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"Alles, was im Nachtragshaushalt drinsteht, sind praktisch Erblasten"

Rot-Grün ist am Haushaltsstopp durch das NRW-Verfassungsgerichts nicht schuld, meint Reiner Priggen, gibt aber zu: "Das ist für uns handwerklich jetzt ein Problem".

19.01.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Entscheidung des NRW-Verfassungsgerichts in Münster, sie kam aus heiterem Himmel und sie könnte weitreichende Folgen haben, bis hin zu Neuwahlen, denn das Gericht hat entschieden: Der von Rot-Grün verabschiedete Nachtragshaushalt mit über acht Milliarden neuen Schulden darf vorerst nicht umgesetzt werden. Dies sei noch kein Hinweis auf die Entscheidung in der Hauptsache, die in spätestens drei Monaten erwartet wird. Es soll lediglich verhindert werden, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, betonten die Richter. Dennoch könnte NRW wie gesagt vor Neuwahlen stehen. – Am Telefon jetzt dazu Reiner Priggen, er ist der Fraktionsvorsitzende der Bündnis-Grünen im Landtag von NRW. Guten Morgen!

    Reiner Priggen: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Priggen, die Grünen waren zuletzt immer um finanzpolitische Solidität bemüht. Jetzt haben Sie es schwarz auf weiß, was davon zu halten ist: nichts nämlich.

    Priggen: Nein, das würde ich ehrlich gesagt überhaupt nicht so sehen. Das Verfassungsgericht hat eine einstweilige Anordnung erlassen, nach der wir noch voll handlungsfähig sind. Wir dürfen nur keine weiteren Kredite aufnehmen - das hatten wir aber im Moment auch nicht vor -, bis das Verfahren abgeschlossen ist, und das soll in Kürze abgeschlossen sein. Das ist auch gut so. Insofern sind wir erst mal voll handlungsfähig und ich bin auch sehr, sehr gespannt auf das Ergebnis der Verhandlung letztendlich.

    Heckmann: Aber ist der Beschluss des Gerichts nicht eine Ohrfeige für Ihre Politik in Nordrhein-Westfalen?

    Priggen: Nein. Der Beschluss ist nicht schön, aber man muss immer sehen: Es ist nicht für unsere Politik. Wir haben einen Nachtragshaushalt zum Haushalt 2010 gemacht. Das war der letzte Haushalt der CDU/FDP-Regierung. Die hatten eine Neuverschuldung von 6,6 Milliarden vorgesehen, auch über der Verfassungsgrenze, und dann aber nicht alle Risiken eingestellt, weil sie sich über die Landtagswahl retten wollten. Und das, was wir jetzt gemacht haben, ist null rot-grüne Politikgestaltung. Wir haben eine höhere Risikovorsorge zum Beispiel für die Westdeutsche Landesbank, aber ausschließlich dafür. Damit können wir nichts anders machen, wollen wir auch gar nicht. Das wird kritisiert, das werden wir auch ganz gespannt mit dem Verfassungsgericht austragen, aber es ist nicht rot-grüne Politikgestaltung. Alles, was im Nachtragshaushalt drinsteht, sind praktisch Erblasten, Lasten, die wir ausgleichen mussten, und deswegen: Der Haushalt 2011, da wollten wir gestalten, aber in diesem alten Nachtragshaushalt ist das drin, was FDP und CDU versäumt haben.

    Heckmann: Gut, das Spiel kann man jedes Mal beobachten, wenn es einen Regierungswechsel gibt, dass auf Altlasten der früheren Regierung verwiesen wird. Herr Priggen, Sie sagten gerade, der Beschluss des Gerichts ist nicht schön, aber insgeheim, wie stark freuen Sie sich denn über diese Klatsche aus Münster, denn möglicherweise könnte das ja Bewegung geben im politischen System in Nordrhein-Westfalen?

    Priggen: Nein, wir freuen uns überhaupt nicht. Die gesamte Haushaltssituation für Kommunen und fürs Land ist außerordentlich schwierig, weil der Bund immer wieder ablädt auf dem Land und den Kommunen, und das ist überhaupt kein Anlass zum Freuen. Das ist für uns handwerklich jetzt ein Problem, das will ich zugeben. Es macht ja nichts, solche Sachen wegzureden. Die Fragen müssen grundsätzlich gelöst werden. Das andere, ob es Neuwahlen gibt oder nicht, ist davon zu trennen, und da sehe ich ja, dass CDU und FDP das überhaupt nicht wollen, und sie brauchen 91 Stimmen im Landtag, die haben wir nicht, insofern ist das für mich davon getrennt.

    Heckmann: Dabei wäre das doch eine perfekte Vorlage, der Spruch jetzt aus Münster. Worauf wollen Sie noch warten, auf eine bessere Vorlage?

    Priggen: Wir haben keine Mehrheit, um Neuwahlen herzustellen. Einfach nur mal, um die Fakten auf den Tisch zu legen: Wir haben 90 Stimmen, aber sie brauchen in Nordrhein-Westfalen 91 Stimmen, also die absolute Mehrheit der Abgeordneten im Landtag, und da alle anderen drei Fraktionen dagegen sind, steht die Frage nicht im Raum.

    Heckmann: Glauben Sie denn wirklich, dass CDU und FDP einer Auflösung des Landtages entgegenstehen werden, wenn es denn wirklich hart auf hart kommt und Sie diesen Antrag stellen?

    Priggen: Gestern haben beide, auch Herr Röttgen noch mal gesagt, dass sie keine Neuwahlen wollen, und da muss ich sie ja zumindest ein stück weit ernst nehmen. Und es ist doch auch so: Wenn das Verfassungsgericht bestimmte Punkte an einem Haushalt kritisiert, ändere ich ja die Punkte auch nicht mit Neuwahlen. Das heißt, wir müssen uns darum bemühen, dass diese Fragen geklärt werden. Natürlich hätte ich lieber klare Mehrheiten, das ist ja selbstverständlich, wer will das nicht, wenn er in einer Regierung ist. Aber trotzdem müssen wir diese Fragen sauber abarbeiten.

    Heckmann: Wir sprechen mit Reiner Priggen, dem Fraktionsvorsitzenden der Bündnis-Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen. – Herr Priggen, CDU und FDP fordern von Ihnen, einen jetzt verfassungskonformen Nachtragshaushalt vorzulegen. Haben Sie eigentlich die Absicht, das zu tun?

    Priggen: Also wir sind doch bei einer einstweiligen Anordnung jetzt noch in dem Verfahren selber, und das wird man doch jetzt sauber abarbeiten und mit dem Verfassungsgericht ausdiskutieren, und dann wird es eine Entscheidung geben. Dann wird man genau das umsetzen, weil natürlich, wenn das Verfassungsgericht Vorgaben macht, müssen die eingehalten werden. Jetzt einen neuen Haushalt, einen neuen Nachtragshaushalt vorzulegen, können wir nicht, wollen wir auch nicht, sondern wir sind eigentlich der Auffassung, dass das, was wir gemacht haben, korrekt ist.

    Heckmann: Aber bis zur endgültigen Entscheidung in Münster sind Sie von der rot-grünen Minderheitsregierung in Düsseldorf politisch weitgehend gelähmt?

    Priggen: Nein, überhaupt nicht. Überhaupt nicht, weil das Verfassungsgericht ja auch dem Antrag nur teilweise stattgegeben hat und uns überhaupt nicht behindert, die Haushaltsabwicklung zu machen. Wir sollen ihn nicht abschließen, keine neuen Kredite aufnehmen, das hatten wir aber auch nicht vor. Insofern sind wir im Handeln nicht gelähmt und das Verfassungsgericht ist dem Antrag von CDU und FDP ja in solchen Punkten auch nicht gefolgt.

    Heckmann: Was heißt das praktisch für Ihre Projekte, die Sie sich vorgenommen hatten, beispielsweise Abschaffung der Studiengebühren?

    Priggen: Das ist alles nicht Gegenstand des Nachtragshaushalts, sondern das ist Diskussion im Haushalt 2011.

    Heckmann: ... , der aber auch mit einem hohen Schulden daherkommt?

    Priggen: Natürlich, aber wo haben sie keine hohe Verschuldung. Die CDU hatte selber einen Haushalt, der mit 6,6 Milliarden Verschuldung vorgesehen war. Also sie haben überall in den Kommunen, im Land und auch beim Bund eine außerordentlich schwierige Situation. Und das jetzt nur bei uns abzuladen, ist nicht korrekt.

    Heckmann: Die CDU, Herr Priggen, hat am Wochenende durchblicken lassen, dass sie sich die Bildung einer Großen Koalition vorstellen kann. Wie sehr können Sie sich auf Hannelore Kraft verlassen?

    Priggen: Wir haben keinen Anlass, in Frage zu stellen, dass SPD und Grüne hier vernünftig miteinander arbeiten. Die CDU wollte gerne eine Große Koalition, die FDP hat auf einmal eine Ampel angeboten. Ich finde, das ist auch eher Ausdruck von Hilflosigkeit bei der Opposition.

    Heckmann: Der Fraktionschef der Bündnis-Grünen im Landtag von Düsseldorf war das, Reiner Priggen. Besten Dank für das Interview, Herr Priggen!