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Allgemeine Geschäftsbedingungen

Dass die Verhältnisse nicht so sind, erkannte nicht erst der Geschäftsmann Peachum in der Dreigroschenoper. "Über die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse", nannte Brecht das erste Dreigroschen-Finale. Von der Unsicherheit menschlicher Verhältnisse kann auch Martin Z. Schröder ein Lied singen. In seinem ersten Roman spürt er den Verhältnissen im heutigen Deutschland hinterher, macht sich auf, zu einem literarischen Marsch durch die Institutionen, der Scheußliches und Spaßiges zutage fördert.

Shirin Sojitrawalla | 23.11.2002
    Allgemeine Geschäftsbedingungen lautet der bürokratische Titel des Buches. Damit sind vor allem die Bedingungen gemeint, nach denen unser Gemeinwesen funktionieren soll. Martin Z. Schröder erzählt uns von einem, der gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen verstößt und dabei in die Mühlen der Bürokratie gerät. Savio heißt sein Antiheld, ein kleiner Ganove, für den das Stehlen längst so langweilig und selbstverständlich geworden ist wie für andere das Einkaufen. Zu Beginn des Romans ist Savio 19 Jahre alt und bestreitet seinen Alltag mit Hehlen, Haschen und Herumhängen. Eines Nachts schlägt er einen jungen Mann zusammen, bloß weil ihm die Zigaretten ausgegangen sind und ihm das nötige Kleingeld für eine neue Schachtel fehlt. Savio wird festgenommen und landet in Untersuchungshaft. Da der zusammengeschlagene junge Mann der Polizei etwas von einer Pistole vorgelogen hat, zieht sich das Verfahren in die Länge. Das hört sich alles nach einer prima Geschichte für einen ambitionierten Jugendroman an, und ein bisschen krankt der Roman vielleicht auch an seinem didaktischen Impetus.

    Doch Martin Z. Schröder umschifft das bloß Engagierte, indem er nicht nur Savios Sicht auf die Verhältnisse wiedergibt, sondern ganz im Gegenteil alle Beteiligten zu Wort kommen lässt. Den gelangweilten Gefängniswärter ebenso wie den überlasteten Sozialarbeiter, den spitzfindigen Richter wie den übereifrigen Schöffen. So gleicht der Roman einem Gruppenbild, wobei jede der handelnden Personen mindestens einmal in Nahaufnahme gerät. Dabei wird schnell deutlich, dass sie alle nicht aus ihrer Haut können, weil die Verhältnisse nun einmal sind, wie sie sind. So entwickelt sich auch keine der Figuren, sondern alle bleiben, wie sie möglicherweise noch nicht immer waren, was der Wirklichkeit erfrischend und enttäuschend nahe kommt.

    Im Vorwort zu seinem Roman schreibt Martin Z. Schröder, dass Wut ihn veranlasste, diesen Roman zu schreiben. "Ein gutes Motiv", soll sein Verleger gesagt haben. Weiter schreibt Martin Z. Schröder, dass seine Wut während der Arbeit an dem Roman verflogen sei und in ihm Verständnis noch für die befremdlichsten Charaktere wuchs. Dasselbe passiert auch dem Leser. Zuerst hat er vornehmlich Mitleid mit dem nicht unsympathisch gezeichneten Kleinkriminellen, der ein paar Faustschläge wegen in der Jugendhaftanstalt landet, doch mit der Zeit verteilt sich das Mitleid auf alle Personen. Das liegt in erster Linie daran, dass sie alle so normal daher kommen, erschreckend normal, um es genauer zu sagen. Dabei erweist sich Martin Z. Schröder als ein genauer Kenner und aufmerksamer Beobachter der Szene. Der Klappentext verrät, dass er nicht nur Verlagshersteller und Kurzeitarrestant war, sondern auch als Sozialarbeiter in Gefängnissen und Jugendschöffe gearbeitet hat. Wohl auch deswegen wirken seine Schilderungen nie aufgesetzt oder angelesen, sondern lebendig und lebensecht. Dabei gelingt ihm eine launige Milieustudie. Seine Charakterisierungen wirken auch darum so präzise und lebensprall, weil er seine Figuren in ihrer ganz eigenen Sprache sprechen lässt. Soziolekt, Fachsprache und Behördenjargon unterscheiden die einzelnen Figuren, grenzen die verschiedenen Schichten, Berufe und Altersgruppen voneinander ab. Das Kauderwelsch der Sozialpädagogen ist, wenn auch schon etwas zu oft gehört, nicht frei von Komik, wie auch die anderen Sprachmanierismen durchaus kabaretttauglich sind. Doch Martin Z. Schröder macht sich damit nur vordergründig über seine Figuren lustig. Vielmehr versucht er, ihre längst in die Sprache eingegangenen Verhaltensmsuster und Erstarrungen offen zu legen.

    Das klingt jetzt viel ernster als der charmant erzählte Roman sich liest. Martin Z. Schröder erzählt mit lässiger Schnoddrigkeit, manchmal keck formuliert, manchmal bemüht witzig, eine Geschichte aus dem Alltag des deutschen Sozialstaats. Doch auch wenn Martin Z. Schröder aus dem Nähkästchen plaudert, erfährt der Leser nichts, was er nicht ohnehin schon wusste oder zumindest ahnte. Und trotzdem: die hundertste Sozialreportage zum Thema hätte man überblättert, diesen Roman liest man recht gern.