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Als Kirchengründer verehrt, als Scharlatan verfolgt

Zwölf Millionen Mitglieder hat die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage" weltweit, 38.000 Mitglieder hat die deutsche Gemeinde. Doch trotz des eindeutigen Bekenntnisses zum Christentum im Namen lehnen die großen Glaubensgemeinschaften der Katholischen, der Orthodoxen und der Reformierten Kirchen diese amerikanische Neu-Religion als Sekte, als unchristlich ab. Denn die Mormonen, wie sie gewöhnlich genannt werden, betrachten sich nicht als Abspaltung einer der großen Konfessionen, sondern als Wiederherstellung der Urkirche, deren Gründer Joseph Smith, geboren vor genau 200 Jahren, seine Weisungen direkt von Gott erhielt.

Von Jürgen Stratmann | 23.12.2005
    Im Augenblick höchster Angst sah ich gerade über meinem Haupt eine Säule aus Licht, heller als die Sonne, allmählich herabkommen. Als das Licht auf mir ruhte, sah ich zwei Gestalten von unbeschreiblicher Helle und Herrlichkeit über mir in der Luft stehen. Eine von ihnen sagte, dabei auf die andere deutend: Dies ist mein geliebter Sohn. Ihn höre!

    An einem sonnigen Frühlingstag des Jahres 1820, in einem Wäldchen in der Nähe seines Elternhauses im Staat New York, sind ihm Gottvater und Gottsohn erschienen - schrieb Joseph Smith, der Gründer der Mormonenkirche, geboren am 23.12.1805, in seiner Autobiographie. Beide hätten ihn wissen lassen, alle bestehenden Kirchen und Glaubensgemeinschaften seien ihnen ein Gräuel, ihre Lehren falsch und er, Joe Smith, habe noch große Aufgaben zu erfüllen.

    " Es wurde ihm nicht erklärt, was. Er war damals auch noch viel zu jung, 14,5 Jahre alt,"

    sagt Gerhard Grünewald, ehemaliger Tempelpräsident des Mormonentempels im sächsischen Freiberg, eines der beiden spirituellen Zentren der fast 200 Gemeinden in Deutschland.

    " Ja, er war schon als Kind ein Suchender, der wissen wollte, welcher Kirche soll ich mich anschließen? In dem Amerika des frühen 19. Jahrhunderts wussten ja viele Menschen nicht, wohin, geistig."

    Damals bildeten sich zahllose neue Glaubensgemeinschaften, von denen die "Kirche Jesu Christi der heiligen der letzten Tage", wie sich die Mormonen offiziell nennen, mit heute weltweit 12.000.000 Mitgliedern die erfolgreichste wurde.

    Eine Ursache der Neugründungen: Viele Gegenden wurden gerade erst besiedelt - und auch, wenn die Siedler oftmals sehr bibelgläubig waren, fehlte ihnen in der eben bezwungenen Wildnis die Bindung an kirchliche Institutionen. Katja Rakow vom Religionswissenschaftlichen Institut der FU Berlin erläutert:

    " Das heißt, auch die Familie von Joseph Smith hat ihr religiöses Leben eher im Familienkreis gelebt, als in einer Kirche - und dann gehören auch mal Visionen mit zur Tagesordnung. "

    Bis heute ist es ein zentraler Glaubensinhalt der Mormonen, dass Gott sich jedem offenbare, der sich, wie ihr suchender Prophet, an ihn wendet. Drei Jahre nach Smiths erster Vision folgte die zweite Erscheinung. Grünewald:

    " Wo ihm dann angekündigt wurde, dass er ein Buch zu übersetzen hat, eine heilige Schrift, die auf dem amerikanischen Kontinent entstanden ist."

    Diesmal schickte Gott einen Boten, und zwar jenen Engel, dessen Abbild die Türme der Mormonentempel krönt. Smith:

    Er sagte, er heiße Moroni; Gott habe eine Arbeit für mich zu tun. Er sagte, es sei ein Buch, verwahrt auf Goldplatten geschrieben, darin sei die Fülle des immerwährenden Evangeliums enthalten.

    Zu finden sei dieses verlorene amerikanische Evangelium aus Goldplatten in einem Erdloch am Fuße eines Hügels in der Nähe von New York - es sollte den Anhängern des Neuzeit-Propheten später zu ihrem Namen verhelfen, sagt Grünewald:

    " Mormon war einer der Propheten des Buches, derjenige, der am Ende auch eine Zusammenfassung all dieser Schriften vorgenommen hat. "

    Die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents seien nämlich jüdische Volksstämme, kurz nach dem Turmbau zu Babel immigriert - und die gesammelten Evangelien des Buches Mormon seien von den Propheten dieser gottesfürchtigen Exil-Hebräer verfasst worden. Das klingt heute phantastisch. Rakow:

    " Also es gibt zu dieser Zeit reichlich Spekulationen, dass die Indianer, die man vorgefunden hat, die verlorenen zehn Stämme von Israel sind. "

    Ja, ich mache meinen Bericht in der Sprache meines Vaters, die aus dem Wissen der Juden und der Sprache der Ägypter besteht,

    bestätigt auch gleich das erste Kapitel der Textsammlung. Glücklicherweise waren der goldenen Fibel als Übersetzungshilfe zwei Sehersteine beigelegt, genannt Urim und Tummim, denn Joseph Smith war aufgrund mangelnder Schulbildung nicht mit Fremdsprachenkenntnissen gesegnet. Drei Jahre dauerte die Arbeit, und im März des Jahres 1830 ging die erste "Übersetzung" des Buches Mormon in Druck. Kurz danach, am 6. April 1830, gründete Joseph Smith die erste Gemeinde. Grünewald:
    " Jeder, der dieses Buch in die Hand bekommt, fragt sich ja: Ist es wahr? Wenn das Buch wahr ist, dann ist auch Joseph Smith ein wahrer Prophet."

    Und wenn es nicht wahr ist, dann ist er ein Scharlatan, ein Betrüger - so der Umkehrschluss, der schon früh viele Gegner auf den Plan rief, berichtet Grünewald:

    " Sein Leben war geprägt von vielen Verfolgungen, er hat im Gefängnis gesessen, er wurde geteert, gefedert, vertrieben und mit ihm die Mitglieder der Kirche."

    Deren verschworene Gemeinschaft trotzdem, wo sie auch auftauchte, die angestammten Gesellschaften immer wieder auch ökonomisch überflügelte. Das war schwer zu ertragen - und führte letztendlich dazu, dass Joseph Smith im Alter von 39 Jahren von einem wütenden Mob im Gefängnis erschossen wurde. Doch so exzentrisch die Offenbarungen des Joseph Smith heute klingen mögen, sagt Katja Rakow:

    " Aus religionswissenschaftlicher Sicht lässt sich sagen, er ist ein Kind seiner Zeit. Er hat sicherlich einen Schöpfungsakt vollzogen und hat damit versucht, auf religiöse, soziale und politische Situationen seiner Zeit eine religiöse Antwort zu geben - also von daher, denke ich, ist er schon ein Original. "