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Als ob ein Gericht die Taufe verbieten würde

Michael Brenner Historiker am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der LMU in München, betont, dass nicht nur orthodoxe Juden, sondern auch liberale Juden an der Beschneidung als einen festen Bestandteil des Glaubens festhalten.

Michael Brenner im Gespräch mit Karin Fischer | 13.07.2012
    Karin Fischer: Die Konferenz Europäischer Rabbiner wertete das Kölner Urteil gestern als "schwersten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust". Begründung: Ein Verbot der Beschneidung stelle die Existenz der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland infrage. Auch steht die Forderung im Raum, die Beschneidung von Knaben aus religiösen Gründen jetzt gesetzlich zu verankern.

    - Frage an Michael Brenner, Historiker am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der LMU in München: Würden Sie mit Blick auf die Geschichte dieses Kölner Urteil so auch bewerten?

    Michael Brenner: Ja, Sie müssen sich das in etwa so vorstellen, als ob jetzt ein Gericht die Taufe verbieten würde. Und ich glaube, da würde wahrscheinlich die Kirche ähnlich reagieren. Die Beschneidung gehört von dem Beginn der jüdischen Religion, ist kein Brauch, sondern das gehört, ist ein fester Bestandteil der jüdischen Religion wie auch der muslimischen. Und es wäre in etwa gleichzusetzen mit dem Verbot der Taufe.

    Fischer: Wenn man es als Tradition und Religion sieht, dann natürlich schon, wobei die Taufe ja nicht mit einer Art Körperverletzung einhergeht.

    Brenner: Ich würde sehr stark argumentieren, dass auch die Beschneidung nicht eine Art Körperverletzung ist; sonst wären wahrscheinlich die meisten amerikanischen, christlichen Männer auch einer Körperverletzung unterzogen, denn die meisten amerikanischen Männer jüdischen, christlichen, muslimischen Bekenntnisses – völlig egal – sind getauft. Sonst würde wahrscheinlich auch nicht die Weltgesundheitsorganisation dazu auffordern, dass es in vielen Bereichen auch sinnvoll ist, junge Männer zu beschneiden. Es wird dort nicht als eine Art der Körperverletzung gesehen, sondern ganz im Gegenteil als ein gesundheitsfördernder, persönlicher Eingriff.

    Fischer: Lassen Sie uns bei dem Vorwurf "schwerster Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust" bleiben. Der Schriftsteller Ralf Bönt verweist heute in der "Süddeutschen Zeitung" mit Blick auf den Holocaust darauf, dass gerade hierzulande ja bekannt ist, was passiert, wenn sich die Gemeinschaft in den Besitz des Einzelnen bringt. Und er sagt, mit dem Kölner Urteil würde nicht eine Minderheit in Deutschland diskriminiert, eine religiöse Minderheit, sondern der schutzlose, unmündige Einzelne vor dem Zugriff der als Mehrheit auftretenden Religionsgemeinschaft.

    Brenner: Auch diesen Vorwurf finde ich nicht zutreffend, denn man müsste dann natürlich genauso dafür argumentieren, dass die Taufe für die Säuglinge, für die kleinen Kinder ebenso verboten werden müsste. Es ist ja nicht richtig, wenn jemand getauft ist oder wenn jemand beschnitten ist, dass er dann sein Leben lang in dieser Religion verhaften muss. Jemand, der getauft ist, kann sich genauso vom Christentum später wieder lösen wie jemand, der beschnitten ist, vom Judentum oder Islam. Und im Prinzip ist mit diesem Akt natürlich der Eingang in eine Religionsgemeinschaft vorgegeben. Aber dann müssten wir unser ganzes Konzept ändern und sozusagen einen freien Markt, einen Basar der Religionsgemeinschaften vorlegen. Und das halte ich für eine Illusion, denn man wächst nun doch in eine Religionsgemeinschaft hinein.

    Fischer: Herr Brenner, entschuldigen Sie! Sie argumentieren jetzt immer für die Beschneidung. Ich hatte Sie nach der Eskalation der Worte gefragt.

    Brenner: Ja! Ich finde natürlich dieses Argument absurd. Also man kann hier nicht sozusagen mit dem Holocaust argumentieren, um die Beschneidung verbieten zu wollen. Es ist hier natürlich ein ganz einschneidender Eingriff gegen eine Minderheit. Das ist etwas, was in der jüdischen Geschichte immer mit Verfolgungen verbunden war. Und diese Verfolgungen, die lassen sich in der Geschichte in die Antike zurückverfolgen und zuletzt in die Sowjetunion, wo dieser Akt verboten war. Also dieses Argument kann ich in dem Sinn überhaupt nicht nachvollziehen, das halte ich für absurd.

    Fischer: Das heißt, das Zitat der Europäischen Rabbiner finden Sie berechtigt?

    Brenner: Das Zitat der Europäischen Rabbiner ist natürlich insofern vielleicht etwas irreführend, weil es in einem Atemzug mit dem Holocaust genannt wird. Aber wenn man es genau ansieht, dann wird ja das Verbot der Beschneidung in keiner Weise mit dem Holocaust verglichen. Was sie sagen ist: Seit dem Holocaust, seit 1945 ist das der entscheidendste Eingriff gegen die jüdische Religionsfreiheit. Und ich muss sagen, das kann niemand infrage stellen.

    Fischer: Sie haben, Michael Brenner, gerade die Sowjetunion genannt. Das ist insofern interessant, als mit Blick auf die zigtausenden jüdischen Einwanderer aus den ehemaligen Sowjetrepubliken sich mir die Frage stellt, wo ja die jüdischen Traditionen auch nicht so sehr gepflegt wurden: Ist das Thema denn von so massiver Relevanz für tatsächlich die heute in Deutschland lebenden Mitglieder der jüdischen Gemeinde?

    Brenner: Natürlich ist es in der jüdischen Gemeinde wie in allen anderen so, dass es verschiedene Meinungen auch hierzu gibt. Aber alle jüdischen Organisationen – ich will das auch betonen -, nicht nur orthodoxe Juden, sondern auch liberale Juden, halten an der Beschneidung als einen festen Bestandteil des Judentums fest. Und für viele ehemalige Sowjetbürger, die nun in Deutschland leben und jüdischen Glaubens sind, hat sich dann auch die Frage gestellt, dass sie sich im Erwachsenenalter der Beschneidung unterziehen. Nun muss man wirklich sagen, das ist ein viel schwerwiegender und schwieriger Eingriff, als wenn man das sozusagen im Alter von acht Tagen vollzieht.

    Fischer: Michael Brenner, Historiker am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der LMU in München, war das zum Beschneidungsurteil und dessen Bewertung durch die Europäischen Rabbiner.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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