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Als der Oscar geboren wurde

In den 1920er-Jahren begann der Siegeszug amerikanischer Filme. Die rasant wachsende Industrie ließ auch neue Gewerkschaften entstehen. Ausgerechnet mit der Gründung der amerikanischen Filmkunst-Akademie versuchten die Hollywood-Filmbosse, gegen die Arbeitnehmervertreter vorzugehen. Denn wer den Filmpreis der Akademie gewinnen wollte, durfte keiner Gewerkschaft angehören. Vor 80 Jahren fand erstmals eine Oscarverleihung statt.

Von Hartmut Goege | 16.05.2009
    "Ladies and Gentlemen, here they are: The nominees for this years Academy Awards."

    Die Ankündigung für die Veranstaltung der begehrtesten Filmtrophäe der Welt. Rund eine Milliarde Menschen schauen sich weltweit die alljährlich immer gleichen Fernsehbilder an: Strahlende Stars und Superstars der Filmbranche, die unter Blitzlichtgewittern über rote Teppiche gleiten, um für die TV-Kameras und das hinter Absperrungen jubelnde Publikum ein Stück Glamour zu verbreiten. Man feiert sich selbst.

    "But tonight is the big one…"

    Die erste Veranstaltung, am 16. Mai 1929, schloss dagegen die Öffentlichkeit aus. Die Presse beachtete das Bankett der amerikanischen Filmkunst-Akademie im Hollywood Roosevelt Hotel kaum. Präsident Douglas Fairbanks, einer der größten Stars der Stummfilmzeit, brachte die Verteilung der Figuren für damals gerade zehn Kategorien - heute sind es rund 30 - in nicht mal fünf Minuten hinter sich. Janet Gaynor, für gleich drei weibliche Hauptrollen ausgezeichnet, bekannte später:

    "Natürlich hat es mich gefreut, aber weil es das erste Mal war, hatte der Academy Award noch keinerlei Tradition. Hätte ich damals gewusst, welche Bedeutung er in den nächsten Jahren gewinnen sollte, wäre ich vermutlich überwältigt gewesen. Aber damals hatte es mich, glaube ich, mehr begeistert, dass ich Doug' Fairbanks begegnete."

    Außerdem waren die Preisträger alle schon vorher bekannt. Emil Jannings etwa, Gewinner des ersten Oscars der Filmgeschichte für eine männliche Hauptrolle, wurde sein Preis Wochen vor dem Bankett in die Hand gedrückt. Jannings wollte nach drei Jahren Hollywood möglichst schnell wieder zurück nach Deutschland. Zehn Jahre später erwähnte er beiläufig in seiner Biografie:

    "Ich habe es dankbar empfunden, dass mir namens der Akademie der Filmkünste die höchste Auszeichnung für außerordentliche Schöpfungen - eine Ehrenurkunde und eine goldene Statuette eines nackten Jünglings - überreicht wurde."

    Um die Taufpaten des jahrelang namenlosen Jünglings ranken sich Legenden. So soll die Archivarin der Akademie, Margaret Herrick, ausgerufen haben: "Der sieht ja aus wie mein Onkel Oscar." Genaues weiß man bis heute nicht. Zunächst war die Figur ohnehin nur Nebensache. Cedric Gibbons, Art Director der Metro-Goldwyn-Mayer-Studios, skizzierte sie 1927 während eines Dinners auf einer Serviette. Zu dem Essen hatte sein Chef, MGM-Direktor Louis B. Mayer, 250 namhafte Filmschaffende eingeladen.

    Mayers Anliegen war das Werben um Mitglieder der neugegründeten Filmakademie, der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Offiziell eine Einrichtung, um Filmkunst und Technik zu fördern. Inoffiziell aber sollte sie den Einfluss der immer stärker werdenden Gewerkschaften aushebeln, um leichter Lohnkürzungen durchsetzen zu können. Wer also einen Preis der neuen Academy gewinnen wollte, musste Mitglied sein und durfte keiner Gewerkschaft angehören.

    Als Mayer in den folgenden Jahren immer unverblümter mit Hilfe der Akademie Gagen und Löhne kürzte, traten aus Protest viele wieder aus. 1933 riefen Schauspieler wie Gary Cooper und James Cagney zum Oscar-Boykott auf und zwangen mit der Gründung der Screen Actors Guild - heute größte Schauspielergewerkschaft - die Academy dazu, sich zukünftig aus Lohnverhandlungen herauszuhalten. Dennoch schaffte es der einflussreiche MGM-Direktor, dass sich die Zeremonie der Oscar-Verleihung langsam ins Bewusstsein der Öffentlichkeit schob.

    Seit 1930 wurde die Veranstaltung live im Radio übertragen und die Filmstudios begriffen allmählich die Werbewirksamkeit des Preises. Die Nominierung eines Films wurde mehr und mehr zu einer PR-Schlacht. Billy Wilder, verstorbene Regieikone und sechsfacher Oscarpreisträger, kannte seit den 1940er-Jahren dieses System.

    "Ein Studio lanciert immer den Film, den sie wollen, dass er also gewinnt. Das ist nicht ein Kampf zwischen Regisseuren und Schriftstellern oder Kameraleuten. Also die Metro hat einen Film, die möchte, dass er gewinnt, der Selznick hat 'Gone with the Wind', der möchte dass das in einem bestimmten Jahr, nicht, und lanciert ihn und so weiter."

    Heute dreht sich auf den vierstündigen Galaabenden alles um den Megastar Oscar. Der dreieinhalb Kilo schwere und nur 34 cm große hauchdünn mit Gold überzogene Kerl aus einer Kupfer-Nickel-Zinn- und Silber-Legierung kommt zwar nur auf gerade mal 300 Dollar Materialwert. Für ihre Besitzer aber ist der glänzende Jüngling mit dem Schwert vor der Brust nicht mit Gold aufzuwiegen. Wer ihn gewinnt, steigt auf in den Filmolymp und nimmt Teil am größten Zig-Millionen-Dollar-Geschäft, das die Filmbranche weltweit zu bieten hat.

    "And the Oscar goes to..."