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Alltag einer Erzieherin

Erziehung wird in immer weniger Familien als Aufgabe der Eltern verstanden. Das bekommen auch die Erzieherinnen in den Kindergärten zu spüren. Verschärft wird die Situation noch durch sprachliche Schwierigkeiten, die die Erzieherinnen jeden Tag bewältigen müssen.

Von Armin Himmelrath | 16.12.2005
    Mittwoch morgen, kruz vor acht in der Igel-Gruppe. Nach und nach trudeln die Kinder ein, die von Gruppenleiterin Catrin Reinhardt und ihren Kolleginnen begrüßt werden. Die Erzieherin hat festgestellt, dass ihr Beruf in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden ist.

    "Seitdem die PISA-Studie raus ist, auf jeden Fall, da die Ansprüche gestiegen sind, auch von Seiten der Schule, was gefordert wird, was die Kinder schon können sollten. Für uns: Wir müssen für jedes Kind ne Bildungsdokumentation anfertigen, das ist natürlich auch sehr arbeitsintensiv, wo man mit jedem Kind einzeln arbeiten muss, um den genauen Entwicklungsstand rauszubekommen. Die Ansprüche sind auf jeden Fall gestiegen."

    Das fängt schon bei ganz grundsätzlichen Fähigkeiten an. Erziehung, sagt Catrin Reinhardt, werde in immer weniger Familien als Aufgabe der Eltern verstanden.

    "Also, die Eltern sind froh, wenn die Kids im Kindergarten sind, und der Rest wird uns überlassen. Also, viele Kinder können weder mit Messer und Gabel essen noch die Toilette benutzen selbständig, wenn die in den Kindergarten kommen. Also, eigentlich wird der größte Teil der Arbeit an uns abgegeben."

    Hinzu kommt, dass das frühere Mindestalter für den Kindergartenbesuch von drei Jahren mittlerweile weggefallen ist. Und die kleineren Kinder, die jetzt ebenfalls die Igelgruppe besuchen, bringen neue Aufgaben mit – vom Windelwechseln bis zum Füttern, ganz abgesehen von den völlig anderen pädagogischen Herausforderungen.

    "Hallo Luis, was machst du gerade?
    Ich mach dieses Puzzle.
    Was ist das für ein Tier?
    Ein Hund.
    Ein Hund? Bist ja schon fertig.
    Jaaaaa."

    Verschärft wird die Situation noch durch sprachliche Schwierigkeiten, die die Erzieherinnen jeden Tag bewältigen müssen.

    "Ist die nächste Schwierigkeit. Also, nicht nur die Kinder von Ausländern, sondern auch die deutschen Kinder haben inzwischen große Sprachprobleme. Also, da wird auch kein großer Wert mehr drauf gelegt. Die lispeln, die stottern, und manchmal hab ich den Eindruck, das fällt den Eltern gar nicht auf. Das läuft so nebenher, und wenn wir dann drauf hinweisen: Ach so! Och! Könnt ich mal zum Arzt gehen, Kinderarzt."

    Von all diesen Herausforderungen, hat Catrin Reinhardt festgestellt, machen sich die wenigsten Jugendlichen eine Vorstellung, wenn sie sich für den Erzieherberuf interessieren.

    "Die denken, der Erzieherberuf besteht daraus, ein bisschen mit den Kindern zu spielen, viel Kaffee zu trinken und rumzusitzen. Ich hab vor zwei Woche ne Delegation der Hauptschule dagehabt, und die Schüler haben sich dann hierhin gesetzt, und fanden das alles total witzig, bis ich dann mal gesagt hab, was inzwischen die Erzieherausbildung verlangt, und dann waren einige etwas sprachlos und sind auch sehr ruhig geworden. Also, die hatten sich, glaube ich, was ganz Anderes darunter vorgestellt.
    Die waren schockiert?
    Ja, schockiert auch. Ich denk mal, dass einige gesagt haben: Nee, mach ich doch nicht. Ist mir zu lange auf der Schule sitzen und lernen. Ohne Geld."

    Ernüchternd waren die Erfahrungen im Kindergarten auch für Isabella. Die 17jährige absolviert in der Igel-Gruppe gerade den praktischen Teil ihrer Ausbildung zur Kinderpflegerin. Eigentlich wollte sie daran eine Erzieherausbildung anhängen – aber mittlerweile hat sie ihre Vorstellungen korrigiert.

    "Ich hab's mir wirklich leichter vorgestellt. Also, so wie die Frau Reinhardt schon gesagt hat: Die kommen hierhin, denken, ach, ein bisschen spielen und so, und dann reicht das schon. Aber da muss man doch viel planen alles. Ist anstrengend."

    Catrin Reinhard plädiert deshalb entschieden dafür, die Erzieherausbildung an die Fachhochschulen zu verlagern und damit ein praxisnahes Studium zur Voraussetzung für die Arbeit im Kindergarten zu machen.

    "Ist sicherlich sinnvoll, weil ich sag mal: Wir werden auf die Menschheit losgelassen. Und gerade bei den ganz Kleinen – was man da falsch macht, das ist sehr, sehr schwer wieder auszubügeln, und wir haben ne sehr große Verantwortung in dem Beruf."