Freitag, 19. April 2024

Archiv


Alltag im Trabi-Werk

Der Trabant gilt als ein Symbol der Misswirtschaft in der DDR. Im vergangenen Jahr war es 50 Jahre her, dass das erste dieser Plasteautos im VEB Sachsenring Zwickau vom Band lief. Aber mit der internationalen Entwicklung im Automobilbau konnte dieser ostdeutsche Volkswagen nicht Schritt halten.

Von Barbara Leitner | 08.05.2008
    Immer zahlreicher erscheint er im Straßenbild. Der Trabant aus dem VEB Sachsenring in Zwickau ...

    "- Vorrangig würde ich sagen, war der Zusammenhalt /und wenn einer eine Hilfe gebraucht hat, dann hat er sie bekommen und zwar von seinen Kollegen.

    - Wenn ich daran denke, als wir den P 70 in Serie überführt haben. /Am Monatsende fehlten noch einige und da haben sich die Kollegen bereit erklärt, über Silvester hinaus Fahrzeuge zu bauen und fertig zu stellen, damit wir den Plan erfüllen.

    - Wenn du hier in der DDR gearbeitet hast, musstest du von der Schraube bis was weiß ich - alles wissen. Das war nicht so schlecht, würde ich meinen ... Es gibt heute Experten auf allen Gebieten. Das durchgängige Wissen ist heute nicht mehr so gefragt.

    - Ich war über 30 Jahre in der DDR in leitender Funktion und ich habe gelernt, dass im Zweifelsfalle immer zu Gunsten des Werktätigen zu entscheiden ist, zu Gunsten des sozial Schwächeren. Und wenn sie das in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen tun, dann haben sie es in einem Jahr kaputt."

    Susanna König, Winfried Sonntag, Kurt Schmidt und Roland Schulze - einst Beschäftigte im VEB Sachsenring Zwickau, dem Werk, in dem der Trabant hergestellt wurde. Ihr Betrieb wurde nach der Wende teilweise als überholt abgewickelt, teilweise in eigenständigen Unternehmen privatisiert. Was erfahren wird dadurch über Wandel und Kontinuität in der industriellen Arbeitswelt, fragte ein Forschungsprojekt an der Technischen Universität Dresden, in das die Erfahrungen aus dem einstigen Trabantwerker einflossen.
    "Gerade der Bereich Organisationskultur ist ein Bereich, der in der Volkskunde /Ethnologie wenig erforscht ist. Sowohl im Realsozialismus als auch in der kapitalistisch organisierten Länder."

    Sönke Friedreich ist Ethnologe am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde. in Dresden. Seit den 1960er- und 1970er-Jahren beschäftigte sich die Volkskunde in Westdeutschland mit den Lebenszusammenhängen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen jenseits von alten Klassenmodellen, fragt nach Arbeitskulturen, statt nach Arbeiterkulturen.
    "Der Blick in die Gegenwart zeigt, dass Gruppen- und Bildungsprozesse auch ganz stark in Organisationen stattfinden Jeder kennt das, der in einem Unternehmen arbeitet. Es gibt einerseits eine offizielle Unternehmenskultur. Die Art und Weise, wie sich ein Unternehmen nach außen präsentiert und gleichzeitig gibt es auf Grund des Zusammenwirkens der Menschen, die ja einen großen Teil ihrer Lebenszeit in solchen Organisationen verbringen, auch Gruppenbildungsprozesse und eigenständige Kulturen, die in solchen Organisationen existieren."

    Wie gestalteten sich diese kulturprägenden Wirkungen in einem sozialistischen Betrieb untersuchte der Wissenschaftler im einstigen VEB Sachsenring Zwickau. Dabei musste er sich zum einen damit auseinander setzen, dass der sozialistische Betrieb nicht mehr existiert. Zum anderen, dass das Urteil über ihn bereits gesprochen scheint.

    Funktionsunfähig und unproduktiv wird er beschrieben, als Ort von Planwirtschaft und Rotlichtbestrahlung. Die politische Geschichtswissenschaft hat mit der DDR bereits abgerechnet.

    "Die ganze Debatte geht darum, seit 1990 bis heute, dass das offizielle DDR Geschichtsbild nicht mit den Geschichtserfahrungen der Masse der DDR-Bürger übereinstimmt. "

    Gerd Dietrich ist Professor für Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin und lehrt und forscht über DDR- und Zeitgeschichte.

    "Die Masse wendet sich ab von dem, was ihnen gesagt wird, was die DDR gewesen ist, weil sie andere Erfahrungen gemacht haben. Und irgendwo muss doch die Diskrepanz, die in den letzten 15 Jahren existiert, überwunden werden./ Und da ist der ethnologische Blick, der alltagskulturelle Blick genau der, der anknüpft an den Erlebnissen und Erfahrungen der Menschen in ihrer Zeit. "

    "Was mich dabei interessiert ist die Frage, wenn der sozialistische Betrieb anders strukturiert, anders organisiert war, anders gesteuert war als so genannte kapitalistische Betriebe, welche Auswirkungen hat das dann auf kulturelle Prozesse in solchen Organisationen und welche Auswirkungen hat das auf Arbeitserfahrungen und Lebenswelt von Beschäftigten."

    Aus der ethnologischen Alltagsforschung ist bekannt: In die Erinnerung fließt stets die Wertung der Gegenwart ein. Keiner will mit seinem gelebten Leben schlecht dastehen und sich durch die Rückschau seiner Zukunftsperspektive berauben.

    "Tatsächlich kommt im Falle des VEB Sachsenring noch hinzu, dass wir es hier nicht nur mit einer delegitimierten Betriebsform zu tun haben, sondern mit einem lächerlich gemachten Produkt und das führt in der Tat zu Erzählstrategien, die entschuldigenden oder legitimierenden Charakter haben."

    Die ehemaligen Beschäftigten wehren sich dagegen, dass man ihnen die Mängel der Planwirtschaft in die Schuhe schiebt und ihnen eine zweifelhafte Arbeitsmoral unterstellt wird.

    "Es lohnt sich aber trotzdem dort genau hinzuhören, weil sich dort in den Nuancen abzeichnet, das was im sozialistischen Betrieb gewesen ist, das was dort abgelaufen ist, ist nicht unbedingt fundamental anders als das im kapitalistischen Betrieb sein muss. "

    "- Ich hatte nie die Chance einen zu entlassen. Ich hatte so lange auf den Mann einzuwirken, bis er sich dem Kollektiv anschließt, bis er genauso ordentliche Arbeit verrichtet wie die anderen auch.

    - Eine Patenschaft zu übernehmen. Wie geht das in der Familie. Müssen wir die mal zu Hause besuchen, mit den Kindern. Überhaupt die Frau, die heult so oft. Da sollten wir uns drum kümmern. Das gehörte zu den Pflichten eines Leiters."

    Die Aussagen der ehemaligen Beschäftigen des VEB Sachsenring Zwickau verdeutlichen: Die DDR war eine Betriebsgesellschaft

    "Die Tatsache, dass es im sozialistischen Betrieb nicht nur auf die Produktion ankam, auch wenn das das wichtigste war, sondern auf integrierende Aspekte im politischen, sozialen und kulturellem Bereich, die von den sozialistischen Funktionären als wichtig erachtet wurde. "

    Der Kulturwissenschafter Wolfgang Engler erfand für diese Organisationsform den Begriff der "arbeiterlichen Gesellschaft". Im Betrieb gehörten die Beschäftigen - manchmal ein Leben lang - einem Arbeitskollektiv an. Gemeinsam unternahm man Ausflüge und Feiern, traf sich auch in Familie. Die Gewerkschaft sorgte für Urlaubsplätze und die Kinder fuhren ins Betriebsferienlager. Volkskunst- und Sportgruppen des Betriebes organisierten die Freizeit - und in 40 Jahren DDR-Geschichte nutzen fast eine Millionen Frauen und Männer dieses Angebot.

    "Das sind alles Erscheinungen, die finanziert worden sind, getragen worden sind, die auch personell ausgestattet worden sind vom Betrieb, bei dem auch ganz elementare Bedürfnisse der Beschäftigen nach kultureller Entfaltung auch befriedigt werden konnten. Nicht immer im Sinne der Machthaber ... "

    Gerade weil die sozialistische Ideologie den Alltag durchdrang, lernten die DDR-Bürger einzuschätzen, was sie wo wie sagen können, pflegten eine doppeldeutige Sprache und lasen aus Pressemitteilungen zwischen den Zeilen Informationen heraus. Auch die Westmedien - über die man selbstverständlich auch Informationen über das eigene Land bekam - halfen als Korrektiv. Für Gerd Dietrich sind das von der historischen Forschung bisher zu wenig beachtete Zusammenhänge:

    "Welche Rolle spielt das für die Entwicklung der Persönlichkeit, für die Einordnung der Menschen in eine Gesellschaft, wenn man weiß, dass sie ihr distanziert gegenüber stehen, auf der anderen Seite aber ihr Kollektiv im Betrieb haben. Das sind ja so viele Widersprüche, die man da versuchen muss zu erklären."

    Nach Meinung des Historikers ist es zu simpel anzunehmen, Organisationen wie der Pionierorganisation, der FDJ oder der Gewerkschaft sei es gelungen, 17 Millionen Menschen zu indoktrinieren. Auch in der DDR war die Familie und für die Jugendlichen die Peergruppe die primäre Sozialisationsinstanz. Welche Auswirkungen das für die Populärkultur hatte, hinterfragt er in seiner eigenen Forschung.

    "Was passiert in der Gesellschaft wirklich, wenn man nicht nur die Politik untersucht, sondern zum Beispiel auf dem kulturellem Gebiet eine Dreiecksbeziehung aufmacht zwischen Kulturproduzenten, ob das nur Rock oder Popgruppen sind oder der Verlag, dem Publikum und der Kulturpolitik, die Einfluss nimmt. Das heißt nämlich nicht, dass die Kulturpolitik die Sache dominieren konnte, sondern immer bestimmte Aushandlungsverhältnisse einlassen musste und auch auf die Interessen und Forderungen des Publikums."

    Nicht anders im Betrieb. Zwar war ein kooperativ-partnerschaftliches Verhalten gewünscht. Der einzelne aber identifizierte sich eher mit seinem Kollektiv und dem dort gepflegten Ton.
    Bei seiner Forschung über den VEB Sachsenring Zwickau entdeckte Sönke Friedreich, welche seltsamen Widersprüche und Verkehrungen von Machtverhältnissen im Alltag dadurch entstanden.
    Neben Gesprächen mit Zeitzeugen und Besuchen in ihrem einstigen Werk wälzte er Berge von Dokumenten im Staatsarchiv Chemnitz. Dort fand er neben Planunterlagen auch penibel geführte Protokolle von Betriebsversammlungen, Disziplinarmaßnahmen und Beschwerden der Beschäftigten.
    "Dort lässt sich erkennen, dass die Leitung des Betriebes immer sehr unsicher war, wie soll man die Produktionsbereiche behandeln. Auf der einen Seite: Sie sind die Zugpferde des Betriebes gewesen, die müssen produzieren. Es gab ständige Stückzahlerhöhung. Es gab ständige Plansollfestlegungen, die jedes Jahr erhöht wurden. Es wurde auch Druck gemacht. Die Leiter der Produktionsbereiche haben mit altherrschaftlichen Methoden regiert. Und gleichzeitig gab es immer wieder die Beschwichtigungen. Wir müssen auch die Leute auch motivieren. Gleichzeitig hatte es auch immer den politischen Anspruch: Wir können nicht den Arbeiter, als Träger des Sozialismus diskriminieren."

    Der sozialistischen Ideologie entsprechend entwickelte sich im DDR-Betrieb ein ausgeprägtes System von Statushierarchien. Es hofierte die Arbeiter als die herrschende Klasse. Am besten angesehenen und am höchsten bezahlte waren in Zwickau deshalb die in der Karosseriefertigung und der Endmontage Tätigen - jene Beschäftigten, die die schmutzigste, monotonste, gefährlichste und am wenigsten qualifizierte Arbeit taten.

    "Das heißt welcher Bereich wird jetzt beim Besuch vom SED- Politbüromitglied besucht,/ welche Gruppe marschiert beim Umzug beim ersten Mal ganz vorne. Das sind als symbolische Repräsentationen, die politisch gesteuert waren, die aber auch ihren Widerhall fanden in der Belegschaft und das lässt sich auch heute noch so aus den Erzählungen raus lesen. "

    Bereits die Gliederung des Betriebes drückte aus: auf die körperlich schwere Arbeit kam es an. Die planerisch-organisierende und verteilenden Tätigkeiten wurden eher gering geschätzt. "Wasserkopf" wurden die entsprechenden Abteilungen des Betriebes genannt und von Privilegien der Autobauer ausgeschlossen. So versuchte auch die Betriebsleitung das kritische Potenzial der Arbeiter angesichts der harten Arbeitsbedingungen und der Unzufriedenheit mit der politischen Situation im Land einzudämmen. Die sich als Elite begreifenden Bandarbeiter trumpften deshalb nicht nur gegenüber anderen Kollektiven auf. Selbstbewusst und ohne Angst traten sie auch den SED-Funktionären gegenüber.

    "Es wurden dann auch tatsächlich auch konkrete Forderungen gestellt, die ganz alltäglich waren, die bis dahin reichten: Warum gibt es in unserer Betriebskantine immer das gleiche Essen? Warum schmeckt die Wurst nicht? Solche Dinge, die dann auch akribisch von der Stasi aufgezeichnet wurden und wo auch genau die Bruchstelle deutlich wird: Hoffierung des Proletariers auf der einen Seite, dass man ihm entgegenkommen muss und auf der anderen Seite der Druck auf die Produktionsabteilungen, dass sie ihre Leistungen bringen müssen. "

    So sehr der Betrieb als Ort der Zugehörigkeit verhandelt wurde - auf dieser Ebene verlor sich die Harmonie. Dabei registrierten die Zwickauer Automobilbauer frühzeitig, dass sie im internationalen Vergleich abgeschlagen waren.

    "Wir haben ja immer versucht, unsere Erzeugnisse auf den neusten Stand zu bringen. Als wir den Trabant in die Serie überführt haben, gab es ein Programm, wie das Fahrzeug weiter entwickelt wird und es uns gelungen bis zum 601 und dann kam eine Entwicklung, wo man sagen muss, dieses Fahrzeug entspricht nicht mehr dem internationalen Stand. "

    Doch die Pläne und Entwürfe der Ingenieure und der Betriebsleitung wurden vom Tisch gewischt. Es hieß, es gäbe keine Ressourcen.

    "Das ist eine Form, arbeitsmäßiger Marginalisierung, die noch dazu kommt, neben der symbolischen, neben der finanzielle, die tatsächlich in einen großen Kontrast steht zu der Bedeutung von ingenieurtechnischen Personal, wie es heute existiert."

    Auch nach dem Ende der DDR und der Abwicklung des VEB Sachsenring werden in Zwickau weiterhin Autos hergestellt. Unter anderem. errichtete Volkswagen in Zwickau-Mosel ein neues Fertigungswerk, in dem einige der einstigen Beschäftigten noch heute tätig sind. Die neuen Technologien und die andere Produktionsorganisation allerdings änderten für sie wenig. Gerade die in der Montage Tätigen empfinden
    ihre Arbeit nicht anders als zu DDR-Zeiten voller unspektakulärer Routinen. Den große Wandel, der ihnen angekündigt wurde, erlebten sie nicht. :

    "Das sind Aussagen, die darauf hinweisen, dass alle formalen Organisationen Zwänge mit sich bringen, gerade auch für nicht besonders gut Qualifizierte, so dass wir es damit zu tun haben, dass ein Phänomen der modernen Gesellschaft insgesamt beklagt wird und nicht speziell etwas, was mit dem Sozialismus und dem Nichtfunktionieren des sozialistischen Betriebes zusammenhängt."

    Dafür zog eine vollkommen neue Rationalität in die Produktionsorganisation ein. Sie verlangt beispielsweise einen anderen Umgang mit dem Material, als er im DDR-Betrieb üblich war.

    "Wenn ein Teil kaputt gegangen ist oder eine Maschine ist kaputt gegangen, wurde die natürlich repariert, auch wenn sie schon 20 Jahre alt war. Heutzutage würde man die wahrscheinlich auf den Müll werfen und das Problem in einem effizienten Sinne lösen, weil man sich eine neue zulegt. Aber die Frage ist natürlich trotzdem, was passiert mit dem Müllberg. Das heißt die kapitalistische Logik ist eine die sehr eng begrenzt ist, begrenzt auf den Betrieb und seine Effizienz und der sozialistische Betrieb hat in diesem Sinne einen erweiterten Horizont geboten, in dem versucht wurde, diese Ressourcen weiter zu benutzen. "

    Das schloss nicht aus, dass sich viele Beschäftigte gleichzeitig - schließlich handelte es sich um Volkseigentum -in ihrem Betrieb wie in einem Selbstbedienungsladen mit Material versorgten. Dennoch erzwang die Mangelsituation im Sozialismus eine Improvisationsfähigkeit, die heute kaum noch von einem Arbeiter verlangt wird. Sie sehen ihre Möglichkeiten, sich persönlichen zu entfalten eingeschränkt. Ganz im Gegensatz zu den Ingenieuren und den leitenden Angestellten. Viele von ihnen sagen, mit der Wende begann ihre kreativste Zeit.