt sie dann auch, wie aufgeladen das Thema ist, durch die Begriffe, durch die Debatten. Und alles, womit es verbal verhandelt wird, ist schon sehr vorgestanzt und beschwert und hat eigentlich keinen Platz für die individuelle Erfahrung.
    Eine klare Grenzüberschreitung
    Reinhardt: Diese anderthalb Minuten schlechter Sex nehmen eine kleine, kleine Szene in dem Film ein. Vielleicht müssen wir noch mal erzählen, welche Geschichte hier erzählt wird in "Alles ist gut".
    Nicodemus: Das Kluge an diesem Film ist, dass man sagen kann, dass er auf verschiedene Weisen Grenzen verhandelt, also Grenzziehungen, Grenzüberschreitungen. Der Film beginnt zum Beispiel damit, dass Janne, die Hauptfigur, und ihr Lebensgefährte Piet, dass die einen kleinen Verlag abwickeln, der Pleite gegangen ist. Und die erste Frage ist: Ist diese wirtschaftliche Grenze auch eine inhaltliche? Muss man aufhören, oder versucht man weiterzumachen? Also bedeutet die Insolvenz auch die Grenze eines Traums. Dann kommt es zur nächsten Grenzüberschreitung oder Frage nach Grenzziehung: Auf einem Klassentreffen lernen sich Janne und Martin näher kennen, sie sind frühere Mitschüler. Man hat Spaß, man tanzt, man trinkt viel. Und als er dann im Suff seine Übernachtungsmöglichkeit nicht findet, bietet sie ihm an, bei ihr auf dem Sofa zu schlafen. Und dann flirtet er mit ihr, bedrängt sie. Sie wehrt ihn ab, freundlich, aber bestimmt. Und dann schläft er gegen ihren Willen mit ihr. Und das ist natürlich eine ganz klare Grenzüberschreitung. Sie hätte sich auch noch wehren können, sie ist dann aber auch letztlich fassungslos, dass es soweit kommt. Und am nächsten Morgen macht dann Janne erst einmal weiter: Sie geht zum Vorstellungsgespräch beim Verlag als Lektorin, neuer Job. Und sie verschweigt ihrem Freund und ihrer Umgebung, was ihr widerfahren ist. Man hat das Gefühl, sie will erst einmal herausfinden, ob sie einen veränderten Blick auf die Welt hat. Und wenn ja, will sie den begreifen, aber das kluge Drehbuch lässt ihr keine Zeit und keine Ruhe zum Innehalten, weil vielleicht überschätzt sie auch ihre eigene Kapazität zur Verdrängung.
    Der Film relativiert nichts
    Reinhardt: Also, das hört sich natürlich schon so an, als ob ganz klar die Perspektive von Janne hier beleuchtet wird. Aber die anderen Figuren und eben auch die Figur von Martin, der - sagen wir ruhig - Vergewaltiger, die wird nicht ausgespart, oder?
    Nicodemus: Die wird überhaupt nicht ausgespart und teilweise hat es sogar den Anschein, ich sage jetzt wirklich bewusst den Anschein, weil diese Figuren alle ein Geheimnis haben, als mache ihm der Vorfall mehr zu schaffen als ihr. Weil er es eben nicht schafft, diese Tat in sein so schön selbstoptimiertes, offenes, tolles, modernes, anti-machistisches Selbstbild zu integiereren und Hans Löw spielt diesen Martin wirklich fantastisch subtil, zurückhaltend, versunsichert und auch hier relativiert der Film nichts, er rechtfertigt nichts und er entschuldigt nichts. Er zeigt aber, dass der Täter hier mehr an der Auseinandersetzung oder Aufarbeitung interessiert ist als das Opfer, das erst einmal kein Opfer sein will und erst einmal herausfinden will, was es überhaupt ist und dadurch kommt es natürlich auch in Zugzwang, weil er es ständig auch ein bisschen unter Druck setzt: wir müssen reden.
    Reinhardt: Ist das jetzt ein komplexer Beitrag zu einer komplexen Debatte?
    Nicodemus: Ich würde mal eher sagen, es ist ein sehr komplexer Beitrag für eine unterkomplexe Debatte, weil man eben merkt, dass die Begriffe letztlich zu ungenau, zu schwer, zu aufgeladen sind für die individuelle Erfahrung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.