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Als Aachen und Münster zusammenkamen

Vor 60 Jahren interessierten sich die Menschen im Rheinland, im Ruhrgebiet und in Westfalen herzlich wenig für die politische Neugründung namens Nordrhein-Westfalen. Es war Nachkriegszeit, und man hatte andere Sorgen: die nächste Mahlzeit, das Dach über dem Kopf, die vermissten Angehörigen. Dabei sollte dieses neue Bundesland ein wichtiger Eckpfeiler der späteren Bundesrepublik werden.

Von Monika Köpcke | 23.08.2006
    "Seht auf uns, wir in Nordrhein-Westfalen. Hier leben Rheinländer und Westfalen in einem Bundesland. Das ist furchtbar, aber es geht. Deswegen schießen wir auch nicht aufeinander. Gut, das kann natürlich auch an der Trägheit der Westfalen liegen."

    Jürgen Becker über die lebensfrohen Rheinländer und die starrköpfigen Westfalen - solch ein Gegensatzpaar vereint in einem Bundesland, das bietet natürlich reichlich Stoff für Kabarettisten. Dabei fing alles mit recht dürren Worten an. Am 23. August 1946 konnten die Menschen auf Seite 305 des Amtsblatts der britischen Militärregierung lesen:

    "Das Überseeische Wiederaufbaukomitee hat den Beschluss gefasst, aus der bisherigen preußischen Provinz Westfalen und dem Nordteil der bisherigen preußischen Provinz Rheinland ein gemeinsames Land zu bilden."

    Die Entscheidung über ein neu zu schaffendes Nordrhein-Westfalen war gut zwei Monate zuvor im britischen Regierungssitz in der Downing Street gefällt worden. Die Länder an Rhein und Ruhr gehörten zur britischen Besatzungszone, und die Londoner Labour-Regierung wollte nach dem Zweiten Weltkrieg einen ganz anderen Weg in der Deutschlandpolitik einschlagen, als es nach dem Ersten Weltkrieg geschehen war. So sagte der britische Militärgouverneur in Deutschland, General Robertson, im August 1946 auf einer Pressekonferenz:

    "Wenn früher der Vorwurf erhoben wurde, dass die Industriemacht der Ruhr das Rückgrat der deutschen Kriegsmaschine gewesen sei, so muss darauf in der Zukunft die Antwort lauten, dass jetzt die Ruhr einen wichtigen Bestandteil der europäischen Friedensmaschine darstellt. Wir bieten Ihnen unseren guten Willen und unsere Zusammenarbeit an."

    Auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 waren die Siegermächte sich noch darin einig, Preußen zu zerschlagen und das besiegte Deutschland als ökonomische Einheit zu behandeln. Doch mit dem Beginn des Kalten Krieges zerbrach diese Übereinkunft an den gegensätzlichen Vorstellungen, wie denn mit dem Ruhrgebiet, dem wirtschaftlichen Zentrum des alten Reiches, umzugehen sei. Die Franzosen wollten dem Industrierevier, in zwei Weltkriegen Waffenschmiede und Energiereservoir des Deutschen Reiches, den Status eines schwächeren autonomen Ruhrstaats geben. Die Sowjetunion drängte auf eine Viermächtekontrolle - ähnlich wie sie in Berlin realisiert war. Die USA lehnten beide Vorschläge ab, duldeten aber stillschweigend die Pläne der Briten.

    Die britische Regierung wollte unter allen Umständen einen sowjetischen Einfluss auf diese wichtige Industrieregion verhindern, und sie wollte nicht ein zweites Mal nach Versailles den Fehler machen, Deutschland den ökonomischen Atem für einen Neubeginn zu rauben. Das Ruhrgebiet sollte als Korrektiv zu seiner geballten Industriemacht in das überwiegend agrarische und katholische Hinterland des Rheinlandes und Westfalens eingebunden werden. An kritischen Stimmen zu diesen Plänen fehlte es allerdings nicht. So meinte der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher:

    "Ein Weststaat dieser Größe würde ein neues und weit schwierigeres Bayern innerhalb Deutschlands darstellen. Industrielle und Kapitalisten an der Ruhr könnten künftig einen beherrschenden politischen Einfluss auf dieses große Land ausüben."

    Die Briten ließen solche Einwände nicht gelten. Sie wollten die innere Bindung der Deutschen an die Westmächte stärken, indem sie durch den konsequenten Wiederaufbau des Landes einen Weg aus Armut und Hoffnungslosigkeit wiesen und damit den Deutschen die Demokratie schmackhaft machen konnten. Nicht zuletzt waren sie auch deswegen an einem starken Nordrhein-Westfalen interessiert, um nicht länger selber für dessen Bewohner sorgen zu müssen. Doch die angeordneten Schließungen von Fabriken und Zechen unterminierten gleichzeitig die Vorstellungen von einem lebens-, demokratie- und funktionsfähigen Land.

    "Wenn daher der Demontageplan nicht alles in Frage stellen soll, was wir an Ansätzen von Demokratie, von Vertrauensgrundlage, von bescheidenen Lebenshoffnungen besitzen, dann ist das nur möglich, wenn der Demontageplan durch eine völkerrechtliche, bindende Erklärung der britisch-amerikanischen Regierungen in eine endgültige Liquidation des Krieges umgewandelt, und wenn darüber hinaus sichergestellt wird, dass sich eine ungestörte deutsche Friedenswirtschaft entfalten kann."

    So mahnte der CDU-Politiker Karl Arnold, der nach den Landtagswahlen im April 1947 der erste gewählte nordrhein-westfälische Ministerpräsident wurde. Seine Regierung löste die noch von den Briten ernannte Führungsriege ab, die im Oktober 1946 ihre Arbeit aufgenommen hatte. In einer Broschüre zur Eröffnung des ersten Landtages hieß es:
    "Nordrhein-Westfalen! Ein neuer Begriff, ein neues Land! Auf dem Ruinenfeld, das die zwölfjährige Nazidiktatur als trostloses Erbe hinterließ, erhebt sich nunmehr in den westlichen Bezirken Deutschlands ein Land, das ebenso sehr in den positiven Werten der Vergangenheit wurzelt, als es gegenüber dem westlichen Europa geöffnet ist. Mit diesem geschichtlichen Gründungsakt wird ein Schlussstrich unter ein Kapitel der deutschen Geschichte gezogen, in dessen Verlauf Preußen vorherrschend den Gang der Dinge bestimmte."